Spruch:
Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 605 St 18/11b gegen Dkfm. Dr. Mirko K***** und andere Beschuldigte wegen Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen verletzen die jeweils am 6. März 2012 gefassten Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien, AZ 21 Bs 394/11m (395/11h, 396/11f, 397/11b, 398/11z, 399/11x, 400/11v, 401/11s, 402/11p, 403/11k, 404/11g, 405/11d) und AZ 21 Bs 31/12f, soweit damit Einsprüche wegen behaupteter rechtswidriger Durchführung staatsanwaltschaftlicher Durchsuchungsanordnungen durch die Kriminalpolizei zurückgewiesen wurden, § 106 Abs 2 zweiter Satz iVm § 107 Abs 1 letzter Satz StPO.
Diese Beschlüsse, die im Übrigen unberührt bleiben, werden im bezeichneten Umfang aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien insoweit die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wien führt zum AZ 605 St 18/11b ua gegen Dkfm. Dr. Mirko K***** ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen.
Mit Beschlüssen vom 18. Juli, 19. Juli und 13. Oktober 2011 (ON 53 bis 62, 79, 80 und 117 des Ermittlungsakts) bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien insgesamt 13 Anordnungen der Staatsanwaltschaft Wien auf Durchsuchung von Orten (§§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO).
Soweit vorliegend von Bedeutung, wies das Oberlandesgericht die (mit Beschwerden verbundenen - § 106 Abs 2 erster Satz StPO) Einsprüche, soweit diese gegen die kriminalpolizeiliche Durchführung der genannten Durchsuchungsanordnungen gerichtet waren, mit zwei am 6. März 2012 gefassten Beschlüssen (zu Punkt 5./ in AZ 21 Bs 394/11m [395/11h, 396/11f, 397/11b, 398/11z, 399/11x, 400/11v, 401/11s, 402/11p, 403/11k, 404/11g, 405/11d] und zu Punkt 2./ in AZ 21 Bs 31/12f) zurück. Das Beschwerdegericht verneinte dabei generell seine Befugnis zur Überprüfung kriminalpolizeilichen Verhaltens, weil die im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO enthaltene Wortfolge „oder Kriminalpolizei“ mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2010 als verfassungswidrig aufgehoben worden sei (BS 29 in AZ 21 Bs 394/11m - 21 Bs 405/11d und BS 22 in AZ 21 Bs 31/12f).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die genannten Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 2011/1 steht im Ermittlungsverfahren Einspruch an das Gericht jeder Person zu, die behauptet, durch (die) Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verstoß gegen Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.
Die Aufhebung der Wortfolge „oder Kriminalpolizei“ im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 2004/19 durch den Verfassungsgerichtshof erfolgte deshalb, weil die solcherart normierte Kontrolle (auch) selbstständiger Akte der Kriminalpolizei durch ordentliche Gerichte als Verletzung des Trennungsgrundsatzes (Art 94 B-VG) und des im Siebenten Hauptstück des B-VG ausgestalteten Rechtsschutzsystems (Art 129 ff B-VG) erachtet wurde (VfSlg 19.281/2010 = JBl 2011, 160). Als Folge dieses Erkenntnisses ist nunmehr der Rechtsschutz gegen polizeiliche Zwangsakte geteilt. Während aus eigener Macht gesetzte Befehls- und Zwangsmaßnahmen der Kriminalpolizei zur Verwaltung zählen und damit der Kognitionsbefugnis der jeweiligen UVS (§ 88 Abs 1 SPG) unterliegen (vgl Fabrizy, StPO11 § 106 Rz 1), ist kriminalpolizeiliches Handeln auf Basis einer - nicht offenkundig im Sinne eines Exzesses überschrittenen (vgl VfGH 20. 9. 2012, B 1233/11; Hengstschläger/Leeb, AVG § 67a Rz 37 mwN) - staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Gerichtsbarkeit (Art 90a B-VG) zuzurechnen (Wiederin, WK-StPO § 4 Rz 52; Reindl-Krauskopf, UVS oder Strafjustiz: Wer kontrolliert die Kriminalpolizei?, JBl 2011, 347).
Indem das Oberlandesgericht dennoch seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Einsprüche wegen behauptetem rechtswidrigen Verhalten der Kriminalpolizei anlässlich der Durchführung staatsanwaltschaftlicher Durchsuchungsanordnungen verneinte, verletzte es § 106 Abs 2 zweiter Satz iVm § 107 Abs 1 letzter Satz StPO.
Da eine nachteilige Wirkung aufgrund der zu Unrecht verweigerten Sachentscheidung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Feststellung dieser Gesetzesverletzung konkrete Wirkung zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO) und dem Oberlandesgericht die meritorische Entscheidung aufzutragen.
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