Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Gesellschafter der beklagten Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind die Klägerin mit 40 % und die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei mit 60 % des Stammkapitals.
Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten wurde mehrfach geändert und enthält seit dem 16. März 1984 folgende Regelungen betreffend Gewinnausschüttung:
Nach § 7 Abs 11 lit a beschließt die Generalversammlung insbesondere über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung und Verteilung des Reingewinnes. Nach § 7 Abs 12 lit a bedürfen Beschlüsse gemäß Abs 11 lit a einer Mehrheit von mehr als drei Vierteln, wenn vom Reingewinn weniger als die Hälfte ausgeschüttet werden soll.
Nach § 10 Abs 2 ist die Beschlussfassung über die Verteilung und Verwendung des Reingewinnes unter Beobachtung der vertraglichen Bestimmungen und gesetzlichen Vorschriften alljährlich der Generalversammlung vorbehalten. Nach § 10 Abs 10 ist jedenfalls, beginnend mit dem Geschäftsjahr 1. Jänner bis 31. Dezember 1984, vom Reingewinn mindestens jeweils die Hälfte an die Gesellschafter auszuschütten.
Im Verfahren 26 Cg 129/09p des Landesgerichts Wels beantragte die Klägerin, den in der ordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 26. Mai 2009 zu Punkt 2 der Tagesordnung gefassten Beschluss, wodurch die Gewinnausschüttung von 1.554.048,32 EUR binnen 14 Tagen an die Gesellschafter und der Vortrag des restlichen Bilanzgewinnes von 1.554.048,32 EUR auf neue Rechnung abgelehnt wurde, für nichtig zu erklären.
Der Jahresabschluss der Beklagten zum 31. Dezember 2010 wies einen Bilanzgewinn in Höhe von 1.890.002,71 EUR aus. Dieser Jahresabschluss wurde in der ordentlichen Generalversammlung vom 6. Juli 2011 mit den Stimmen aller Gesellschafter einstimmig festgestellt.
In der Bilanz zum 31. Dezember 2010 sind auch Rückstellungen angeführt, und zwar einerseits Rückstellungen für Abfertigungen in Höhe von 499.460,50 EUR und sonstige Rückstellungen in Höhe von 965.389,24 EUR. Weiters befindet sich im Jahresabschluss der Lagebericht vom 21. Mai 2011. In diesem ist unter Punkt 4 letzter Absatz folgendes vermerkt:
„Der Ausgang diverser gerichtlicher Verfahren bleibt abzuwarten. Dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip entsprechend wurden für die diversen anhängigen Verfahren neuerlich, nach Konsultation unseres Rechtsvertreters, Rückstellungen gebildet, die sich stark auf das ausgewiesene Ergebnis auswirken.“
In der ordentlichen Generalversammlung vom 6. Juli 2011 stellte die Klägerin den Antrag, vom Bilanzgewinn von 1.890.002,71 EUR zum 31. Dezember 2010 die Hälfte, nämlich 945.000 EUR an die Gesellschafter auszuschütten und den restlichen Betrag von 945.002,71 EUR auf neue Rechnung vorzutragen. Die Ausschüttung sei 14 Tage nach Erhalt der Kaufpreiszahlung aus dem Verkauf der Liegenschaft ***** zur Zahlung an die Gesellschafter fällig.
