OGH 6Ob213/11h

OGH6Ob213/11h13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J***** P*****, 2. R***** P*****, beide *****, vertreten durch Dr. Ulrike Kreiseder, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. H***** P*****, vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen 173.776,60 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Juni 2011, GZ 3 R 70/11a-105, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Das Kind der klagenden Parteien starb in der Nacht vom 30. zum 31. 7. 2002, während des Geburtsvorgangs aufgrund einer nicht erkannten Uterusruptur. Der Beklagte wurde als der für den Geburtsvorgang verantwortliche Arzt im Strafverfahren wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung gemäß § 80 StGB verurteilt, weil er die Notwendigkeit einer Akutsectio nicht erkannte und zu spät eine Normalsectio einleitete. Wäre die Entscheidung zur Sectio bereits um 01:10 Uhr (anstatt 01:30 Uhr) getroffen worden, so wäre die Entbindung um 01:40 Uhr erfolgt und möglicherweise ein lebendes, wenn auch schwer geschädigtes Kind geboren worden.

Im Anschluss an dieses Ereignis litt die Erstklägerin cirka sechs Monate lang an einer Trauerreaktion. Daran anschließend lag eine posttraumatische Belastungsstörung in der Dauer von zwei Jahren vor. Im Anschluss daran trat eine persönlichkeitskausale Verbitterungsstörung ein, die bis zum heutigen Tag anhält. Hinsichtlich der Verbitterungsstörung kann keine Abgrenzung von einem alternativen Geburtsverlauf vorgenommen werden.

Ausgehend von diesem Sachverhalt gab das Erstgericht dem Zahlungsbegehren der Erstklägerin im Umfang von 27.148,84 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 86.494,69 EUR sA und das Feststellungsbegehren, der Beklagte hafte der Erstklägerin für sämtliche Schäden, die auf die vom Beklagten geleitete Geburt ... zurückzuführen sind, ab. Ein Schmerzengeldanspruch von 20.000 EUR erscheine angemessen. Zudem habe die Klägerin Anspruch auf Ersatz ihres Verdienstentgangs vom 24. 10. 2002 bis 31. 1. 2005. Weiters stehe ihr Ersatz von Therapiekosten bis zum 31. 1. 2005 sowie der Ersatz der bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Weg- und Fahrtkosten zu. Weil Dauerfolgen mit derselben Wahrscheinlichkeit auch bei Geburt eines schwer behinderten Kindes aufgetreten wären, sei das Feststellungsbegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Parteien keine Folge. Vom Strafgericht festgestellte Tatsachen, die über den Straftatbestand hinausreichen, würden das Zivilgericht nicht binden. Die eingetretene Verbitterungsstörung sei persönlichkeitskausal. Es liege keine psychosewertige Persönlichkeitsstörung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Erstklägerin ist nicht zulässig:

1.1. Der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung kommt das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes zu (RIS-Justiz RS0074230). Die vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit kann jedoch nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Diese Anfechtungsbeschränkung kann auch nicht durch die Behauptung unterlaufen werden, die Verneinung der Nichtigkeit beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0042981 [T15]).

1.2. Diese Bindung bezieht sich aber nur auf Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen. Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis besteht jedenfalls insoweit, als davon auszugehen ist, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dass dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal waren (RIS-Justiz RS0113561, RS0074219). Hingegen ist das Zivilgericht nicht an jede einzelne Feststellung des Strafurteils gebunden (1 Ob 150/09d, 1 Ob 134/07y).

1.3. Im Übrigen kam es - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte - im Strafverfahren auf die Feststellungen über die Dauer einer Akutsectio ab der Entbindungsentscheidungszeit nicht an, weil der Beklagte jedenfalls zu spät den Entschluss zur Durchführung einer Normalsectio anstatt der Akutsectio fasste.

2.1. Die Erstklägerin macht eine eigene Gesundheitsbeeinträchtigung iSd § 1325 ABGB geltend, indem sie - zusammengefasst - vorbringt, dass sie aufgrund des Vorfalls noch immer an psychischen Beeinträchtigungen leide und ihr dadurch ein Verdienstentgang über den 31. 1. 2005 hinaus bzw Therapiekosten und Weg- und Fahrtkosten entstanden seien.

2.2. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten handelt es sich jedoch nur um eine Persönlichkeitsstörung der Erstklägerin, die nicht als Krankheit einzustufen ist. Demnach liegt keine psychosewertige Persönlichkeitsstörung vor, sondern nur eine Situation, die einer - mit den Worten des Sachverständigen - „schwieriger wollen, aber durchaus können - Situation“ entspricht, bei der eine Person sich bewusst entschließt, so vorzugehen. Vor allem ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen, dass die Verbitterungsstörung mit derselben Wahrscheinlichkeit auch bei Geburt eines schwer behinderten Kindes auftreten hätte können. Damit wäre die Verbitterungsstörung der Erstklägerin aber nur dann nicht eingetreten, wenn das Kind lebend und gesund zur Welt gekommen wäre. Davon kann nach den Feststellungen der Vorinstanzen aber gerade nicht ausgegangen werden.

3. Soweit die Erstklägerin geltend macht, das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen Verfahrensmangel insoweit verneint, als die die Erstklägerin behandelnde Psychotherapeutin als Zeugin einzuvernehmen gewesen wäre, ist dem entgegenzuhalten, dass ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann (RIS-Justiz RS0042963). Im Übrigen können nach ständiger Rechtsprechung Sachverständigengutachten durch Zeugen nicht entkräftet werden (RIS-Justiz RS0040598).

4. Damit bringt die Revision aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

Stichworte