OGH 9ObA81/12w

OGH9ObA81/12w22.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Prim. Dr. E***** P*****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Fortbestands des Dienstverhältnisses (Revisionsinteresse: 20.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2012, GZ 8 Ra 66/11a-20, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Antrag, ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art 267 AEUV beim Europäischen Gerichtshof einzuleiten, wird zurückgewiesen.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Eine Prozesspartei hat nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452).

2. Im Verfahren ist nicht strittig, dass die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand gemäß § 134 Abs 4 Z 1 DO.B nach der Rechtsprechung als Arbeitgeberkündigung zu betrachten ist (RIS-Justiz RS0030344; 9 ObA 110/95 zur DO.B). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob das betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren gemäß § 105 Abs 1 ArbVG eingehalten wurde. Die Vorinstanzen haben die - von der Revisionswerberin auch gar nicht in Zweifel gezogene - Rechtsprechung beachtet, nach der die Verständigung des Betriebsrats nach § 105 Abs 1 ArbVG zwar nicht formgebunden ist, aber eindeutig, bestimmt und verständlich sein muss (RIS-Justiz RS0051581). Es kommt nicht auf den Wortlaut der Erklärung, sondern darauf an, wie diese objektiv unter Würdigung der dem Betriebsrat bekannten Umstände nach der Übung des redlichen Verkehrs aufzufassen ist (Wolliger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 35 mwH). Der Zweck des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens ist die Wahrung der Mitwirkungsbefugnisse der Arbeitnehmerschaft (9 ObA 255/90; 8 ObA 233/01z).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass hier nach den Umständen des konkreten Einzelfalls von einer iSd § 105 Abs 1 ArbVG ausreichenden Verständigung des Betriebsrats von der beabsichtigten Versetzung der Klägerin in den Ruhestand gemäß § 134 Abs 4 Z 1 DO.B auszugehen ist, ist alles andere als unvertretbar. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die dessen ungeachtet die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Es entsprach der üblichen Vorgangsweise der Beklagten, Angelegenheiten, die der Beschlussfassung des Vorstands vorbehalten sind und zu denen auch Versetzungen in den Ruhestand gehören, dem Betriebsrat durch Mitteilung der geplanten Tagesordnung zur Kenntnis zu bringen. Von dieser Vorgangsweise ist die Beklagte im konkreten Fall nicht abgewichen, sodass schon daher die Behauptung der Revisionswerberin, es läge keine der Beklagten zurechenbare Verständigung des Betriebsrats vor, nicht nachvollziehbar ist. Soweit sich die Klägerin auf § 134 Abs 4 Z 1 DO.B beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich diese Bestimmung nur auf die Versetzung in den Ruhestand (Kündigung) selbst, aber nicht auf die Verständigung des Betriebsrats von einer Kündigungsabsicht bezieht. Gerade aus dem der Tagesordnung beigeschlossenen Bericht war für den Betriebsratsvorsitzenden zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Beschlussfassung über die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand in der Vorstandssitzung erfolgen sollte. Darauf, dass die Klägerin - anders als in bisherigen Fällen - keinen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand gestellt hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Darüber hinaus hatte der Betriebsratsvorsitzende zu diesem Zeitpunkt ohnedies bereits seit langem Kenntnis darüber, dass die Beklagte beabsichtigte, die Klägerin spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahrs auch gegen ihren Willen in den Ruhestand zu versetzen und dass die Klägerin diesem Ansinnen ablehnend gegenüberstand. Die Behauptung der Revisionswerberin, für den Betriebsrat wäre die konkrete Absicht, die Klägerin in den Ruhestand zu versetzen, nicht erkennbar gewesen, findet in den Feststellungen keine Grundlage.

3. Die - bereits im Verfahren erster Instanz qualifiziert vertretene - Klägerin bestreitet in der Revision nicht, dass sie die Einrede, das „Kündigungsschreiben“ habe nicht den Formerfordernissen des § 8 der Satzung der Beklagten entsprochen, nicht erhoben hat. Entgegen ihren Ausführungen in der Revision ist das Vorliegen eines Formmangels nicht in jedem Fall von Amts wegen wahrzunehmen. Es regelt nämlich nicht allein § 8 Abs 1 der Satzung der Beklagten die Form der rechtsverbindlichen Akte des Vorstands (§ 453 Abs 1 Z 2 ASVG), sondern besteht daneben - worauf das Berufungsgericht auch hingewiesen hat - gemäß § 8 Abs 4 der Satzung eine Delegierungsmöglichkeit des Vorstands. Schon im Hinblick darauf wäre es daher im konkreten Fall an der Klägerin gelegen gewesen, die Einrede des Formmangels im Verfahren erster Instanz geltend zu machen und entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Da dies nicht geschah, ist das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass diese erstmals in der Berufung erhobene Einrede eine unbeachtliche Neuerung iSd § 482 ZPO darstellt.

4. Mit ihren Revisionsausführungen, dass die Kündigung rechtsunwirksam sei, weil die Bestimmung des § 134 Abs 4 Z 1 DO.B gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters nach dem Unionsrecht verstoße und daher unangewendet zu bleiben habe, zeigt die Klägerin ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Art 9 der GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG überlässt es den Mitgliedstaaten, die Sanktion für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot unter den verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen, die zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeignet sind (vgl 9 ObA 4/05m zur RL 76/206/EWG , mH auf EuGH C-177/88, Dekker). In diesem Zusammenhang hat der EuGH auch bereits ausgesprochen, dass im Fall einer diskriminierenden Entlassung die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden kann (EuGH C-271/91, Marshall). Diese Vorgaben der Richtlinie wurden durch die Bestimmung des § 26 Abs 7 GlBG (die § 12 Abs 7 GlBG nachgebildet ist, Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 26 Rz 43), ins innerstaatliche Recht umgesetzt.

Danach hat aber der Arbeitnehmer, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, wahlweise die Möglichkeit, eine wegen des Alters erfolgte diskriminierende Kündigung des Arbeitsverhältnisses (§ 17 Abs 1 Z 7 GlBG) entweder rückwirkend für rechtsunwirksam erklären zu lassen oder anstelle der Anfechtung einer diskriminierenden Beendigung einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen. Selbst die von der Revisionswerberin behauptete Unionsrechtswidrigkeit des § 134 Abs 4 Z 1 DO.B hätte daher im konkreten Fall lediglich die Anfechtbarkeit einer wirksamen Kündigung, nicht aber die hier bereits vorausgesetzte Rechtsunwirksamkeit der Kündigung zur Folge, worauf das Berufungsgericht ebenfalls hingewiesen hat (ebenso 9 ObA 124/10s zum völlig vergleichbaren Rechtsfolgenkatalog des § 12 Abs 7 GlBG). Ein Anfechtungsbegehren hat die Klägerin aber unstrittig nicht erhoben.

Die Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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