Dr. G***** als Vertreter der Nebenintervenientin verwies auf das Schreiben der Geschäftsleitung vom 29. Juni 2011, in dem sich diese wegen der bei einer Gewinnausschüttung gegebenen Existenzgefährdung der Gesellschaft gegen eine Gewinnausschüttung aussprach. Die Nebenintervenientin sah in einer möglichen Ausschüttung vor Klärung der im Schreiben erwähnten Punkte eine Gefährdung der Gesellschaft und war aus diesem Grund gegen den Antrag der klagenden Partei. Zur Existenzgefährdung der Gesellschaft kam nach Ansicht der Nebenintervenientin noch hinzu, dass vor einer Beschlussfassung über eine Gewinnausschüttung jedenfalls das Ergebnis des beim Erstgericht anhängigen Verfahrens 26 Cg 129/09p zu berücksichtigen wäre. Die Nebenintervenientin ging davon aus, dass in diesem Verfahren festgestellt werden würde, dass die damalige Gewinnausschüttung für die Gesellschaft kontraproduktiv wäre; jedenfalls könne vor einer Klärung einer Gewinnausschüttung aus 2008 nicht über eine Gewinnausschüttung aus 2010 entschieden werden, weil der nunmehrige Bilanzgewinn nur aus dem seinerzeitigen Vortrag des Bilanzgewinnes 2008 resultiere. Dr. G***** stellte daher namens der Nebenintervenientin den Antrag, den gesamten Bilanzgewinn vorerst auf neue Rechnung vorzutragen und zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden. Der Antrag der Klägerin wurde mit einfacher Mehrheit abgelehnt; dagegen erhob deren Vertreter Widerspruch zu Protokoll. Der Antrag der Nebenintervenientin wurde mit einfacher Mehrheit angenommen; auch dagegen erhob der Vertreter der Klägerin Widerspruch zu Protokoll.
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung folgender in der ordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 6. Juli 2011 gefassten Beschlüsse:
1. wodurch der Antrag, „vom Bilanzgewinn von 1.890.002,71 EUR die Hälfte, nämlich 945.000 EUR an die Gesellschafter auszuschütten und den restlichen Betrag von 945.002,71 EUR auf neue Rechnung vorzutragen. Die Ausschüttung ist 14 Tage nach Erhalt der Kaufpreiszahlung aus dem Verkauf der Liegenschaft ***** zur Zahlung an die Gesellschafter fällig“, abgelehnt wurde;
2. wodurch der gesamte Bilanzgewinn vorläufig auf neue Rechnung vorgetragen wird.
Die Klägerin brachte vor, nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags sei jedenfalls mindestens die Hälfte an die Gesellschafter auszuschütten. Es bestehe keine kaufmännische Notwendigkeit zur Thesaurierung, weil die Beklagte selbst nach der Ausschüttung des beantragten Betrags von 945.000 EUR noch immer über ein Eigenkapital von etwa 4 Mio EUR verfüge; das entspreche einer Eigenkapitalquote von 50 %. Im Übrigen sei eine Mehrheit von drei Vierteln der Generalversammlung nötig, wenn vom Reingewinn weniger als die Hälfte ausgeschüttet werden solle. Der Beschluss auf Vortrag des Gewinnes auf neue Rechnung sei daher gesellschaftsvertragswidrig, rechtswidrig und treuwidrig. Auch § 82 Abs 5 GmbHG stehe einer Ausschüttung des Gewinnes in dem von der Klägerin beantragten Ausmaß nicht entgegen. Der Eintritt einer nach dieser Bestimmung erforderlichen Vermögensschmälerung erfordere die Aufstellung einer Zwischenbilanz, in der die Verluste und Wertminderungen auch tatsächlich ausgewiesen seien. Eine solche sei jedoch nicht aufgestellt worden. Überhaupt sei ein Verlust von der Beklagten nicht ermittelt worden. Ereignisse nach dem 6. Juli 2011 seien irrelevant. Im Übrigen sei die Beklagte jederzeit in der Lage, einen Kreditrahmen zu erhöhen; eine durch die Gewinnausschüttung behauptete Existenzgefährdung liege jedenfalls nicht vor.
Die Beklagte wendete ein, ihre Vermögenslage habe sich im Zeitraum zwischen Bilanzstichtag und Feststellung des Jahresabschlusses erheblich verschlechtert, weshalb die begehrte Ausschüttung gegen § 82 Abs 5 GmbHG verstieße. Überdies verfüge sie gar nicht über ausreichende Liquidität, um eine solche Ausschüttung zu finanzieren. Die Erstellung einer Zwischenbilanz sei nicht notwendig gewesen, weil die Klägerin über die dramatische Verschlechterung der Vermögenslage zwischen Bilanzstichtag und Beschlussfassung über die Gewinnverteilung sowohl in den außerordentlichen Generalversammlungen vom 17. März 2011 und 16. Mai 2011 als auch in der ordentlichen Generalversammlung am 6. Juli 2011 sowie schriftlich informiert worden sei. Die Klägerin habe auch den Gewinnverteilungsbeschluss für das Jahr 2008 gerichtlich angefochten; sollte die Klägerin in jenem Verfahren obsiegen, sei eine Gewinnausschüttung von 1.554.048,32 EUR vorzunehmen. Da sich der Bilanzgewinn für das Geschäftsjahr 2010 im Wesentlichen aus Gewinnvorträgen der Jahre 2008 und 2009 ergebe, bliebe für das Jahr 2010 lediglich ein Bilanzgewinn von 635.954,39 EUR. Die Ausschüttung von 945.000 EUR sei schon allein deshalb nicht gedeckt. Das Verlangen der Beklagten auf Ausschüttung des halben Bilanzgewinns trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sei treuwidrig.
