OGH 14Os128/12y

OGH14Os128/12y29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Auslieferungssache der Mariana B*****, AZ 406 HR 254/12t des Landesgerichts Korneuburg, über die als Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO zu wertende Grundrechtsbeschwerde der betroffenen Person und deren Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens und auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Am 5. September 2012 leitete die Staatsanwaltschaft Korneuburg gemäß § 26 Abs 1 ARHG ein Auslieferungsverfahren gegen die moldauische und rumänische Staatsangehörige Mariana B***** ein und beantragte beim Landesgericht Korneuburg die Verhängung der Auslieferungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr (ON 1 S 1).

Entsprechend diesem Antrag wurde über die am 4. September 2012 um 18:00 Uhr festgenommene und noch am selben Tag in die Justizanstalt Wien Josefstadt eingelieferte Mariana B***** am 6. September 2012 nach deren Vernehmung die Auslieferungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 StPO iVm § 29 ARHG verhängt (ON 6 und 7) und nach Durchführung einer Haftverhandlung am 20. September 2012 fortgesetzt (ON 15).

Mit Ersuchen vom 3. September (richtig: Oktober) 2012 begehrte die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Moldau die Auslieferung der Genannten zur Strafverfolgung (ON 20). Nach dem entsprechenden Haftbefehl der Untersuchungsrichterin des Gerichts I***** vom 21. Mai 2012, AZ Nr 14-34/12, liegt der Betroffenen zur Last, am 12. Mai 2012 (tagsüber) als Spezialistin der Wechselstube bei der Agentur Nr 1, Niederlassung Nr 6 I*****, der AG „F*****, mit Sitz in der Stadt I*****, A*****-Straße *****, unter Amtsmissbrauch sich gesetzwidrig Geldmittel in National- und Fremdwährung in der Gesamthöhe von 585.245,94 Lei (39.017 Euro), die ihr in Übereinstimmung mit der Ausübung dieser Dienstpflichten zur Verwaltung anvertraut worden waren, angeeignet zu haben und danach in eine für Rechtsschutzorgane unbekannte Richtung geflohen zu sein, wodurch der AG 'F*****' materieller Schaden im besonders großen Ausmaß zugefügt worden sei. Diese Tat sei als Entwendung des Fremdvermögens in besonders großem Ausmaß nach Art 191 Abs 5 des moldauischen Strafgesetzes zu beurteilen, wofür eine Strafdrohung von acht bis fünfzehn Jahren vorgesehen sei; Verjährung trete dabei erst nach zwanzig Jahren ein (ON 20 S 15 ff, 27 und 31).“

Mit Beschluss vom 22. Oktober 2012 erklärte das Erstgericht die Auslieferung der Mariana B***** aufgrund des vorliegenden Auslieferungsersuchens der Republik Moldau unter Entfaltung von Spezialitätswirkung für zulässig. Nach österreichischem Recht sei die Tat als Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 2 (erster Fall) StGB zu qualifizieren (ON 25).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Beschwerde der Betroffenen gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 4. Dezember 2012, AZ 22 Bs 465/12m, 466/12h, nicht Folge (ON 35 des HR-Akts).

In der Begründung führte es - zusammengefasst - aus, dass die Annahmen zum Tatvorwurf und zur Identität der Betroffenen auf Basis der ausreichenden Auslieferungsunterlagen keinen erheblichen Bedenken (im Sinn des § 33 Abs 2 ARHG) begegnen.

Die Behauptung, die Auszuliefernde habe in ihrer Heimat kein der MRK entsprechendes Verfahren und sogar Folter zu erwarten, hielt das Oberlandesgericht auch mit dem Hinweis, dass die Republik Moldau MRK-Konventionsstaat ist, für nicht ausreichend belegt.

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit damit der Beschwerde der Betroffenen gegen die Zulässigkeit ihrer Auslieferung nicht Folge gegeben wurde, richtet sich die mit dem Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung verbundene, als Grundrechtsbeschwerde bezeichnete - aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung des Vorbringens ausschließlich - als Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a Abs 1 StPO) zu wertende Eingabe der Mariana B*****.

