Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Gemäß § 9 des Bundesgesetzes über die Pensionsversorgung der Beamten der Österreichischen Bundesbahnen - Bundesbahn-Pensionsgesetz (BB-PG), BGBl I 2001/86, ist dem Beamten, der ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist, aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand zu seiner ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit der Zeitraum, der für die Erlangung des Höchstausmaßes des Ruhegenusses erforderlich ist, höchstens jedoch 10 Jahre zuzurechnen. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Anspruch des Klägers auf die Begünstigung des § 9 BB-PG. Außer Streit steht, dass der Kläger die Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit nicht vorsätzlich herbeigeführt hat.
Der Kläger war seit 1973 bei den Österreichischen Bundesbahnen beschäftigt und übte die Funktion eines Triebfahrzeuglenkers aus. Er wurde am 29. 12. 2006 in den zeitlich krankheitsbedingten Ruhestand versetzt. Mit 29. 12. 2009 wurde die zeitlich verfügte krankheitsbedingte Ruhestandsversetzung in einen dauernden krankheitsbedingten Ruhestand verwandelt.
Zum Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand im Dezember 2006 war der Kläger für mittelschwere und drittelzeitig für schwere körperliche Arbeiten in jeder Körperhaltung, in der üblichen Arbeitszeit und mit den üblichen Arbeitspausen geeignet. Er konnte Arbeiten mit durchschnittlichem psychischen Anforderungsprofil leisten. Besonderem Zeitdruck standzuhalten war ihm bloß halbzeitig möglich, seine Kommunikationsfähigkeit war auf Tätigkeiten innerhalb von kleineren Gruppen eingeschränkt. Aufsichtstätigkeiten und Mengenleistungen waren ihm möglich, der Anmarschweg zur Arbeitsstätte war gewährleistet, die Fingerfertigkeit ungestört. Tätigkeiten, die ein berufsmäßiges Lenken von Fahrzeugen, insbesondere von Zügen, erforderten, waren dem Kläger nicht zumutbar. Im August 2010 (dem Untersuchungszeitpunkt im Verfahren erster Instanz) waren dem Kläger bei sonst gleichem Leistungskalkül wieder Arbeiten unter zweidrittelzeitig besonderem Zeitdruck zumutbar.
Beim Beruf des Triebfahrzeuglenkers handelt es sich um einen sehr speziellen Beruf; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist nur ein sehr enger Verweisungsbereich vorhanden. Die Ausbildung zum Triebfahrzeugführer ist unter Berücksichtigung der Berufspraxis des Klägers wertungsmäßig einem Lehrberuf gleichzustellen. Wertungsmäßig ähnliche Berufe sind Mechanikerberufe, Schlosserberufe, im kommunalen Bereich bei öffentlichen Dienststellen auch Technikerberufe, Magazineurberufe sowie der Beruf des Lagerverwalters oder im Angestelltenbereich der Speditionskaufmann, der Lagerlogistiker oder der Werkzeugbautechniker. Für sämtliche dieser Berufe fehlt dem Kläger aber die dafür erforderliche Fachausbildung.
Ausgehend von seinem zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Beruf Triebfahrzeugführer sind zusammenfassend für den Kläger weder zum Stichtag 29. 12. 2006 noch aufgrund der nunmehrigen gesundheitlichen Einschränkungen kalkülsentsprechende Berufe mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden.
Ohne Berücksichtigung der Ausbildung des Klägers bestehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber eine Reihe von kalkülsentsprechenden Verweisungstätigkeiten im Arbeiterbereich, beispielsweise Portierstätigkeiten im Bereich qualifizierter Produktkontrolle, in der Elektroindustrie sowie Berufsgruppen der Lager- und Handelsarbeiter. Diese Tätigkeiten sind jedoch Hilfstätigkeiten und mit der Tätigkeit des Klägers nicht vergleichbar. Eine Verweisung des Klägers auf sie würde jedenfalls einen sozialen Abstieg bedeuten.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er Anspruch auf die Begünstigung des § 9 BB-PG habe, sowie die Leistung von Ruhegenussdifferenzen. Die Begünstigung stehe ihm zu, weil er infolge einer am 23. 8. 2006 erlittenen schweren posttraumatischen Störung dauernd zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei.
Die Beklagte wandte dagegen zusammengefasst ein, dass dem Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt zum Zeitpunkt seiner Versetzung in den zeitlichen Ruhestand noch leichte und mittelschwere, fallweise sogar schwere Erwerbstätigkeiten möglich seien, sodass eine Erwerbsunfähigkeit gemäß § 9 BB-PG nicht vorliege.
