OGH 12Os50/12p

OGH12Os50/12p9.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Angrosch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Belal D***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 20. Jänner 2012, GZ 23 Hv 126/11d-179, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Einziehung eines Klappmessers aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Bregenz verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Belal D***** des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (1./) und des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ „am 12. Dezember 2010 in T***** Vachtan D***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich die Familienstreitigkeiten dadurch zu beenden, dass sich Vachtan D***** um die Familie des Angeklagten kümmert, nachdem dieser eine Zweitfrau geheiratet hatte, zu nötigen versucht, indem er ihm gegenüber äußerte, dass er ihn umbringe, wenn er nochmals nach B***** komme;

2./ am 19. Dezember 2010 in B***** in der Wohnung ***** seinen Bruder Vachtan D*****, den er vorerst durch einen Schuss mit einer Gaspistole und sodann mit einem gezielten, mit erheblicher Wucht bzw tief und heftig ausgeführten Messerstich mit einem insgesamt ca 23 cm langen Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca 9,5 cm in die Bauchvorderseite, aufgrund von Familienstreitigkeiten einschüchtern wollte, und sodann, unmittelbar nachdem Belal D***** die Wohnung verlassen hatte, im Stiegenhaus von seinem Bruder Vachtan D***** verfolgt und angegriffen wurde, durch einen weiteren gezielten, mit erheblicher Wucht bzw tief und heftig ausgeführten Messerstich mit oben angeführtem Klappmesser in die Bauchvorderseite zu töten versucht, wobei Vachtan D***** eine gut 13 cm lange Stich-Schnitt-Verletzung nahezu in Körperlängsrichtung in die Weichteile des rechten Mittel- und Unterbauchs verlaufend, sowie eine weitere bis zu ca 15 cm tiefe Stich-Schnitt-Verletzung an der linken Bauchvorderseite unter doppeltem Durchstich durch eine Dünndarmschlinge in den Hinterbauchraum erlitt, wobei die absteigende Bauchaorta und der linke Harnleiter nur knapp verfehlt wurden, sodass insgesamt zwei an sich schwere Verletzungen vorlagen, wobei jene in den linken Mittel- und Unterbauch konkret lebensgefährlich war und es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken ist, dass Vachtan D***** diese Stiche primär überlebte“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen auf Z 6, „9/10“ und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Gestützt auf Verfahrensergebnisse, die einer Verknüpfung des angedrohten Übels mit dem Nötigungsziel, zu verhindern, dass Vachtan D***** „nochmals nach B***** komme“, entgegenstünden, vermisst die Interrogationsrüge (Z 6) zu Schuldspruchpunkt 1./ eine Eventualfrage nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB.

Gegenstand einer Fragenrüge (Z 6) ist die Geltendmachung der Verletzung einer der in §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften. Deren gesetzeskonforme Ausführung erfordert die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen. Prozessförmig vorgebrachte Kritik am Unterlassen von Eventualfragen muss sich demnach auf ein entsprechendes Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, nämlich ein von jenem der Hauptfrage abweichendes Tatgeschehen, welches die Subsumtion des Prozessgegenstands unter eine (oder mehrere) andere als jene strafbaren Handlungen zur Folge hätte, auf die sich die Hauptfrage bezog, berufen, jene strafbaren Handlungen nennen, nach denen eventualiter hätte gefragt werden sollen und (erforderlichenfalls) den Bezug zu der der angestrebten Frage zu Grunde liegenden rechtlichen Kategorie methodengerecht herstellen (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23, 43).

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerde jedoch schon deshalb nicht gerecht, weil der weitere - unbekämpft gebliebene - Zweck der Nötigung, die Familienstreitigkeiten dadurch zu beenden, dass sich Vachtan D***** um die Familie des Angeklagten kümmere, die Subsumtion unter den Tatbestand des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB für sich allein zu tragen vermag.

Zutreffend weist der Beschwerdeführer in Ansehung der den Schuldspruch 2./ betreffenden, auf „Z 9/10“ gestützten Rüge darauf hin, dass ein Widerspruch zwischen Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) und Wahrspruch der Geschworenen ohne Verbesserungsauftrag unter dem Aspekt der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedeutungslos ist (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 69). Das dennoch erstattete Vorbringen, das Verdikt der Geschworenen stehe mit der Begründung der Niederschrift, wonach von keiner Notwehrsituation ausgegangen werde, in unauflöslichem, mit den Denkgesetzen unvereinbarem Widerspruch, geht daher ins Leere.

Der weiters geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der Z 10a greift seinem Wesen erst dann, wenn sich „aus den Akten“ (mithin aus dem aktenkundigen Beweismaterial, das in der Hauptverhandlung vorgekommen ist oder vorkommen hätte können und dürfen) nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen ergeben. Dieser formale Nichtigkeitsgrund will daher nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt der Mehrzahl von Tatrichtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer im einzelrichterlichen Verfahren zugelassenen Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).

Mit der Kritik an der Verneinung eines rechtswidrigen Angriffs des Zeugen Vachtan D***** im Stiegenhaus und demzufolge einer Notwehrsituation (Schuldspruch 2./) werden solche Bedenken ebenso wenig geweckt wie mit dem Vorbringen zu möglichen - in der Hauptverhandlung relevierten (ON 167 S 5) - Übersetzungsdivergenzen in Ansehung der Todesdrohung (Schuldspruch 1./).

Ob der erste - nach dem Wahrspruch der Geschworenen nicht mit Tötungsvorsatz geführte - Messerstich bereits in der Wohnung oder erst im Stiegenhaus erfolgte (Schuldspruch 2./), berührt ebenso wenig die Schuld- und Subsumtionsfrage wie die bereits in Erledigung des aus Z 6 erhobenen Einwands behandelte Annahme des Nötigungsziels der Verhinderung der Anwesenheit in B***** neben jenem, die Fürsorge für die Familie des Angeklagten zu übernehmen (Schuldspruch 1./).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch von einer nicht geltend gemachten, dem Angeklagten aber zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit betreffend das Einziehungserkenntnis überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO):

Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass die vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS-Justiz RS0121298). Davon kann bei einem Klappmesser ohne Hinzutreten besonderer Eigenschaften in der Regel nicht die Rede sein (vgl RIS-Justiz RS0082031; Ratz in WK² § 26 Rz 13). Feststellungen dazu als (notwendige) Grundlage der Gefährlichkeitsprognose hat das Erstgericht, das die Maßnahme bloß mit der Gesetzesstelle begründet hat (US 20 f), allerdings nicht getroffen (vgl 14 Os 83/10b).

Da der Berufung des Angeklagten lediglich ein gegen die Strafe gerichteter Anfechtungswille zu entnehmen ist, war die das Einziehungserkenntnis betreffende Nichtigkeit (Z 11) bereits vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§§ 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der den Ausspruch betreffenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zugunsten des Angeklagten verwehrt ist (vgl 14 Os 83/10b; 14 Os 59/10y; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7).

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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