Die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei brachte vor, die beantragte Gewinnausschüttung sei für die Beklagte existenzbedrohend. Seit der Markenumstellung von W***** auf T***** befinde sich die Beklagte in einer besonders schwierigen Lage und benötige dringend Liquidität für Produktinnovationen und dringend notwendige Ersatzinvestitionen. Der Abfluss von Liquidät durch Gewinnausschüttung oder weitere Fremdkapitalisierung bringe Nachteile im Wettbewerb mit der Konkurrenz.
Mit der früheren Lizenzgeberin seien Rechtsstreitigkeiten anhängig; es sei ungewiss, ob die im Jahresabschluss gebildete Rückstellung von 521.000 EUR für die Begleichung drohender Zahlungen ausreiche. Die Klägerin versuche, der Beklagten die Liquidität zu entziehen und sie im Zusammenwirken mit der Lizenzgeberin zu schädigen oder gar zu vernichten. Die Klägerin handle sittenwidrig und missbräuchlich.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte den oben wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte rechtlich aus, der Gesellschaftsvertrag habe eine eigene Gewinnverwendungsregel, die § 82 GmbHG vorgehe. Durch die beiden Gesellschafterbeschlüsse sei der Gesellschaftsvertrag verletzt worden. § 82 Abs 5 GmbHG schränke den verteilungsfähigen Bilanzgewinn ein: Die Verantwortung für die Beobachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse bezüglich einer möglichen Ausschüttungssperre nach § 82 Abs 5 GmbHG sei den Geschäftsführern oder dem Aufsichtsrat übertragen. Die Geschäftsführer hätten die Gewinnausschüttung im Umfang der Ausschüttungssperre unabhängig davon zu verweigern, was die Gesellschafter beschlössen oder beschlossen hätten. Sollten Geschäftsführer oder Aufsichtsrat gegen das Ausschüttungsverbot verstoßen, so hafteten sie der Gesellschaft für die Verletzung ihrer Obliegenheiten zur ungeteilten Hand. Dies habe jedoch keine Auswirkungen auf die Beschlussfassung bzw die dafür entsprechenden Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Wenn die Gewinnverwendung gesellschaftsvertraglich einem Gesellschafterbeschluss überlassen sei, so bedeute dies keineswegs die Zulässigkeit willkürlicher Gewinnverteilung oder -zurückhaltung in der Gesellschaft. Von der Gesellschaftermehrheit sei die Treuepflicht einzuhalten: Danach dürfe der Beschluss das Entscheidungsermessen nicht überschreiten. Die Treuepflicht gebiete im Zusammenhang mit dem Gewinnverteilungsbeschluss gemäß § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG, dass zumindest Teile des Gewinnes entgegen dem gesetzlichen oder einem gesellschaftsvertraglichen Ausschüttungsgebot einbehalten werden müssten, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bildung der Rücklagen besonders stark ausgeprägt sei. Dafür sei die Unerlässlichkeit der Rücklagenbildung für die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft zu verlangen. Die in § 82 Abs 5 GmbHG geregelten Grundsätze gingen dem gesellschaftsvertraglichen Ausschüttungsgebot vor und seien im Rahmen der Treuepflicht von den Gesellschaftern zu beachten. Da das Erstgericht zum Vorbringen der Beklagten und der Nebenintervenientin über die behaupteten Voraussetzungen für ein Ausschüttungsverbot gemäß § 82 Abs 5 GmbHG keine Beweise aufgenommen und keine Feststellungen getroffen habe, sei das Verfahren ergänzungsbedürftig.