OGH 8ObS3/12t

OGH8ObS3/12t28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch die Rechtsanwälte Steflitsch OG in Oberwart, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzentgelt (1.262,66 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 2012, GZ 8 Rs 11/12i-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Oktober 2011, GZ 17 Cgs 186/11f-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Gläubigerin eines Arbeitnehmers, der ihr aufgrund von Exekutionstiteln den Klagsbetrag schuldet. Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde am 3. 2. 2011 das Konkursverfahren eröffnet. Zur Hereinbringung der offenen Forderung gegen den Arbeitnehmer wurde der Klägerin am 20. 4. 2011 die Forderungsexekution nach § 294 EO in Ansehung seiner Ansprüche auf Insolvenzentgelt bewilligt und ihr diese Ansprüche zur Einziehung überwiesen. Die Beklagte wurde als Drittschuldnerin bekannt gegeben. In der Drittschuldnererklärung wurde die Forderung der Klägerin nicht anerkannt. Der Antrag der Klägerin auf Insolvenzentgelt im Umfang des Klagsbetrags wurde mit Bescheid der Beklagten vom 25. 5. 2011 unter Hinweis auf § 6 Abs 8 IESG abgelehnt.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 1.262,66 EUR sA. Die Verneinung ihrer Antragslegitimation stelle eine Missachtung der jüngeren Rechtsprechung dar.

Die Beklagte entgegnete, dass gemäß § 6 Abs 8 IESG einem Überweisungsgläubiger das Antragsrecht nur dann zustehe, wenn der verpflichtete Arbeitnehmer keinen Antrag auf Gewährung auf Insolvenzentgelt innerhalb der Antragsfrist gestellt und der Gläubiger gegen den Verpflichteten einen rechtskräftigen Exekutionstitel auf Durchsetzung der Verpflichtung zur Antragstellung bei der Beklagten erwirkt habe. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 6 Abs 8 IESG komme die Berechtigung zur Antragstellung bei der Beklagten grundsätzlich nur dem Anspruchsberechtigten zu. Die Voraussetzungen für das subsidiäre Antragsrecht eines Überweisungsgläubigers seien nicht gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auf 8 ObS 6/08b könne sich die Klägerin nicht berufen, zumal der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 6 Abs 8 IESG auf diese Rechtsprechung reagiert habe. Danach solle grundsätzlich nur dem Anspruchsberechtigten, also dem Arbeitnehmer selbst, das Antragsrecht auf Insolvenzentgelt auch hinsichtlich der gepfändeten, verpfändeten oder übertragenen Teile seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zustehen. Dem Gläubiger selbst stehe nur ein subsidiäres, eingeschränktes Antragsrecht zu. Über einen entsprechenden Exekutionstitel, nämlich auf Durchsetzung der Antragspflicht des Arbeitnehmers, verfüge die Klägerin nicht. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Auslegung des § 6 Abs 8 IESG höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine gänzliche Klagsstattgebung anstrebt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin hat in der Revision die tragenden Grundsätze der Entscheidung 8 ObS 6/08b (RIS-Justiz RS0124280), mit der der Oberste Gerichtshof die frühere Rechtsprechung zur (verneinten) Antragslegitimation eines Pfändungs- und Überweisungsgläubigers (vgl RIS-Justiz RS0076455; RS0006725) nicht aufrecht erhalten hatte, zutreffend dargestellt. In dieser Entscheidung wurde ausgeführt, dass nach § 8 Abs 1 IESG die Exekutionsordnung regle, inwieweit Ansprüche auf Insolvenzentgelt übertragen, verpfändet und gepfändet werden könnten. Nach § 290a Abs 3 EO sei der Anspruch auf Insolvenzentgelt in gleicher Weise pfändbar, wie der zugrunde liegende gesicherte Anspruch auf das arbeitsrechtliche Entgelt. Der Anspruch auf Insolvenzentgelt könne daher gepfändet und iSd § 308 EO zur Einziehung überwiesen werden. Durch die Überweisung zur Einziehung werde der betreibende Gläubiger berechtigt, die Forderung so geltend zu machen, wie sie dem Verpflichteten gegenüber dem Drittschuldner zustehe. Dem Überweisungsgläubiger kämen daher alle Ansprüche zu, die dem Verpflichteten aus dem IESG erwachsen würden. Dazu gehöre auch das Recht, den Antrag auf Insolvenzentgelt zu stellen. Vor diesem Hintergrund sei kein zwingender Grund ersichtlich, warum der Überweisungsgläubiger nicht berechtigt sein solle, unter Berufung auf die Überweisung zur Einziehung namens des Verpflichteten den Antrag auf Gewährung von Insolvenzentgelt zu stellen. Eine derartige Einschränkung der Rechtsstellung des Überweisungsgläubigers hätte einer gesetzlichen Anordnung bedurft, die nicht existiere.

