OGH 14Os118/12b

OGH14Os118/12b29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hubert B***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 19. Juni 2012, GZ 36 Hv 149/11y-48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hubert B***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB in der Fassung BGBl I 1998/153 (A) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl I 1998/153 (B) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl 1974/60 (C) schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen 6. und 9. Jänner 2000 in L*****

(A) mit der am 18. April 1991 geborenen Rafaela P***** den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen vorgenommen, indem er zunächst Finger in ihre Scheide einführte, diese dehnte und sodann den Beischlaf mit ihr unternahm, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich ein mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundenes posttraumatisches Belastungssyndrom von Krankheitswert, zur Folge hatte;

(B) außer dem § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der Genannten vorgenommen, indem er sie oberhalb ihres Schianzugs an der Brust und im Vaginalbereich betastete;

(C) durch die zu A und B beschriebenen Taten mit einer unmündigen Person, die seiner Aufsicht und Ausbildung unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Weshalb die beantragte Einholung eines medizinischen Gutachtens das vom Antragsteller behauptete Ergebnis, „dass eine Penetration bei einer 8-Jährigen durch einen Erwachsenen nicht … bzw nur mit äußerst schweren Verletzungen bei dem Mädchen möglich ist“, erwarten lasse und eine allenfalls erlittene Verletzung des Tatopfers etwa zwölf Jahre später noch diagnostizierbar sein sollte, wurde im Antrag nicht dargelegt, womit er auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung zielte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Zudem hätte es eines Vorbringens dazu bedurft, warum anzunehmen sei, dass sich die Zeugin Rafaela P***** bereitfinden werde, sich einer entsprechenden körperlichen Untersuchung zu unterziehen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350; RIS-Justiz RS0118956 [T1 - T3], RS0098015).

Schließlich würde - wie in der Abweisung des Beweisantrags richtig erkannt - bereits die bloße Berührung der Geschlechtsteile mit Penetrationsvorsatz zur Vollendung der Tat genügen.

Dem Vorbringen der Mängelrüge zuwider ist die Begründung der Urteilsannahme zur (hier überwiegenden) Kausalität der verfahrensgegenständlichen sexuellen Übergriffe für das beim Tatopfer vorliegende Beschwerdebild einer psychischen Störung in Form eines posttraumatischen Belastungssyndroms von Krankheitswert (US 7, 12) weder unvollständig noch offenbar unzureichend oder aktenwidrig (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall).

Die Tatrichter stützten diese Feststellung - logisch und empirisch einwandfrei - auf das Gutachten des neuropsychiatrischen Sachverständigen Dr. G***** (US 12). Dieser hatte zwar - wie die Beschwerde isoliert hervorhebt - in der schriftlichen Expertise ausgeführt, dass die Ursache der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit der „hier notwendigen“ Sicherheit nicht angegeben werden könne, genetische Faktoren nicht auszuschließen sind und Rafaela P***** schon im Kleinkindalter (ab dem zweiten Lebensjahr) verhaltensauffällig gewesen ist (ON 15 S 24, ON 39 S 38). Im Rahmen der Gutachtenserörterung in der Hauptverhandlung wiederholte er aber nicht nur seine schon schriftlich deponierte Einschätzung, wonach die verfahrensgegenständlichen Erlebnisse durchaus geeignet sind, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen (ON 15 S 27), sondern präzisierte diese Aussage ausdrücklich dahin, dass das Beschwerdebild des Tatopfers im Falle der Erweislichkeit der Tathandlung zumindest überwiegend auf diesen Vorfall zurückzuführen sei und im Rahmen der Befundaufnahme keine Hinweise auf andere Ereignisse gefunden werden konnten, die geeignet wären, eine solche Störung auszubilden (ON 39 S 38 f und 42 f), worin auch ein erörterungsbedürftiger (Z 5 zweiter Fall) Widerspruch nicht zu erblicken ist.

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall), die dann vorliegt, wenn ein Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431), wird mit der - das Vorbringen zur Unvollständigkeit wiederholenden - Bestreitung der Eignung der Expertise als Grundlage für die kritisierte Feststellung der Sache nach nicht behauptet.

