OGH 8Ob52/12y

OGH8Ob52/12y30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** E*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** K***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger und Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, 2. Dr. S***** T*****, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt GmbH in Leoben, wegen Feststellung (Streitwert 31.000 EUR) über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Februar 2012, GZ 5 R 142/11h-60, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Revision der klagenden Partei:

Die Vorinstanzen haben die Frage, ob die Zweitbeklagte die Grenzen der ihr als erfolgreicher Absolventin der Facharztprüfung nach § 3 Abs 3 ÄrzteG eingeräumten Befugnis, vorübergehend auch ohne Aufsicht eines für die Ausbildung verantwortlichen Facharztes tätig zu werden, überschritten und damit ein Schutzgesetz verletzt hat, mangels Kausalität für die Schädigung der Klägerin offen gelassen. Die Revisionsausführungen wollen anhand der zitierten Rechtsgrundlagen eine Überschreitung der eigenverantwortlichen Kompetenzen durch die Zweitbeklagte darstellen, lassen bei ihren Schlussfolgerungen aber die maßgeblichen Tatsachenfeststellungen außer Acht und zeigen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Auch die Haftung für die Übertretung eines Schutzgesetzes setzt eine dem Handeln oder Unterlassen des Haftpflichtigen zurechenbare Schadensursache voraus. Eine Haftung ist zu verneinen, wenn es dem vermeintlichen Schädiger gelingt, die Kausalität der Pflichtverletzung zumindest ernsthaft in Zweifel zu ziehen (RIS-Justiz RS0022474). Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist der Zweitbeklagten der Nachweis gelungen, dass alle von ihr gesetzten Behandlungsmaßnahmen lege artis erfolgten und auch der Oberarzt, wäre er schon früher beigezogen worden, keine anderen Maßnahmen veranlassen hätte können.

Welche subjektiven Überlegungen die Zweitbeklagte später doch dazu bewogen haben, den Oberarzt herbeizurufen, ob sie während der Operation seine fachliche Unterstützung oder „nur“ helfende Hände benötigte, ist für das Ergebnis ohne Relevanz. Die Zweitbeklagte könnte jedenfalls nur dann für eine zu späte Beiziehung des Oberarztes haften, wenn dieser bei früherem Erscheinen eine pflichtgemäße Handlung vornehmen hätte können, die sie selbst unterlassen hat. Dies war nach dem Sachverhalt nicht der Fall. Aus bloß abstrakten Möglichkeiten, die jedenfalls über das festgestellte fachgerechte und sorgfältige Verhalten eines Anästhesisten in der konkreten Lage hinausgegangen wären, kann keine Haftung abgeleitet werden.

Soweit die Revisionsausführungen unterstellen, die Zweitbeklagte hätte den Operateur nicht über die lebensgefährliche Verbrauchskoagulopathie der Klägerin informiert, setzen sie sich auch über den festgestellten chronologischen Ablauf hinweg. Die für die Schädigung der Klägerin letztlich ursächliche Verbrauchskoagulopathie trat erst im Verlauf des Eingriffs und damit bereits in Anwesenheit des Oberarztes ein.

Auch für die Prämisse, dass der Operateur in der konkreten Situation jemals eine andere als die gewählte Operationsmethode in Betracht gezogen und seine Auswahl von der Einschätzung des Anästhesisten abhängig gemacht hätte, fehlt jegliche Sachverhaltsgrundlage. Allein der Umstand, dass ein Sachverständiger im Gerichtsverfahren ex post eine andere Operationstechnik als „vernünftiger“ beurteilt hat, lässt diesen Schluss nicht zu. Es steht zudem fest, dass auch die tatsächlich gewählte Operationstechnik den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Zweitbeklagte als Anästhesistin über die Grenzen ihres fachlichen Aufgabengebiets hinaus nicht auch für die Methode oder Dauer der Operation verantwortlich war, stellt keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dar.

Es bedarf im vorliegenden Verfahren daher auch keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Begriff der „Aufsicht“ iSd § 3 Abs 3 ÄrzteG tatsächlich (und unabhängig vom erreichten Ausbildungsstand des Turnusarztes) der ständigen physischen Anwesenheit eines Facharztes bei jedem Behandlungsschritt gleichzuhalten ist, wie es dem Verständnis der Revision entspräche.

Eine über die Umstände des Einzelfalls hinaus für Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Revision insgesamt nicht auf.

2. Revision der erstbeklagten Partei:

Die Bekämpfung der Sachverhaltsfeststellungen der Tatsacheninstanzen ist in dritter Instanz nicht möglich (RIS-Justiz RS0108449). An diesem Grundsatz muss der Versuch der Revision, den in einer Verzögerung des gebotenen chirurgischen Eingriffs gelegenen Behandlungsfehler in Frage zu stellen, scheitern. Sie vermag insbesondere auch keinen Verstoß des von den Vorinstanzen herangezogenen ärztlichen Gutachtens gegen zwingende Denkgesetze (RIS-Justiz RS0040579 [T1]) darzulegen. Der Umstand, dass ein Privatgutachter eine andere Meinung als die beiden im erstinstanzlichen Verfahren und im Strafprozess beigezogenen Sachverständigen vertreten mag, reicht dafür nicht aus. Aus welchen Gründen gerade das im Berufungsverfahren erstmals relevierte Privatgutachten eine besonders erhöhte Richtigkeitsgewähr für sich beanspruchen könnte, versucht die Erstbeklagte zudem gar nicht erst zu begründen.

Die Ansicht, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob ein erstmals in zweiter Instanz vorgelegtes Privatgutachten die in einer Berufung geltend gemachten Behauptungen über Beweisfehler unterstützen könne und nicht das Neuerungsverbot verletze, ist schlicht unzutreffend. Werden erst im Berufungsverfahren neue Beweismittel vorgelegt, die die Unrichtigkeit einer entscheidungswesentlichen Tatsachenfeststellung belegen sollen, ist darin eine Verletzung des in § 482 Abs 2 ZPO geregelten Neuerungsverbots und nicht nur eine erlaubte Dartuung eines geltend gemachten Berufungsgrundes zu erblicken (RIS-Justiz RS0105484).

Auch die außerordentliche Revision der Erstbeklagten ist daher mangels Darlegung einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO normierten Bedeutung zurückzuweisen.

Stichworte