2.1 Die Klägerin hat aber ebenso zutreffend die über einen Initiativantrag durch BGBl I 2009/90 herbeigeführte Gesetzesänderung dargestellt. Danach wurde dem § 6 IESG ein Abs 8 angefügt, der seit 1. 8. 2009 lautet:

„Die Berechtigung zur Antragstellung kommt nur dem Anspruchsberechtigten zu. Werden der Anspruch auf Insolvenzentgelt oder die nach § 1 Abs 2 gesicherten Ansprüche gepfändet, verpfändet oder übertragen, ist der Anspruchsberechtigte zur Antragstellung hinsichtlich des pfändbaren Teils der gesicherten Ansprüche verpflichtet. Kommt der Anspruchsberechtigte der Verpflichtung zur Antragstellung nicht innerhalb der Antragsfrist nach Abs 1 nach, so ist der Gläubiger zur Antragstellung hinsichtlich des pfändbaren Teils der gesicherten Ansprüche berechtigt, wenn er gegen den Anspruchsberechtigten einen rechtskräftigen Exekutionstitel betreffend die Verpflichtung zur Antragstellung erwirkt hat und diesen gemeinsam mit einem den Erfordernissen des Abs 2 entsprechenden Antrag binnen sechs Monaten nach dem Ende der Antragsfrist nach Abs 1 vorlegt. Die Verfahrensrechte und -pflichten eines antragsberechtigten Gläubigers entsprechen jener des Anspruchsberechtigten. Der Ablauf der Antragsfrist des Gläubigers ist während des Verfahrens zur Erlangung des Exekutionstitels betreffend die Verpflichtung des Anspruchsberechtigten zur Antragstellung gehemmt. Eine durch Nachsicht ermöglichte verspätete Antragstellung des betroffenen Anspruchsberechtigten ist auf jenen Teil der gesicherten Ansprüche beschränkt, der nicht bereits anderen Personen zuerkannt wurde.“

2.2 Nach der Begründung des Initiativantrags (679/A BlgNR 24. GP; vgl Drs, Neues aus dem Arbeits- und Sozialrecht, RdW 2009/524) soll - in Klarstellung der Rechtslage - grundsätzlich nur dem Anspruchsberechtigten, also im Regelfall dem Arbeitnehmer selbst, das Antragsrecht auf den Anspruch auf Insolvenzentgelt auch hinsichtlich der gepfändeten, verpfändeten oder übertragenen Teile seiner Ansprüche gegenüber dem insolvent gewordenen Arbeitgeber zustehen. Nur für den Fall, dass diese Antragstellung überhaupt unterbleibt oder nicht fristgerecht erfolgt, soll der Gläubiger die Möglichkeit haben - eingeschränkt auf die ihm nach dem Exekutionsrecht zustehenden Teile der Entgeltansprüche des Arbeitnehmers - einen Antrag auf Insolvenzentgelt zu stellen, wobei die verfahrensrechtliche Vorgangsweise für dieses subsidiäre Antragsrecht - nämlich Geltendmachung der Antragspflicht des Arbeitnehmers durch Klage - im Gesetz sowie in der Begründung des Initiativantrags näher beschrieben ist. Durch diese Gesetzesänderung soll ein unverhältnismäßiger Aufwand bei der Beklagten verhindert, durch die Einräumung eines subsidiären Rechts auf Antragstellung aber auch den Interessen der Gläubiger Rechnung getragen werden.

2.3 Die Beklagte weist in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der beschriebenen Gesetzesänderung zur ursprünglichen Rechtslage (siehe 9 ObS 16/92) zurückgekehrt sei. Die von der Klägerin argumentierte verfassungskonforme Interpretation des § 6 Abs 8 iVm § 8 Abs 1 IESG, wonach der Gläubiger im Sinn eines zusätzlichen Weges der Rechtsverfolgung ein Wahlrecht habe, entweder eine Überweisung des Anspruchs des Verpflichteten auf Insolvenzentgelt iSd § 308 Abs 1 EO zu erwirken oder den Schuldner im Zivilrechtsweg wegen der Pflicht zur Antragstellung bei der Beklagten zu klagen, steht nicht zur Verfügung.

