OGH 2Ob117/12p

OGH2Ob117/12p11.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei KR G***** L*****, vertreten durch Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Stefan Vargha, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 1.638.856,20 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. April 2012, GZ 3 R 41/12x‑131, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung kommt das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes zu (2 Ob 25/07a; 6 Ob 213/11h; RIS‑Justiz RS0074230). Es ist Pflicht des Berufungsgerichts, Nichtigkeitsgründe von Amts wegen wahrzunehmen. Tut es dies und kommt es zu einer Verneinung, dann hat dies dieselbe Wirkung, wie wenn es über eine geltend gemachte Nichtigkeit befunden hätte (9 ObA 119/10f; RIS‑Justiz RS0043823).

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Frage einer allfälligen Bindung des Erstgerichts an den im rechtskräftigen Strafurteil angenommenen Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit der späteren Gemeinschuldnerin von Amts wegen eingehend geprüft und verneint. Die vermeintliche Nichtigkeit kann somit nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Diese Anfechtungsbeschränkung kann auch nicht durch die Behauptung unterlaufen werden, die Verneinung der Nichtigkeit beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (6 Ob 213/11h mwN).

2. § 69 Abs 2 und 3 KO ‑ die (gleichlautenden) Bestimmungen der IO sind auf den vorliegenden Sachverhalt noch nicht anwendbar ‑ verpflichtet ua die organschaftlichen Vertreter juristischer Personen, bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Konkurseröffnung spätestens binnen 60 Tagen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Konkurseröffnung zu beantragen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nach herrschender Auffassung um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB, das alle Gläubiger vor (weiteren) Schäden durch die nicht rechtzeitige Konkurseröffnung schützen soll (RIS‑Justiz RS0027441). Vom Schutzzweck der Norm werden sowohl Altgläubiger, deren Forderungen im Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit bereits bestanden und die durch die Eingehung neuer Verbindlichkeiten geschädigt werden, als auch Neugläubiger, die durch die Begründung der Verbindlichkeit im Stadium der Zahlungsunfähigkeit insoweit geschädigt werden, als sie keine Gegenleistung erhalten, erfasst. § 69 Abs 2 KO verfolgt überdies nicht nur den Schutz der Alt‑ und Neugläubiger vor Quotenschäden (Differenz zwischen tatsächlicher und hypothetischer, bei rechtzeitiger Antragstellung erzielbarer Konkursquote), sondern es hat diese Bestimmung auch den Schutz der Neugläubiger vor (weitergehenden) Vertrauensschäden zum Ziel (4 Ob 31/07y; 2 Ob 241/06i; 1 Ob 134/07y; RIS‑Justiz RS0122035). Neugläubiger sind dabei so zu stellen, als hätten sie mit dem späteren Gemeinschuldner nicht mehr kontrahiert (2 Ob 241/06i mwN).

3. Zahlungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, alle seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann (3 Ob 99/10w mwN; RIS‑Justiz RS0064528). Für häufig vorkommende Durchschnittsfälle hat der Oberste Gerichtshof jüngst einen Schwellwert von 5 % als Orientierungshilfe für die Abgrenzung zwischen Zahlungsunfähigkeit und einer bloß vorübergehenden Zahlungsstockung festgelegt. Demnach kann eine Unterdeckung von etwa 5 % noch als Zahlungsstockung beurteilt werden (3 Ob 99/10w).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts beliefen sich die Verbindlichkeiten der späteren Gemeinschuldnerin Mitte des Jahres 1999 bereits auf insgesamt 52,5 Mio S. Davon waren, wie das Berufungsgericht ‑ in der Revision unwidersprochen ‑ ausführte, zum Ende des Jahres 1999 allein an kurzfristigen Lieferantenverbindlichkeiten und Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt mehr als 30 % zur Zahlung fällig. Die darauf gegründete Annahme der Vorinstanzen, mit Ende des Jahres 1999 sei objektiv die Zahlungsunfähigkeit der späteren Gemeinschuldnerin eingetreten, hält sich im Rahmen der erörterten Rechtsprechung und lässt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen.

4. Es wäre Sache des Beklagten gewesen darzulegen, dass aus damaliger Sicht (ex ante) dennoch nur eine Zahlungsstockung vorlag, weil konkrete Aussichten auf die alsbaldige Behebung der Liquiditätsschwäche bestanden. In der erwähnten Entscheidung 3 Ob 99/10w wurde hierfür eine höchstmögliche Frist von drei Monaten als zeitliches Limit erachtet, bis zu dessen Ablauf die Zahlungsstockung behoben sein muss.

