OGH 14Os92/12d

OGH14Os92/12d20.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael K***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligten Vesna R***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. Mai 2012, GZ 053 Hv 42/12a-89, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael K***** je eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (I) und nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. Juli 2011 in Wien eine schwere Körperverletzung absichtlich

(I) zuzufügen versucht (§ 15 StGB), und zwar Michael E*****, indem er mit einem Brotmesser mit etwa 20 cm langer Klinge mehrfach gegen dessen Hinterkopf einstach und, nachdem die Messerklinge abgebrochen war, mehrmals versuchte, ihm mit dem Messer mit verbliebener Klingenlänge von etwa 2 cm Stiche im Gesichtsbereich zu versetzen, wodurch Genannter oberflächliche Schnittwunden über dem linken Ohr und dem körpernahen Zwischenfingergelenk des linken Ringfingers, eine punktförmige Wunde links 5 mm oberhalb der Brustwarze und eine quer verlaufende Schnittwunde im Bereich des Grundgelenks des rechten Daumens erlitt;

(II) zugefügt, und zwar Vesna R*****, indem er auf sie mit dem Messer mit verbliebener Klingenlänge von etwa 2 cm mehrmals einstach und ihren Kopf gegen die Kante eines Küchenkastens schlug, wodurch sie eine oberflächliche, 7 cm lange Schnittwunde an der Halsmitte, eine tief reichende Stichwunde mit Schnittkomponente im Bereich des linken Nasenflügels mit Durchtrennung der Gesichtsknochen und der Nasenknorpel, eine tiefer gehende und eine oberflächliche Stichwunde an der linken Oberarmaußenseite, eine tiefer reichende Stichwunde an der linken Ellenbogenaußenseite und eine etwa 2 cm lange Rissquetschwunde an der rechten Stirnseite erlitt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge, nämlich eine auffallende Verunstaltung in Form einer Narbenbildung im Bereich des linken Nasenflügels, zur Folge hatte.

Das Schöffengericht verhängte hiefür über den am 12. März 1965 geborenen Angeklagten unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und ordnete gemäß § 23 Abs 1 StGB die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter an.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Ablehnung der (wiederholt; ON 81 S 109 und ON 88 S 15 ff) begehrten Vernehmung von Monika F***** zum Nachweis, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten nicht begangen habe und „kein Grund im Sinne des § 23 StGB vorhanden ist“. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Angeklagte nicht - weil er das Beziehungsende mit Vesna R***** nicht überwunden hätte - in der Absicht, die Genannte und Michael E***** mit dem Messer zu attackieren, das Lokal aufgesucht habe, „sondern er sich nach seinen Angaben bereits mit Frau Monika F***** verabredet hatte, mit der er auch, während Herr E***** das Lokal betrat, telefonierte“. Das Antragsvorbringen lässt offen, inwiefern die Genannte in der Lage sein sollte, verlässliche Angaben zum inneren Vorhaben des Angeklagten zu tätigen, und weshalb ein bloß zufälliger Aufenthalt des Angeklagten im Lokal geeignet sein solle, den Ausspruch über das Vorliegen der subjektiven Tatseite im Tatzeitpunkt maßgeblich zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0116987, RS0116503; RS0107445).

Der - wenn auch nach unbegründetem Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 81 S 113) erfolgten - Vernehmung des Manuel J***** (unter anderem zu einer Äußerung des Angeklagten nach der Tat, wonach es ihm leid tue, Vesna R***** und Michael E***** nicht richtig „erwischt“ zu haben; ON 88 S 7 ff, US 13) hat der Verteidiger des Angeklagten nicht widersprochen und auch keinen Antrag auf deren Unterbleiben gestellt (ON 81 S 113 f), womit sich auch das Vorbringen von Verstößen gegen die Waffengleichheit und das Fairnessgebot erledigt.

Soweit der Beschwerdeführer die Abweisung des - im Übrigen ohne konkretes Beweisthema gestellten - Antrags auf neuerliche Durchführung einer Tatrekonstruktion kritisiert, weil (angebliche) Widersprüche in der Aussage Michael E*****s eine Bestätigung der Angaben des Angeklagten erwarten lassen würden, legt er nicht dar, weshalb das begehrte Beweismittel nun neue, von den bisherigen abweichende Beweisergebnisse hervorbringen sollte (vgl § 55 Abs 1 letzter Satz StPO).

Auch unter dem Aspekt einer - grundsätzlich zulässigen (vgl RIS-Justiz RS0098429, RS0028345) - Beweisführung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Michael E***** ist der Antrag nicht berechtigt, weil sich aus dem Vorbringen keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dieser hätte in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (vgl RIS-Justiz RS0120109).

Das über das Antragsvorbringen hinausgehende Beschwerdevorbringen ist zufolge des sich aus dem Wesen des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich.