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage, ob von den Gesellschaftern entgegen dem gesetzlichen oder einem gesellschaftsvertraglichen Ausschüttungsgebot für den Einbehalt von Teilen des Gewinnes gestimmt werden müsse, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bildung der Rücklage besonders stark ausgeprägt sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, sondern nur vom Berufungsgericht aufgegriffene Lehrmeinungen zur „Ausschüttungsbremse“ nach § 82 Abs 5 GmbHG und zur damit im Zusammenhang stehenden Treuepflicht der Gesellschafter existierten.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Der erkennende Senat hat erwogen:
1. Der Beschlussfassung der Gesellschafter unterliegt gemäß § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG die Verteilung des Bilanzgewinnes, falls dieser im Gesellschaftsvertrag einer besonderen Beschlussfassung von Jahr zu Jahr vorbehalten ist. Gemäß § 82 Abs 1 GmbHG haben die Gesellschafter, solange die Gesellschaft besteht, nur Anspruch auf den nach dem Jahresabschluss als Überschuss der Aktiven über die Passiven sich ergebenden Bilanzgewinn, soweit dieser nicht aus dem Gesellschaftsvertrag oder durch einen Beschluss der Gesellschafter von der Verteilung ausgeschlossen ist. Wird den Geschäftsführern oder dem Aufsichtsrat in der Zeit zwischen dem Schluss des Geschäftsjahres und der Beschlussfassung der Gesellschafter über den Jahresabschluss bekannt, dass der Vermögensstand der Gesellschaft durch eingetretene Verluste oder Wertverminderungen erheblich und voraussichtlich nicht bloß vorübergehend geschmälert worden ist, so ist gemäß § 82 Abs 5 GmbHG der nach der Bilanz sich ergebende Gewinn in einem der erlittenen Schmälerung des Vermögens entsprechenden Betrag von der Verteilung ausgeschlossen und auf Rechnung des laufenden Geschäftsjahres zu übertragen.
2. Die Nichtigerklärung eines Gesellschafterbeschlusses kann gemäß § 41 Abs 1 Z 1 GmbHG mittels Klage dann verlangt werden,
wenn der Beschluss nach dem GmbHG oder dem Gesellschaftsvertrag als nicht zustande gekommen anzusehen ist.
3. Im vorliegenden Fall sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass grundsätzlich höchstens die Hälfte des „Reingewinns“ von der Verteilung ausgeschlossen werden soll. Weiters sieht der Gesellschaftsvertrag übereinstimmend mit § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG vor, dass die Gesellschafter über die Verteilung und Verwendung des „Reingewinns“ zu beschließen haben und dass ein Gewinnverwendungsbeschluss, mit dem weniger als die Hälfte des „Reingewinns“ ausgeschüttet werden soll, einer Mehrheit von mehr als drei Vierteln bedarf.
Die zitierten Normen des Gesellschaftsvertrags stammen aus der Zeit vor Inkrafttreten des RLG (BGBl 1990/475), mit dem ua in § 35 Abs 1 Z 1 und § 82 Abs 1 GmbHG der Ausdruck „Reingewinn“ in „Bilanzgewinn“ geändert wurde. Unter dem „Reingewinn“ ist daher der Bilanzgewinn zu verstehen.
4. Beide Gesellschafterbeschlüsse verstoßen zunächst gegen § 10 Abs 10 des Gesellschaftsvertrags, wonach mindestens die Hälfte des Bilanzgewinnes auszuschütten ist. Die an sich mögliche, davon abweichende Beschlussfassung hätte nach dem Gesellschaftsvertrag einer Mehrheit von mehr als drei Vierteln bedurft, die aber nicht erreicht wurde.
Die angefochtenen Beschlüsse sind somit nach dem Gesellschaftsvertrag als nicht zustandegekommen anzusehen, womit die Anspruchsvoraussetzungen nach § 41 GmbHG an sich erfüllt sind.