Schließlich ist diese Urteilsannahme - dem weiteren Beschwerdestandpunkt zuwider - auch keineswegs nach Denkgesetzen unvereinbar (Z 5 dritter Fall) mit jener, wonach Rafaela P***** im Jahr 2006 aufgrund der seit früher Kindheit berichteten Störung der emotionalen und sozialen Regulation als Differenzialdiagnose auch die Entwicklung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung attestiert wurde (US 6). Für die Zurechnung einer Erfolgsqualifikation (hier § 206 Abs 3 erster Fall StGB) zu einer Tat genügt zudem - wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei - grundsätzlich, dass diese neben anderen Ursachen (mit-)kausal ist (SSt 61/1; 12 Os 190/10y; 15 Os 9/11d; Kienapfel/Höpfel AT13 Z 10 Rz 5; Burgstaller in WK² StGB § 80 Rz 68).

Die Ableitung objektiver und subjektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs und der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite aus den Tatumständen und dem objektiven Geschehensablauf im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung und dem Fehlen von Anhaltspunkten dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten den Eintritt einer schweren Körperverletzung nicht vorhersehen hätte können (US 11 f), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0116882), wogegen im Übrigen auch die von der Rüge zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum AZ 12 Os 3/09x nicht spricht.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) bezieht sich mit dem Einwand gegen die Annahme vollendeter Penetration aus dem oben genannten Grund nicht auf eine entscheidende Tatsache. Mit Hinweisen auf die schon unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 zweiter Fall angesprochenen Teile des Gutachtens des Sachverständigen Dr. G***** und auf einzelne Passagen aus dessen - zudem ohne Angabe der genauen Fundstelle in den Akten zitierte (vgl RIS-Justiz RS0124172) - Ausführungen zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers werden erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen (zur Kausalität und zur subjektiven Vorhersehbarkeit der schweren Folge) nicht geweckt.

Soweit auch unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 11 erster Fall die Annahme der Qualifikation des § 206 Abs 3 erster Fall StGB kritisiert wird, wird übersehen, dass insoweit nur jene die Strafbefugnis bestimmenden Umstände relevant sind, welche nicht Gegenstand zulässiger Anfechtung des Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666).

Mit der (auf Z 11 erster Fall iVm Z 5 und 5a gestützten) Forderung nach Berücksichtigung weiterer Milderungsgründe, höherer Gewichtung des - im Übrigen ohnehin als mildernd gewerteten (US 12) - (Teil-)Geständnisses des Angeklagten, dem Hinweis auf eine freiwillig begonnene Therapie „zur Aufarbeitung seiner sexuellen Bedürfnisse“ und der auf dieser Argumentation aufbauenden Kritik an der unterbliebenen Anwendung des § 41 StGB bringt die Beschwerde bloß ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 689, 728; RIS-Justiz RS0091303, RS0099920, RS0099911).

Das Verteidigungsverhalten oder „eine gewisse Gleichgültigkeit“ wurden - dem Beschwerdevorbringen (der Sache nach Z 11 zweiter Fall) zuwider - nicht als erschwerend in Anschlag gebracht.

Das Fehlen rechtlicher Erwägungen zur Strafbemessung (hier in Bezug auf § 41 Abs 1 StGB) zieht - entgegen dem weiteren Standpunkt der Sanktionsrüge - keine Nichtigkeit nach sich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 681, 691; RIS-Justiz RS0117723).

Die Anwendbarkeit des § 41 Abs 3 StGB haben die Tatrichter hinwieder nicht schlechthin (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 724, RIS-Justiz RS0091489) oder bloß aufgrund fehlender Reue des Angeklagten, sondern einzelfallbezogen auch wegen des hohen sozialen Störwerts der Taten sowie aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen (vgl zu solchen in Zusammenhang mit § 41 Abs 3 StGB Flora in WK² StGB § 41 Rz 25) verneint (US 13 f), worin ein unvertretbarer Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (Z 11 dritter Fall) nicht zu erblicken ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht die Schuldsprüche verfehlt nach der im Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage fällte, weil diese für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger war als das im Urteilszeitpunkt in Geltung stehende Recht (§ 61 zweiter Satz StGB).

Da dieser Subsumtionsfehler dem Angeklagten aber nicht nachteilig war, bestand insoweit kein Anlass zu einem Vorgehen im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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