Aus welchem Grund (Z 5 zweiter und dritter Fall) der Angeklagte den späteren Tatort aufgesucht hat, ist unerheblich (vgl RIS-Justiz RS0116877).

Keine für die Schuld oder Subsumtion entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0127374) spricht die Rüge an, indem sie zum Schuldspruch I Feststellungen zu nur einzelnen Ausführungshandlungen (gegen den Hinterkopf geführte Stiche) von mehreren im Rahmen tatbestandlicher Handlungseinheit (vgl RIS-Justiz RS0122006) erfolgten Angriffen (auch durch gegen das Gesicht geführte Stiche; US 8) als unvollständig begründet (Z 5 zweiter Fall) reklamiert.

Der Einwand zum Schuldspruch II, die Feststellung zur Absicht des Angeklagten, durch gezieltes Versetzen von Schlägen und Stichen schwer zu verletzen, sei aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall), verfehlt den Bezugspunkt, weil Aktenwidrigkeit bei unrichtiger oder sinnentstellter Wiedergabe konkret bezeichneter Beweisergebnisse vorliegt, nicht aber in von einzelnen Beweisen abweichenden Tatsachenfeststellungen (RIS-Justiz RS0099524).

Die kritisierten Feststellungen stützte das Erstgericht weiterer Kritik (Z 5 zweiter Fall) zuwider mängelfrei auf die Aussagen der beiden Tatopfer zu deren fehlendem Eindruck von einem Fluchtwillen des Angeklagten und - basierend auf dem Gutachten des Sachverständigen - auf das Verletzungsbild (US 12 ff).

Indem die Rüge allein aus dem Umstand, dass sich Vesna R***** im Bereich der Tür zum Lagerraum befunden und einen Schlüsselbund in der Hand gehalten hat, ohne Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe auf eine panische Reaktion des Angeklagten zufolge fehlender Fluchtmöglichkeit schließt, bekämpft sie nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die Beweiswürdigung der Tatrichter.

Zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte durch Abwehrhandlungen der Opfer Verletzungen erlitt (Z 5 zweiter Fall) ist nicht entscheidend. Die Behauptung, diese (von den Tatrichtern in ihre Überlegungen miteinbezogenen; US 18) Verletzungen würden belegen, dass der Angeklagte von einem Angriff überrascht und „keine Zeit mehr für ein natürliches Ausweich- oder Abwehrverhalten hatte“, wendet sich erneut gegen die Beweiswürdigung.

Der Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zuwider erfordert § 23 Abs 1 StGB keine Feststellung der Ursächlichkeit eines Hanges (§ 23 Abs 1 Z 3 StGB) zu strafbaren Handlungen der in Z 1 genannten Art für die Begehung der Anlasstat. Die Verurteilung zu einer mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe nach Vollendung des 24. Lebensjahres ausschließlich oder überwiegend wegen derartiger Handlungen ist für die Erfüllung der gesetzlichen Merkmale des § 23 Abs 1 Z 1 ausschlaggebend.

Aus Z 11 zweiter Fall behauptet die Rüge einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zu der nach § 23 Abs 1 Z 3 StGB anzustellenden Prognose (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 f). Die Befürchtung der Begehung weiterer strafbarer Handlungen mit schweren Folgen hat sich - abgesehen vom hier nicht relevanten Fall eines Berufsverbrechers - auf einen aus der Person des Rechtsbrechers (Entwicklung, Charakter, Sozialverhalten), seinem Zustand im Entscheidungszeitpunkt und der Art der bisherigen Delinquenz (sogenannte Symptomtaten) zu erschließenden Hang zu solchen Taten zu gründen (Ratz in WK2 § 23 Rz 30).

Welcher weiteren, über die im Urteil dazu getroffenen Sachverhaltsannahmen zu den Prognosekriterien (US 5 bis 7, 9 f, 19 bis 22; vgl insbesondere auch US 10, wonach der Angeklagte eine so starke und bereits einen Grundzug der Persönlichkeit bildenden Neigung, vorsätzliche strafbare Handlungen gegen Leib und Leben zu begehen, aufweist, dass er dieser immer wieder erliegt und wegen dieser Neigung die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, er werde weiterhin vorsätzliche strafbare Handlungen gegen Leib und Leben mit schweren Folgen begehen, insbesondere mit hoher Wahrscheinlichkeit mit schweren und auch lebensbedrohlichen Körperverletzungen) hinaus es bedurft hätte, legt die Rüge nicht dar.

Indem die Sanktionsrüge (nominell Z 11 zweiter Fall iVm Z 5 zweiter Fall) eine unvollständige Begründung der Prognose im Sinn des § 23 Abs 1 Z 3 StGB geltend macht, übersieht sie, dass insofern (vermeintlich) fehlende Sachverhaltsermittlung nur mit Berufung geltend gemacht werden kann (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680 und 693).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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