Anderes könnte nur dann gelten, wenn nach den Erwägungen des Berufungsgerichts die Treuepflicht beiden Gesellschaftern geböte, für den Inhalt der angefochteten Beschlüsse zu stimmen. Treuwidrig abgegebene Stimmen sind zwar nach ständiger Rechtsprechung nicht nichtig (RIS-Justiz RS0106227 [T3]; vereinzelt dagegen, dies obiter offen lassend 6 Ob 197/11f), aber anfechtbar (RIS-Justiz RS0120599; RS0111765). Wenn die treuwidrige Stimmabgabe anfechtbar ist, kann umgekehrt eine Anfechtungsklage nicht erfolgreich auf eine treuwidrige Stimmabgabe des anfechtenden Gesellschafters gestützt werden.
5. In der Rechtsprechung wurden zur Treuepflicht im gegebenen Zusammenhang folgende Grundsätze entwickelt:
Der Gesellschafter einer GmbH unterliegt der Treuepflicht, und zwar nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Mitgesellschaftern gegenüber. Sie orientiert sich an den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie des redlichen Verkehrs und am Gebot der guten Sitten (RIS-Justiz RS0026106). Die Treuepflicht des Gesellschafters einer GmbH gebietet eine angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter auch bei Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung (RIS‑Justiz RS0060175). Ob ein bestimmtes Verhalten eines Gesellschafters gegen seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Mitgesellschaftern verstößt, hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0060175 [T3]).
Die gesellschaftliche Treuepflicht gebietet es aber nicht, die Interessen der Gesellschaft stets über jene des Gesellschafters zu stellen. So können sogenannte „eigennützige“ Rechte des Gesellschafters, die primär seinen Interessen dienen, im Einzelfall auch gegen die Interessen der Gesellschaft ausgeübt werden (RIS-Justiz RS0107912). Zur Aktiengesellschaft wurde ausgesprochen, dass ein Aktionär nicht verpflichtet ist, sein Stimmrecht allein zum Wohl der Gesellschaft auszuüben, sondern vielmehr im Rahmen der Grundsätze von Treu und Glauben und der guten Sitten eigene Interessen verfolgen darf (RIS-Justiz RS0026106 [T2]).
6. In der Lehre wird zur Treuepflicht im gegebenen Zusammenhang Folgendes vertreten:
Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 [1997] Rz 3/203 f führt aus, sei die Gewinnverwendung gesellschaftsvertraglich ohne Einschränkung einem Gesellschafterbeschluss (der einfachen Gesellschaftermehrheit) überlassen, so bedeute dies keineswegs die Zulässigkeit willkürlicher Gewinnverteilung oder -zurückhaltung in der GmbH. Vielmehr sei von der Gesellschaftermehrheit die Treuepflicht einzuhalten: Danach dürfe der Beschluss das Entscheidungsermessen nicht überschreiten. Die Rücklagenbildung müsse im Interesse der GmbH geboten sein. Die ungebührlich hohe, bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht notwendige Bildung von Rücklagen sei unzulässig und daher anfechtbar. Enthalte der Gesellschaftsvertrag umgekehrt keine Gewinnverwendungs-vorschrift, so gebiete die Treuepflicht den Gesellschaftern, der Bildung von Rücklagen insoweit zuzustimmen, als steuerliche Begünstigungen davon abhingen und ihre Dividendeninteressen nicht übermäßig beeinträchtigt würden. Für den Einbehalt von Teilen des Gewinnes entgegen dem gesetzlichen oder einem gesellschaftsvertraglichen Ausschüttungsgebot müsse wohl ferner dann gestimmt werden, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bildung der Rücklage besonders stark ausgeprägt sei. Richtigerweise werde Unerlässlichkeit der Rücklagenbildung für die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft zu verlangen sein.
Dieser Ansicht folgen Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] § 39 Rz 14 und Bauer/Zehetner in Straube, GmbHG [2009] § 82 Rz 26.
Koppensteiner/Rüffler aaO § 61 Rz 10, vertreten weiters die Ansicht, die Gesellschafter seien verpflichtet, die Gesellschaft nicht zu schädigen. Bei der Wahrnehmung eigennütziger Rechte, etwa des Gewinnverteilungsanspruchs, seien die Gesellschafter im Regelfall dagegen nicht gehalten, ihre eigenen Interessen hinter jene der Gesellschaft zurückzustellen. Ein Wettbewerbsverbot treffe sie grundsätzlich nicht.
