OGH 12Os32/12s

OGH12Os32/12s15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Thomas W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendgeschworenengericht vom 22. Dezember 2011, GZ 611 Hv 3/11t-96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Thomas W***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (A./) und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B./ und C./) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; unter einem wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StPO angeordnet.

Danach hat er in Wien

A./ am 1. Mai 2011 Michael F***** dadurch vorsätzlich getötet, dass er ihm zunächst mit dem Griff seiner Gaspistole von hinten auf den Kopf schlug, ihn würgte, ihm aus einer Entfernung von ca 20 cm wiederholt mit der Gaspistole gegen den Kopf schoss, ihm mit dem Fuß Tritte gegen den Hinterkopf versetzte, ihm sodann einen etwa 30 kg schweren Stein aus Hüfthöhe auf den Kopf fallen ließ und ihn schließlich im Donaukanal ertränkte;

B./ am 8. Jänner 2011 Michael P***** dadurch am Körper verletzt, dass er ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine Prellung des Kopfes und der Nase sowie eine Hautabschürfung im Bereich des Gesichts erlitt;

C./ am 27. Jänner 2011 andere Personen durch Versetzen von Schlägen gegen den Körper am Körper verletzt, und zwar

1./ Sabine Po*****, die dadurch eine Blutunterlaufung am Nasenrücken und ein Hämatom am linken Oberarm, sohin eine Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung von nicht mehr als 14-tägiger Dauer erlitt, sowie

2./ Monika Po*****, die dadurch eine Prellung am linken Arm, der rechten Hüfte und des rechten Beines, eine Beule am Hinterkopf sowie massive Hämatome am linken Arm, am Gesäß und am rechten Knie, sohin eine Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung von nicht mehr als 14-tägiger Dauer erlitt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die auf Z 5, 8 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Ihr kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Mit Verfahrensrüge (Z 5) bekämpft der Rechtsmittelwerber die Abweisung seines in der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 2011 gestellten Antrags auf „Einholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen-Gutachtens zum Beweis dafür, dass die ständige Gefährlichkeitsprognose nicht gegeben ist, zum Zeitpunkt der Befundaufnahme der Angeklagte unter Einfluss von Psychopharmaka mit Nebenwirkungen gestanden ist und er diese jetzt nicht mehr nimmt, und überdies für die Gefährlichkeitsprognose der Zeitpunkt des Urteilsspruchs maßgeblich ist und die Befundaufnahme des gegenständlichen Gutachtens über ein halbes Jahr zurückliegt“ (ON 95 S 113).

Die Abweisung dieses Beweisantrags durch den Schwurgerichtshof (ON 95 S 115) vermochte Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht zu verletzen, weil die unter Beweis gestellten Umstände durchwegs keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevanten Umstände oder die Sanktionsbefugnisgrenzen (Z 13 erster Fall iVm Z 5) betrafen. Vielmehr zielte das Begehren auf den Ermessensbereich der Prognoseerwartung nach § 21 Abs 2 StGB, der jedoch ausschließlich mit Berufung bekämpft werden kann (RIS-Justiz RS0114964, RS0099430, RS0099473 [insbesondere T16, T17 und T18]; Ratz in WK² Vor §§ 21-25 Rz 11). Das den Beweisantrag ergänzende Vorbringen im Rechtsmittel (womit insbesondere Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. D***** geäußert werden) ist aufgrund des Neuerungsverbots im Nichtigkeitsverfahren von vornherein unbeachtlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Soweit die Instruktionsrüge (Z 8) eine Erörterung bzw Erklärung des § 21 Abs 2 StGB vermisst und daraus ableitet, dass ein Irrtum der Geschworenen über die Folgen der Bejahung der Hauptfrage und demzufolge auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich die vorliegende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung zum Nachteil des Angeklagten auf die Beantwortung der Hauptfragen auswirkte, legt sie nicht dar, weshalb die Belehrungspflicht des § 321 Abs 2 StPO auch die möglichen Unrechtsfolgen erfassen sollte. Im Übrigen ist eine solche Instruktion der gemeinsamen Beratung des Schwurgerichtshofs und der Geschworenen über die Strafe (vgl § 338 StPO) vorbehalten (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 21 und § 338 Rz 2 ff; RIS-Justiz RS0100702 [T8], RS0100805).