Der Beklagte führt in seiner Revision nur ins Treffen, dass sich die kurzfristig fälligen Lieferantenverbindlichkeiten von Ende 1999 bis zum 31. 3. 2000 von 13,2 Mio S auf 5,5 Mio S verringert hätten. Das Vorliegen einer bloßen Zahlungsstockung lässt sich damit aber nicht begründen, liefert doch das Argument des Beklagten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die spätere Gemeinschuldnerin Ende des Jahres 1999 mit einer raschen Tilgung aller ihrer fälligen Verbindlichkeiten konkret rechnen durfte. Auch insoweit ist dem Berufungsgericht eine Verkennung der Rechtslage nicht vorwerfbar.

5. Die Feststellung, der Beklagte habe „die Zahlungsunfähigkeit“ (gemeint sind wohl: die die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umstände) zum Ende des Jahres 1999 auch tatsächlich erkannt, ist dem den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachenbereich zuzuordnen.

Unerheblich ist, ob der Beklagte an dem Gespräch mit dem Kläger am 22. 12. 2000 persönlich teilgenommen hat. Nach den Feststellungen war es der Beklagte, der das weitere Vorstandsmitglied gebeten hatte, den Kläger wegen einer kurzfristigen Geldaushilfe in der Höhe von 25 Mio S zu kontaktieren. Das Vorstandsmitglied handelte, wie es mit dem Beklagten „besprochen“ worden war. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dieses Handeln sei (auch) dem Beklagten zuzurechnen, ist jedenfalls vertretbar und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

6. Das Berufungsgericht hat die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem Vertrauensschaden des Klägers eingehend geprüft und im Einklang mit den Ausführungen der Entscheidung 1 Ob 134/07y bejaht. Danach kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er aus dem Vorstand des Vereins ausgeschieden ist, noch ehe die Garantie des Klägers „schlagend“ wurde. Hätte er in Befolgung der ihn gemäß § 69 KO treffenden Verpflichtung im ersten Quartal des Jahres 2000 die Konkurseröffnung beantragt, hätte der Kläger keine Garantieerklärung abgegeben. Ein aufzugreifender Rechtsirrtum ist dem Berufungsgericht auch bei der Lösung dieser Rechtsfrage nicht unterlaufen.

Dem vermag der Beklagte in der Revision nichts Stichhältiges entgegenzusetzen: Ob der Beklagte im Einvernehmen mit dem weiteren Vorstandsmitglied in Täuschungsabsicht handelte, wie dies die Feststellungen über die subjektive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und das „Vorspiegeln“ einer nur kurzfristigen Liquiditätsschwäche implizieren, betrifft abermals nur die in dritter Instanz nicht mehr überprüfbare Tatsachengrundlage. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob aus der Erklärung des damaligen Vizepräsidenten der späteren Gemeinschuldnerin, es sei ihm erst nach den Weihnachtsfeiertagen 2000 möglich, dem Verein „weiteres Geld“ zuzuschießen, allenfalls auch anderes ableitbar gewesen wäre. Zu bemerken ist jedoch, dass diese offenbar weder betraglich noch zeitlich näher konkretisierte „Zusage“ im Gespräch mit dem Kläger nicht einmal erwähnt worden ist. Auf dessen Anfrage wurde die Rückführung des Garantiebetrags vielmehr (nur) aus Transfer‑ und Fernsehgeldern in Aussicht gestellt.

7. Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 134/07y die Ansicht vertrat, es sei nicht ausgeschlossen, dass ein Gläubiger aufgrund seiner besonderen Kenntnis der Finanzlage des Schuldners unter gewissen Umständen nicht vom Schutzzweck des § 69 Abs 2 KO erfasst sein könnte und ‑ je nach konkretem Kenntnisstand ‑ bei der Gewährung von Darlehen an den Schuldner auch ein Mitverschulden in Betracht komme. Wesentlich für ein allfälliges Mitverschulden sei auch, wie dem Gläubiger die finanzielle Situation des Schuldners dargestellt worden sei.

Diese Beurteilung stellt typischerweise auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ab und wirft daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger wider besseres Wissen ein kurzfristiger Liquiditätsengpass „vorgespiegelt“ und dessen Behebung aus Transfer‑ und Fernsehgeldern innerhalb eines Monats in Aussicht gestellt. Der Zeitpunkt des Gesprächs wurde überdies so gewählt, dass der Kläger unter Zeitdruck geriet und seine Entscheidung treffen musste, ohne vorher besondere Recherchen über die finanzielle Situation des Vereins anstellen zu können. Dass ihm dies als privater Garant auch gar nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, hat der Oberste Gerichtshof in der über eine Anfechtungsklage des Masseverwalters gegen den nunmehrigen Kläger ergangenen Entscheidung 9 Ob 52/06x bereits klargestellt.

Unter diesen Prämissen beruht die Beurteilung der Vorinstanzen, dass den Kläger kein ins Gewicht fallendes Mitverschulden treffe, auf einer vertretbaren Rechtsansicht. Ein Widerspruch zur Entscheidung 1 Ob 134/07y liegt nicht vor.

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