Moser,Gewinnausschüttung aus einer GmbH und einer AG in einer Verlustsituation ‑ ein gesellschaftsrechtlicher Vergleich, GesRZ 2008, 280 (282), meint, neben § 82 Abs 5 GmbHG könnte man einen Verzicht auf Gewinnausschüttung bei nach dem Bilanzstichtag bis zum Ausschüttungsbeschluss aufgetretenen Verlusten wohl auch als Ausfluss der Treuepflicht der Gesellschafter ansehen, weil eine ausreichende Eigenmittelausstattung im Interesse der Gesellschaft liegen werde. Insbesondere die Tatsache des Vorliegens erheblicher und nicht nur vorübergehender Verluste würden dieses Gebot unterstützen.
Bauer/Zehetner aaO § 82 Rz 45, führen aus, bei Existenzgefährdung der Gesellschaft, wenn der Gewinn (ganz) entnommen würde, gebiete die Treuepflicht eine (teilweise) Belassung des Gewinnes in der Gesellschaft. Insbesondere bei vorsätzlich sittenwidriger Entnahme iSd § 1295 Abs 2 ABGB könne ein Schadenersatzanspruch der Gesellschaft bestehen.
7. § 82 Abs 5 GmbHG bezweckt ‑ ebenso wie § 82 Abs 1 GmbHG (RIS-Justiz RS0105518) ‑ (zumindest auch) den Gläubigerschutz (Koppensteiner/Rüffler aaO § 82 Rz 3 aE). Die Bestimmung wird deshalb zutreffend als zwingend angesehen (Koppensteiner/Rüffler aaO § 82 Rz 10; Gellis/Feil, GmbHG7 [2008] § 82 Rz 7). Daraus folgt, dass die Geschäftsführer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 82 Abs 5 GmbHG die Auszahlung selbst dann zu verweigern haben, wenn die Gesellschafter Gegenteiliges beschlossen haben sollten (Gellis/Feil aaO; Moser, GesRZ 2008, 280; Bauer/Zehetner aaO § 82 Rz 44). Es liegt in der Verantwortung der Organe der Gesellschaft (Geschäftsführer, allenfalls Aufsichtsrat), bei der Beschlussfassung über den Jahresabschluss auf zwischenzeitig eingetretene Verluste aufmerksam zu machen (Gellis/Feil aaO; Bauer/Zehetner aaO).
8. Aus der zitierten Rechtsprechung und Lehre ist für den vorliegenden Fall Folgendes abzuleiten:
8.1. Die Treuepflicht gebietet es einem Gesellschafter einer GmbH grundsätzlich nicht, die Interessen der Gesellschaft über seine eigenen zu stellen und ‑ sofern nicht gesellschaftsvertragliche Bestimmungen entgegenstehen ‑ immer schon dann gegen die Ausschüttung des Bilanzgewinnes zu stimmen, wenn die Thesaurierung für die Gesellschaft günstiger als die Ausschüttung ist.
8.2. Für die Ausschüttung des Bilanzgewinnes zu stimmen, kann jedoch im jeweils zu prüfenden Einzelfall dann treuwidrig sein, wenn die Interessen der Gesellschaft an der Thesaurierung die Interessen des Gesellschafters an der Ausschüttung massiv überwiegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bildung der Rücklage besonders stark ausgeprägt ist, nämlich dann, wenn die Rücklagenbildung für die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft erforderlich ist. Ein weiterer Fall der Treuwidrigkeit der Stimmabgabe für die Ausschüttung des Bilanzgewinnes liegt vor, wenn der Gesellschafter vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 82 Abs 5 GmbHG weiß, weil er sich dann gegen eine vom Gesetz gegebene, im Interesse des Gläubigerschutzes zwingende Ausschüttungssperre wendet.
9. Auf dieser Grundlage erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das erstinstanzliche Verfahren sei mangels ausreichender Feststellungen mangelhaft geblieben, als zutreffend. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
10. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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