Im Wesentlichen macht sie unter Bezugnahme auf § 19 Z 1 und Z 2 ARHG eine Verletzung von Art 3 MRK mit der Behauptung von Folter und Vollstreckung von Strafen in einer dem Art 3 MRK widersprechenden Weise in der Republik Moldau und eine Verletzung von Art 6 MRK durch die unterbliebene Aufnahme von Beweisen, die den Tatverdacht beseitigt hätten, und mangels Fairness des Verfahrens in der Republik Moldau geltend.

Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO nimmt der Oberste Gerichtshof zwar die Befugnis in Anspruch, den Vollzug mit Erneuerungsantrag bekämpfter Entscheidungen zu hemmen. Ein Antragsrecht betroffener Personen ist daraus jedoch nicht abzuleiten (RIS-Justiz RS0125705). Das diesbezügliche Begehren war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zum Erneuerungsantrag:

Zu Art 3 MRK:

Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (vgl insbesondere die Leitentscheidung des EGMR 7. Juli 1989, Nr 14038/88, Soering gegen Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1989, 314; weitere Nachweise bei Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 7).

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR hat der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Vielmehr muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein reales, an Hand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, die betroffene Person würde im Empfängerstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 8 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR; Zimmermann in Grote/Marauhn, EMRK/GG Kap 27 Rz 53; 11 Os 46/08m).

Grundsätzlich ergibt sich kein Hinderungsgrund für die Auslieferung, wenn den Betroffenen im Verfolgerstaat ein Strafverfahren mit oder ohne Untersuchungshaft erwartet oder wenn er wegen einer strafrechtlichen Verurteilung in Haft genommen werden soll, solange die Umstände der Haft selbst nicht gegen Art 3 MRK verstoßen (Villiger, EMRK² Art 3 Rz 301).

Haftbedingungen können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sein, auch wenn sie nicht darauf abzielen, den Gefangenen zu demütigen oder zu erniedrigen. Sie verletzen Art 3 MRK, wenn sie erhebliches psychisches oder physisches Leid verursachen, die Menschenwürde beeinträchtigen oder Gefühle von Demütigung und Erniedrigung erwecken (EGMR 15. 7. 2002, Nr 47095/99, Kalashnikov gegen Russland). Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände, so zB Überbelegung, mangelhafte Heizung oder Lüftung, übergroße Hitze, sanitäre Verhältnisse, Schlafmöglichkeit, Ernährung, Erholung und Außenkontakte sowie gegebenenfalls ihr kumulativer Effekt (vgl Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 3 Rz 29).

Bei Abschiebung in einen Staat, der Vertragspartei der MRK ist, ist die Verantwortlichkeit des ausliefernden Staats eingeschränkt, wenn der Betroffene im Zielland rechtzeitig Rechtsschutz erlangen kann (vgl Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 10).

Vorliegend haben die Gerichte die konkrete Mariana B***** treffende Gefahr einer gegen Art 3 MRK verstoßenden Behandlung im Zielstaat unter Berücksichtigung ihrer Behauptungen sowie der vorgelegten Berichte von Amnesty International in tatsächlicher Hinsicht verneint.

Indem Mariana B***** die Behauptung einer sie im Besonderen treffenden Gefahr schlicht aufrecht hält und einmal mehr auf den Amnesty International Report 2012 verweist, der Einzelfälle von Folter und Misshandlungen während Polizeihaft, insbesondere infolge von Demonstrationen nach Parlamentswahlen im April 2009, enthält, weckt sie gegen diese Beurteilung keine Bedenken. Die Erneuerungswerberin vermochte insbesondere dem Argument des Beschwerdegerichts, wonach dem gegenständlichen Auslieferungsersuchen (nur) der Vorwurf von Vermögensdelinquenz ohne politische oder allgemeine Bedeutung zugrunde liege, kein überzeugendes Argument entgegenzusetzen.

