Spruch:
Es verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 29 Abs 1 zweiter Satz
ARHG:
1. die in der Begründung des Beschlusses des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 18. September 2002, GZ 12 Ur 227/02i-7, vertretene Rechtsansicht, wonach die Auslieferungshaft bei Auslieferung zur Strafvollstreckung stets dann gegen Sicherheitsleistung unterbleiben oder aufgehoben werden müsse, wenn die Summe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen oder -strafreste fünf Jahre nicht übersteigt;
2. die nach Erlag der Sicherheitsleistung am 23. Oktober 2002 vom Untersuchungsrichter verfügte Aufhebung der Auslieferungshaft ohne Ablegung der im § 180 Abs 5 Z 1 und 2 StPO erwähnten Gelöbnisse.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 18. September 2002, GZ 12 Ur 227/02i-7, verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Ried im Innkreis über Antonio C***** die Auslieferungshaft aufgrund mehrerer zu vollstreckender Freiheitsstrafen und -strafreste in der Gesamtdauer von vier Jahren, drei Monaten und 13 Tagen, die auf Verurteilungen durch italienische Gerichte basierten. Zugleich hob er die Auslieferungshaft für den Fall des Erlags einer mit 10.000 Euro bestimmten Kaution auf. In der Entscheidungsbegründung vertrat er die Rechtsansicht, dass nach Maßgabe der gemäß § 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG sinngemäß anzuwendenden Vorschrift des § 190 Abs 1 erster Satz (zweiter Fall) StPO die Haft, sofern ausschließlich der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt, ungeachtet fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gegen Sicherheitsleistung aufgehoben werden müsse, wenn die Summe zu vollstreckender Freiheitsstrafen oder -strafreste - wie vorliegend - fünf Jahre nicht übersteige. Nach Erlag der Kaution verfügte der Untersuchungsrichter sodann am 23. Oktober 2002 die Aufhebung der Auslieferungshaft ohne Ablegung der im § 180 Abs 5 Z 1 und 2 StPO erwähnten Gelöbnisse.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzen diese Vorgänge das Gesetz in der Bestimmung des § 29 Abs 1 zweiter Satz
ARHG.
Nach § 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG sind auf die Auslieferungshaft mangels anders lautender Regelungen des ARHG die Bestimmungen über die Untersuchungshaft sinngemäß anzuwenden. Die solcherart sinngemäß anzuwendende Vorschrift des § 190 Abs 1 StPO sieht Unterbleiben oder Aufhebung der Untersuchungshaft unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen zwingend aber nur dann vor, "wenn die strafbare Handlung nicht strenger als mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist." Die StPO kennt keine Untersuchungshaft zur Sicherung der Strafvollstreckung (vgl aber § 496 StPO). Deshalb ist darin - wie der Untersuchungsrichter zutreffend erkannt hat - "der vorliegende Fall naturgemäß nicht geregelt" und eine planwidrige Unvollständigkeit der StPO ohne weiteres auszuschließen. Aus der Verweisungsbestimmung des § 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG ist folgerichtig für die vorstehend erwähnte, im Beschluss vom 18. September 2002, GZ 12 Ur 227/02i-7, geäußerte Rechtsansicht nichts zu gewinnen. Für eine planwidrige Lücke der im ARHG selbst enthaltenen Bestimmungen über die Auslieferungshaft fehlt gleichermaßen ein Anhaltspunkt, sodass sich die vom Generalprokurator gerügte Rechtsauffassung als gesetzwidrig erweist (zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer auf Analogie gegründeten Rechtsfortbildung vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 35). Selbst eine rechtens auf § 190 Abs 1 StPO gegründete Aufhebung der Haft (§ 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG) hätte nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur gegen Ablegung der im § 180 Abs 5 Z 1 und 2 StPO erwähnten Gelöbnisse erfolgen dürfen, womit das Gesetz auch insoweit verletzt wurde.
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