Das Erstgericht gab mit seinem (richtig:) Teilurteil dem Feststellungsbegehren statt und behielt die Entscheidung über das Leistungsbegehren vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Beamte zu einem zumutbaren Erwerb iSd § 9 BB-PG unfähig wurde, sei, wenn wie im vorliegenden Fall vorerst eine Versetzung in den zeitlichen Ruhestand und erst in der Folge lückenlos die Versetzung in den dauernden Ruhestand erfolgt sei, jener der ersten Versetzung in den Ruhestand. Eine zumutbare Verweisungstätigkeit gemäß § 9 BB-PG müsse in ihrer sozialen Stellung der bisherigen Tätigkeit des Beamten annähernd entsprechen. Als Maßstab dafür könne der Berufsschutz eines Angestellten nach dem ASVG herangezogen werden. Danach sei ein Angestellter auf Tätigkeiten verweisbar, welche eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse erforderten. Auch die Verweisung eines gelernten Arbeiters auf eine ungelernte Tätigkeit bedeute einen sozialen Abstieg. Die Tätigkeit und Ausbildung des Klägers zum Triebfahrzeugführer sei einem abgeschlossenen Lehrberuf gleichzuhalten. Eine Verweisung des Klägers auf die hier noch möglichen Hilfskraftberufe bedeute einen sozialen Abstieg und sei daher nicht möglich. Da andere Verweisungstätigkeiten nicht vorhanden seien, bestehe der Anspruch des Klägers auf die Begünstigung gemäß § 9 BB-PG zu Recht.
Über Berufung der Beklagten hob das Berufungsgericht dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. § 9 BB-PG stelle allgemein auf die Erwerbsunfähigkeit ab. Allerdings habe die bisher ausgeübte Tätigkeit ebenso wie die Ausbildung des Klägers Bedeutung. Bei der Zumutbarkeitsprüfung gemäß § 9 BB-PG könne auf die zu den §§ 273 Abs 1 und 255 Abs 1 ASVG entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Nach dem Wortlaut des § 9 BB-PG sei nicht zu differenzieren, ob es sich beim Kläger um einen Facharbeiter oder um einen Angestellten gehandelt habe. Im fortzusetzenden Verfahren sei aber zu prüfen, ob der Kläger die von der Beklagten behauptete Facharbeiterausbildung als Elektroinstallateur absolviert habe und ob er diese überhaupt, bzw in welcher Dauer und wie lange zurückliegend ausgeübt habe. Weiters werde zu prüfen sein, inwieweit der Kläger die dabei erworbenen Kenntnisse für seine Tätigkeit als Triebfahrzeugführer verwerten konnte. Bei einer substantiellen Verwertbarkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten als Elektroinstallateur im Rahmen der Triebfahrzeugführertätigkeit werde zu prüfen sein, ob der Kläger mit seinem Leistungskalkül Ende 2006 qualifizierte Tätigkeiten im Bereich Elektroinstallation oder solche, wo er seine einschlägige Ausbildung verwerten kann, ausüben konnte.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Auslegung des § 9 Abs 1 BB-PG soweit ersichtlich lediglich die Entscheidung 8 ObA 88/11s ergangen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
Voranzustellen ist, dass § 9 BB-PG zwar den Begriff des „Beamten“ verwendet, dass aber das Dienstverhältnis der Arbeitnehmer der Österreichischen Bundesbahnen nach der Rechtsprechung grundsätzlich ein privatrechtliches ist (9 ObA 63/07s; 8 ObA 77/11y, RIS-Justiz RS0052676 ua).
1. § 9 BB-PG entspricht in seiner seit 1. 1. 2001 unverändert geltenden Fassung der Vorgängerbestimmung des § 9 Bundesbahn-Pensionsordnung (BB-PO), BGBl 1966/313 idF BGBl 1985/407, mit der Maßgabe, dass diese die Zurechnung zur ruhegenussfähigen Beamtendienstzeit (statt nunmehr: Gesamtdienstzeit) vorsah. Zu § 9 BB-PO (noch in der Stammfassung) hielt bereits die Entscheidung 14 Ob 24/86 fest, dass für die Frage der Zumutbarkeit des Erwerbs nicht nur auf die bisherige Erwerbstätigkeit des Beamten, sondern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abzustellen ist. Darüber hinaus wurde in dieser Entscheidung die soziale Stellung (soziale Geltung) des Beamten als ein Kriterium für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines Erwerbs gebilligt. Der Oberste Gerichtshof berücksichtigte in dieser Entscheidung die Durchführungsanweisung zu § 9 BB-PO (abgedruckt in: Unser Recht II, Handbuch für Personalvertreter, PO 17; vgl ./8), die auszugsweise lautet:
„2. Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die dem dienstunfähigen Beamten verbliebene Arbeitskraft nicht mehr ausreicht, eine Beschäftigung auszuüben, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an sich begehrt und honoriert wird. Ob dem Beamten aber eine Beschäftigung, die Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann oder nicht, ist für die Beurteilung der Frage der Erwerbsunfähigkeit ohne Bedeutung.