Die Schranke der Interpretation bildet der äußerste mögliche Wortsinn, der die Grenze zwischen objektiver Auslegung und ergänzender Rechtsfortbildung darstellt (RIS-Justiz RS0016495). Die in Rede stehende Bestimmung unterscheidet ausdrücklich zwischen dem Arbeitnehmer als Anspruchsberechtigten und dem Überweisungsgläubiger und legt fest, dass die Antragslegitimation prinzipiell nur dem Anspruchsberechtigten selbst zusteht. Für den Überweisungsgläubiger wird ein subsidiäres Antragsrecht vorgesehen, das an bestimmte Voraussetzungen und eine bestimmte Vorgangsweise geknüpft ist. Die Bestimmung bezieht sich sowohl auf die Pfändung des Anspruchs auf Insolvenzentgelt als auch auf die Pfändung der gesicherten Ansprüche und ist daher umfassend zu verstehen. Ein Wahlrecht des Gläubigers im Sinn der Argumentation der Klägerin scheidet damit aus. Die Klagemöglichkeit des Gläubigers zur Durchsetzung der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Antragstellung (vgl dazu auch 8 ObS 396/97m) bzw zur Durchsetzung seines subsidiären Antragsrechts setzt somit eine Überweisung des gepfändeten Anspruchs voraus.

2.4 In der Entscheidung 8 ObS 6/08b hat der Oberste Gerichtshof die Antragslegitimation des Überweisungsgläubigers aus den allgemeinen Grundsätzen zum Forderungsübergang abgeleitet und darauf hingewiesen, dass eine Einschränkung der Rechtsstellung des Überweisungsgläubigers einer gesetzlichen Anordnung bedürfe. Eine derartige Anordnung liegt mit § 6 Abs 8 IESG nunmehr vor.

3.1 Die in der Revision angesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen nicht.

Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber. Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen. Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (VfGH 13. 3. 2008, B 1700/07).

3.2 Das Ergebnis der Entscheidung 8 ObS 6/08b wurde damit begründet, dass es inkonsequent sei, dem Überweisungsgläubiger auf die Möglichkeit zu verweisen, den Verpflichteten mittels Klage zur Antragstellung zu verpflichten. Der Umweg über die Klagsführung sei umständlich und kostenintensiv. Dieser Umweg werde überdies in den meisten Fällen erfolglos bleiben, weil es regelmäßig kaum möglich sein werde, gegen den Willen des Verpflichteten innerhalb der für die Antragstellung offenstehenden Frist ein rechtskräftiges Urteil zu erwirken.

Auf das zuletzt angeführte Argument hat der Gesetzgeber Bedacht genommen. Nach § 6 Abs 8 IESG ist die 6-monatige Frist zur subsidiären Antragstellung durch den Gläubiger während des Verfahrens auf Durchsetzung der Antragspflicht des Arbeitnehmers im Ablauf gehemmt. Die übrigen Erwägungen in der zitierten Entscheidung bezogen sich auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen und enthielt es nicht das Werturteil einer unsachlichen Regelung.

3.3 Schließlich vermag auch die Klägerin keine Überschreitung des dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraums darzulegen. Ein unsachliches In-Schutz-Nehmen der Mittel des Insolvenzentgelt-Fonds kann dem Gesetzgeber nicht vorgeworfen werden, weil für den Gläubiger ein durchaus gangbarer Weg der Rechtsdurchsetzung vorgesehen ist. Bei der (verpflichtenden) Antragstellung durch den Arbeitnehmer sind die gepfändeten und überwiesenen Teile der Ansprüche nach § 7 Abs 6 IESG ohnedies an den berechtigten Gläubiger abzuführen. Dem „mit Kosten und Zeit verbundenen Umweg“ steht das Ziel gegenüber, der Beklagten rechtliche Auseinandersetzungen mit außenstehenden Dritten zu ersparen. Mangels Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs 8 IESG idF BGBl I 2009/90 kann dem von der Klägerin angeregten Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof somit nicht näher getreten werden.

4. Zusammenfassend ergibt sich:

Nach § 6 Abs 8 IESG idF BGBl I 2009/90 steht das Antragsrecht auf Zahlung des Insolvenzentgelts nur dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer selbst zu. Dies gilt auch für gepfändete, verpfändete oder übertragene Teile des Insolvenzentgelts oder der gesicherten Ansprüche. Einem Überweisungsgläubiger steht nur das gesonderte subsidiäre Antragsrecht zur Verfügung, das nur bei Vorliegen der speziell normierten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden kann. Die Grundsätze der Entscheidung 8 ObS 6/08b können auf die neue Rechtslage nicht übertragen werden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs 8 IESG bestehen nicht.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch haben sich dafür Anhaltspunkte ergeben.

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