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

Zutreffend weist die Sanktionsrüge (Z 13) jedoch darauf hin, dass die vom Erstgericht angeordnete Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB Feststellungen zu einweisungsrelevanten Tatsachen vermissen lässt und daher mit Rechtsfehlern im Sinn des § 345 Abs 1 Z 13 erster und zweiter Fall StPO behaftet ist:

So fehlt es an einer Klarstellung dahin, dass die festgestellte geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades für die Anlasstat (mit-)ursächlich geworden ist. Der Konstatierung eines solchen Kausalzusammenhangs kommt jedoch entscheidende Bedeutung zu (vgl Ratz in WK² § 21 Rz 11), sodass deren Fehlen Nichtigkeit des Ausspruchs nach § 21 Abs 2 StGB aus Z 13 erster Fall bewirkt (RIS-Justiz RS0115054; Ratz in WK2 Vor §§ 21-25 Rz 9; Murschetz, WK-StPO § 433 Rz 16).

Die Beschwerde (Z 13 zweiter Fall) vermisst weiters zu Recht über die Zitierung des Gesetzeswortlauts hinausgehende konkrete Urteilsannahmen für das Vorliegen einer den Kriterien des § 21 Abs 1 StGB entsprechenden Prognosetat. Denn die bloße Wiedergabe der verba legalia, wonach zu befürchten sei, „dass der Angeklagte unter dem Einfluss der festgestellten Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde“ (US 8), stellt noch keine ausreichende Feststellungsgrundlage dar, die geeignet wäre, die angeordnete Unterbringung des Nichtigkeitswerbers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB zu tragen. Die Prognosetat ist im Urteil - unter Berücksichtigung der Person und ihres Zustands sowie der Art der Anlasstat - zumindest ihrer Art nach näher zu umschreiben, um solcherart die rechtliche Beurteilung der zu erwartenden mit Strafe bedrohten Handlung(en) mit schweren Folgen (unter Beachtung der tatbestandsmäßigen Folgen wie auch sonstiger Tatauswirkungen) zu ermöglichen (vgl RIS-Justiz RS0118581 [T3, T9, T10], RS0113980 [T8, T10]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 721; ders in WK² § 21 Rz 24, 26).

Die aufgezeigten Mängel machen die Kassation des die Maßnahme anordnenden Ausspruchs und - wegen des untrennbaren Zusammenhangs (§ 289 StPO) - auch die Aufhebung des Strafausspruchs (vgl RIS-Justiz RS0100108, RS0115054; 11 Os 14/08f) erforderlich.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Einwände in der Sanktionsrüge.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in seinem Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufzuheben (§§ 344, 285e StPO) und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass in Bezug auf die im § 21 StGB genannte Befürchtung die im angefochtenen Urteil nicht näher substantiierte Feststellung, dass beim Angeklagten „eine prädikativ ungünstige Gefährlichkeitsprognose“ vorliege und somit die - fallaktuell nicht näher festgestellte - Prognosetat „zu befürchten“ sei (US 8) eine Anstaltsunterbringung nicht zu tragen vermag. Mit Befürchtung im Sinne des § 21 StGB ist die Bejahung einer hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung einer mit einem Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedrohten Tat zu verstehen (RIS-Justiz RS0089988, RS0090401; 12 Os 18/10d; Ratz in WK² Vor §§ 21-25 Rz 4). Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes reicht daher auch insoweit nicht aus, um die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung von - näher zu beschreibenden - Prognosetaten zum Ausdruck zu bringen.

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