Der Nachweis konkreter Anhaltspunkte und stichhaltiger Gründe für die Annahme einer individuellen Gefahr erscheint nur dann verzichtbar, wenn der ersuchende Staat eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweist (vgl Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl S 190); die bloße Möglichkeit von Übergriffen, die auch in jedem Rechtsstaat vorkommen, macht die Auslieferung hingegen nicht unzulässig (RIS-Justiz RS0118200).

Soweit die Erneuerungswerberin betreffend die aktuellen Haftbedingungen in der Republik Moldau die Berücksichtigung von im Internet (unter www.staatendokumentation.at und www.cpt.coe.int ) abrufbaren - nicht näher spezifizierten - Berichten) einfordert, macht sie nicht klar, inwiefern sich daraus eine andere Einschätzung ihres Risikos, Opfer von Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Haftbedingungen zu werden, ergeben hätte.

Zu Art 6 MRK:

Das Oberlandesgericht hat - wie erwähnt - die Frage nach dem Vorliegen erheblicher Bedenken, ob Mariana B***** der ihr angelasteten Straftat nach den Auslieferungsunterlagen hinreichend verdächtig ist (vgl § 33 Abs 2 ARHG), verneint. Indem die Beschwerdeführerin die dazu vom Beschwerdegericht angestellten Erwägungen kritisiert, spricht sie keine Grundrechtsverletzung an. Die deutliche und bestimmte Bezeichnung, in welchem Grundrecht sich die Beschwerdeführerin als verletzt erachtet und worin diese Verletzung bestehen soll, ist aber Voraussetzung der inhaltlichen Erörterung eines auf Grundrechtsschutz zielenden Vorbringens (vgl RIS-Justiz RS0117728).

Soweit mangelnde Fairness des Verfahrens vor den österreichischen Gerichten über die Zulässigkeit der Auslieferung zufolge Unterlassens der Aufnahme von Beweisen (Beischaffung des Strafakts aus der Republik Moldau, des Arbeitsvertrags der betroffenen Person mit der AG F*****, von Videoaufnahmen der AG F***** und von Identitätspapieren der AG F*****) reklamiert wird, ist zu erwidern, dass das Auslieferungsverfahren selbst nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fällt.

Dessen Verfahrensgarantien können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat ein faires Verfahren offenkundig verweigert würde („flagrant denial of a fair trial“; RIS-Justiz RS0123200; 13 Os 156/11g; Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 14; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 6 Rz 167). Es sind substanziierte Gründe für eine drohende Verletzung von Art 6 MRK im Strafverfahren des ersuchenden Staats vorzubringen; der pauschale Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit genügt nicht (Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 15).

Mit dem Hinweis, dass laut Amnesty International ein Viertel aller Beschwerden an die moldauische Ombudsstelle unfaire Gerichtsverfahren betreffen und 42 % der moldauischen Bevölkerung kein Vertrauen in die eigene Justiz haben, werden solche grundlegende Bedenken im Sinn der Rechtsprechung (vgl zum restriktiven Maßstab des EGMR dessen Urteil vom 27. 10. 2011, Nr 37.075, Ahorugeze gegen Schweden [Z 113 ff]) nicht geweckt.

Ebenso wenig sind im Erneuerungsantrag genannte Verurteilungen der Republik Moldau durch den EGMR (EGMR 10. 5. 2007, Nr 14.437/05 Modarca gegen Moldau; EGMR 10. 3. 2009, Nr 39.806/05 Paladi gegen Moldau) geeignet, Zweifel an einem fairen Strafverfahren gegen Mariana B***** in diesem Staat aufkommen zu lassen. Die Genannte legt auch gar nicht dar, warum und gegebenenfalls welche Schlussfolgerungen aus den ins Treffen geführten Entscheidungen in Bezug auf das sie betreffende Strafverfahren zu ziehen wären.

Der Erneuerungsantrag war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zurückzuweisen.

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