OGH 3Ob130/12g

OGH3Ob130/12g8.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei R***** reg GenmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Kurz, Rechtsanwalt in Silz, gegen die verpflichtete Partei Dr. H***** R*****, wegen 305.225,90 EUR sA, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 3. April 2012, GZ 1 R 288/11a‑152, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 26. September 2011, GZ 2 E 963/06f‑149, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0030OB00130.12G.0808.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Mit Beschluss vom 1. März 2006 bewilligte das Erstgericht der Betreibenden aufgrund des zwischen den Streitteilen im Verfahren über eine Wechselmandatsklage geschlossenen Vergleichs vom 23. Juni 1995 zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Forderung von 305.225,90 EUR sA die Zwangsversteigerung einer Liegenschaft des Verpflichteten. Die Exekutionsbewilligung (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. August 2006, ON 25) erwuchs in Rechtskraft (3 Ob 268/07v, 282/07b, 31/08t).

Am 9. August 2010 beantragte der Verpflichtete einerseits die Einstellung der Exekution nach § 39 Abs 1 Z 10 EO und andererseits die Aufschiebung gemäß § 42 Abs 1 Z 3 EO bis zur rechtskräftigen Erledigung des (gleichzeitigen) Einstellungsantrags, weil der dem Exekutionsverfahren zugrunde liegende gerichtliche Vergleich vom 23. Juni 1995 kein tauglicher Exekutionstitel sei, zumal diesem Vergleich die prozessuale Wirksamkeit fehle. Bei seiner Protokollierung sei die Formvorschrift des § 212 Abs 6 ZPO verletzt worden.

Das Erstgericht stellte das Exekutionsverfahren nach § 39 Abs 1 Z 10 EO ein und schob es gleichzeitig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einstellungsantrag nach § 42 Abs 1 Z 3 EO ohne Auferlegung einer Sicherheitsleistung auf. Der Vergleich vom 23. Juni 1995 sei lediglich auf Schallträger aufgenommen und nicht in Vollschrift protokolliert worden, obwohl damals eine Protokollsabschrift von den Parteien nicht begehrt worden sei. Daher mangle es dem Vergleich ungeachtet einer allfälligen materiell‑rechtlichen Wirksamkeit an der prozessualen Wirksamkeit und damit der Eignung als Exekutionstitel. Ohne Bewilligung der Aufschiebung würde der Zweck des Einstellungsantrags vereitelt, weil als nächster Verfahrensschritt das Versteigerungsedikt bevorstehe.

Das Rekursgericht änderte die erstgerichtliche Verfahrenseinstellung dahin ab, dass es den Einstellungsantrag des Verpflichteten abwies. In Ansehung der Aufschiebung des Exekutionsverfahrens bestätigte es den erstgerichtlichen Beschluss. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil dieser Entscheidung jedenfalls unzulässig, gegen den abändernden Teil aber zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 171/10h die Klärung einer prozessualen Unwirksamkeit eines Vergleichs auch durch einen Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 10 EO grundsätzlich für möglich erachtet habe, das Rekursgericht dies aber ablehnte und sonstige Rechtsprechung hiezu fehle. Der Einstellungsgrund nach § 39 Abs 1 Z 10 EO sei verwirklicht, wenn bereits im Zeitpunkt der Exekutionsbewilligung ein die Exekution deckender Exekutionstitel nicht vorhanden gewesen sei oder damals eine entsprechende Bestätigung der Vollstreckbarkeit gefehlt habe. Der Tatbestand des § 39 Abs 1 Z 10 EO sei nicht bei jedem Mangel des Exekutionstitels, der bei richtiger rechtlicher Würdigung zur Abweisung des Exekutionsantrags hätte führen müssen, erfüllt, sondern nur dann, wenn der im Exekutionsantrag genannte Exekutionstitel als solcher schon im Zeitpunkt der Exekutionsbewilligung nicht oder nicht mehr bestanden habe, er entweder nie existiert habe oder er ‑ aus welchem Grund immer ‑ in der Zwischenzeit aus dem Rechtsbestand ausgeschieden sei. Nach dem übertragenen Tonbandprotokoll vom 23. Juni 1995 samt dem offenbar vom damaligen Verhandlungsrichter unterfertigten Rechtswirksamkeitsvermerk hinsichtlich dieses Vergleichs sei der diesem Exekutionsverfahren zugrunde liegende Titel nach wie vor im Rechtsbestand. Dass der Vergleich vom Verpflichteten angefochten oder dass im Erkenntnisverfahren ein Fortsetzungsantrag gestellt worden wäre, sei vom Einstellungswerber nicht einmal behauptet worden, ergebe sich auch aus den Akten des Erkenntnisverfahrens nicht. Die prozessuale Wirksamkeit eines Vergleichs und die Frage, ob der abgeschlossene gerichtliche Vergleich einen Exekutionstitel iSd § 1 Z 5 EO bilde, sei ausschließlich nach dem Prozessrecht zu beurteilen. Die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs könne von den Parteien mittels eines Fortsetzungsantrags geltend gemacht werden. Die Frage der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge Missachtung der Protokollierungsvorschriften sei demnach nur durch Antrag auf Fortsetzung im ursprünglichen Verfahren zu klären. Ein solcher Fortsetzungsantrag sei bislang nicht gestellt worden, demnach die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs vom 23. Juni 1995 bisher nicht festgestellt. Es sei überdies unerheblich, ob die Parteien tatsächlich eine Protokollsabschrift begehrt haben, wenn das Tagsatzungsprotokoll einschließlich des Vergleichstextes in Vollschrift übertragen und den Parteien auch tatsächlich zugestellt worden sei. Der Verpflichtete habe nicht nachweisen können, dass der genannte gerichtliche Vergleich als Exekutionstitel bereits im Zeitpunkt der Exekutionsbewilligung nicht oder nicht mehr bestanden habe. Der behauptete Einstellungsgrund sei daher nicht gegeben.