3. Zumutbarkeit ist dann gegeben, wenn die der Konstitution des Beamten entsprechende Beschäftigung in ihrer sozialen Geltung der bisherigen Tätigkeit des Beamten wenigstens annähernd gleichkommt. Nur soziale, das heißt die Wertung innerhalb der menschlichen Gesellschaft kennzeichnende, nicht aber wirtschaftliche Gesichtspunkte, sind in diesem Zusammenhang maßgebend.“
2. Das Oberlandesgericht Wien führte in seiner Entscheidung vom 15. 12. 2004, 8 Ra 125/04t, zusammengefasst aus, dass die Regelung des § 9 Abs 1 BB-PO durch § 9 BB-PG fortgesetzt werde, sodass zur Auslegung der in dieser Bestimmung verwendeten Gesetzesbegriffe der „Erwerbsunfähigkeit“ und der „Zumutbarkeit“ auf die bereits genannte Durchführungsanweisung abgestellt werden könne. Zumutbarkeit der Beschäftigung sei dann gegeben, wenn die der Konstitution des Angestellten (Beamten) entsprechende Beschäftigung in ihrer sozialen Geltung seiner bisherigen Tätigkeit wenigstens annähernd gleichkomme, wobei als maßgebliche Faktoren der sozialen Geltung etwa die Ausbildung, der Grad der Selbständigkeit bei der Durchführung der Arbeit, die Entscheidungsbefugnisse, die Anzahl der dem Angestellten gegenüber weisungsgebundenen Dienstnehmer oder auch die Rahmenbedingungen für die Arbeit - denen allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zukomme - zu nennen seien.
Auch in der sozialrechtlichen Judikatur werde bei der Prüfung der Verweisbarkeit eines Angestellten die Auffassung vertreten, dass die Verweisung zu keinem unzumutbaren sozialen Abstieg führen dürfe. Der soziale Abstieg sei dann unzumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genieße, wofür etwa die Stellung in der Betriebshierarchie, die damit verbundene Verantwortung für den Betriebsablauf und das daraus resultierende Ansehen, das eine Tätigkeit in den Augen der Umwelt genieße, maßgeblich seien. Für die Beurteilung des sozialen Abstiegs werde auch die Einstufung einer Tätigkeit in einen Kollektivvertrag herangezogen. Wesentlich seien vor allem die Ausbildung, die Kenntnisse und die Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit von Bedeutung gewesen seien. Dabei werde die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar untergeordnet ist, für zulässig erachtet. Eine gewisse Einbuße an Einkommen und sozialem Prestige stelle nämlich noch keinen unzumutbaren Abstieg dar. Diese Grundsätze könnten auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit gemäß § 9 BB-PG herangezogen werden. Dabei sollen allerdings nur soziale, das heißt die Wertung innerhalb der menschlichen Gesellschaft kennzeichnende, nicht aber wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgeblich sein.
Der Oberste Gerichtshof wies die vom damaligen Kläger erhobene außerordentliche Revision gegen diese Entscheidung zurück (9 ObA 24/05b). Er billigte ausdrücklich die hier dargestellte umfassende und richtige Wiedergabe der Rechtslage durch das Berufungsgericht.
3. Diese Rechtsprechung wird in der vom Berufungsgericht berücksichtigten jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu § 9 Abs 1 BB-PG, 8 ObA 88/11s, fortgeführt. Insbesondere billigte der Oberste Gerichtshof auch in dieser Entscheidung die Durchführung der Zumutbarkeitsprüfung durch die Vorinstanzen nach den bereits dargestellten Kriterien der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0064692; RS0085599 ua) und gelangt zu dem Ergebnis, dass der in der Durchführungsverordnung zu § 9 BB-PO verwendete Begriff der sozialen Geltung der bisherigen Tätigkeit im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung beachtlich ist. Schon der Ansatz des § 9 BB-PG, den „Zuschlag“ nur in besonders gelagerten Fällen der Dienstunfähigkeit zu gewähren, bietet keinen Ansatz für eine enge Prüfung der „Zumutbarkeit“ nur anhand der bisher ausgeübten Tätigkeit (8 ObA 88/11s).
4. Ausgehend davon kann dem Berufungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es im konkreten Fall bei der Frage der Prüfung der Zumutbarkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch auf die behauptete Erlernung und Ausübung des Berufs des Elektroinstallateurs durch den Kläger abstellen will. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass § 9 BB-PG nicht unterscheidet, ob der Bedienstete der Österreichischen Bundesbahnen als Facharbeiter oder gelernter Arbeiter (iSd § 255 ASVG) oder als Angestellter (iSd § 273 ASVG) tätig war, sodass die in der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nur sinngemäß anzuwenden sind. Maßgeblich ist, ob dem Kläger unter Berücksichtigung seiner Ausbildung die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch möglich ist, die nach den dargestellten Kriterien iSd § 9 Abs 1 BB-PG zumutbar ist, wobei auch die soziale Geltung seiner bisherigen Tätigkeit als Triebfahrzeugführer im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigen sein wird. Wenn das Berufungsgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof gebilligten Rechtsansicht die dafür maßgebliche Tatsachengrundlage für ergänzungsbedürftig hält, so kann dem der Oberste Gerichtshof, der auch im Rekursverfahren gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 519 Rz 26 mwH).
Dem Rekurs des Klägers ist daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.
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