Der Revisionsrekurs des Verpflichteten, mit dem er die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Verfahrenseinstellung anstrebt, ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ob ein Vergleich einen Prozess beendet, ist ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen; ob ein verpflichtender Vertrag zustande gekommen ist, ausschließlich nach materiellem Recht (RIS‑Justiz RS0032464). Es entspricht herrschender Rechtsprechung, dass die prozessuale Wirksamkeit des Vergleichs und die Frage, ob der abgeschlossene gerichtliche Vergleich ein Exekutionstitel iSd § 1 Z 5 EO bildet, ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen ist (zuletzt 3 Ob 171/10h mwN; RIS‑Justiz RS0000093). Die Frage der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge Missachtung der Protokollierungsvorschriften ist demnach durch Antrag auf Fortsetzung im ursprünglichen Verfahren zu klären; in der Entscheidung 6 Ob 49/00z wurde explizit ausgesprochen, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs könne ausschließlich mit einem Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden. Daran hielt der Oberste Gerichtshof auch in 8 Ob 122/02h fest: Ist der Fortsetzungsantrag das geeignete Mittel, um die prozessuale Unwirksamkeit eines im Verfahren geschlossenen Vergleichs geltend zu machen, dann ist darüber auch in diesem Verfahren meritorisch zu entscheiden.

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die zu 3 Ob 171/10h die selben Parteien betreffende ‑ dort aber bei Erörterung der vom Verpflichteten erhobenen Oppositions‑ oder Impugnationsklage nicht entscheidungswesentliche ‑ Äußerung, dem Verpflichteten (dort Kläger) stehe auch der Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 10 EO offen, könnte nicht aufrecht erhalten werden. Die Äußerung war nach dem Kontext aber ohnehin nur dahin zu verstehen, dass der Einstellungsgrund der Z 10 erst nach erfolgreicher Unwirksamerklärung des Vergleichs im fortgesetzten Titelverfahren vorliegt und nur dort zu prüfen ist, wie sich aus der weiteren, mit Bezug auf die E 6 Ob 49/00z gegebenen Begründung ergibt, dass die prozessuale Unwirksamkeit eines Vergleichs ausschließlich mit einem Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden kann.

Mangels Fortsetzungsantrags des Verpflichteten im Erkenntnisverfahren und infolge Fortbestands des in seiner Rechtswirksamkeit vom Gericht, vor dem er geschlossen wurde, bestätigten Vergleich, der als Exekutionstitel dem Versteigerungsverfahren zugrunde liegt, wies das Rekursgericht den Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 10 EO zu Recht ab.

Die Frage, ob der Exekutionstitel als Vergleich infolge Missachtung der Protokollierungsvorschriften allenfalls prozessual unwirksam zustande gekommen sei, ist im Exekutionsverfahren nicht zu entscheiden.

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