OGH 14Os42/12a

OGH14Os42/12a15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichts Dr. Schwab, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schöfmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmut L***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. September 2011, GZ 44 Hv 116/11s-151, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, und des Verteidigers des Angeklagten Helmut L***** Mag. Rast zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. September 2011, GZ 44 Hv 116/11s-151, verletzt § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2, § 28 Abs 1 zweiter Fall und zweiter Satz, § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und Z 3, Abs 3 zweiter Fall SMG und § 270 Abs 2 Z 5 StPO sowie im Einziehungserkenntnis § 34 SMG iVm § 26 StGB.

Dieses Urteil, das im Ausspruch über das Unterbleiben des Verfalls unberührt bleibt, und der gemeinsam mit dem Urteil gefasste Beschluss auf Widerruf bedingter Entlassungen werden aufgehoben und die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Helmut L***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a (richtig wäre: Abs 1 zweiter und dritter Fall,) Abs 2 Z 1 SMG (A/I/b) und nach § 28a (richtig wäre: Abs 1 fünfter Fall,) Abs 2 Z 3 SMG (A/II/a/1), der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG (A/III/a) und nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (B) sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A/IV/a), Lukas P***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs (richtig wäre:) 1 zweiter (richtig wäre: und dritter) Fall SMG (A/I/a), teilweise auch nach § 12 zweiter Fall StGB (C) und nach §§ 28a (richtig wäre: Abs 1 fünfter Fall) Abs 2 Z 3 SMG, 15 StGB (A/II/a/2 und A/II/b) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A/IV/b) und Raimund S***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A/II/a/3) und der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 (richtig wäre: zweiter Fall) SMG (A/III/b) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A/IV/c) schuldig erkannt.

Danach haben in Wien und an anderen Orten

A./ vorschriftswidrig Suchtgift

I./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus den Niederlanden (richtig wäre: aus- und) nach Österreich eingeführt, und zwar

a./ Lukas P***** von Anfang Dezember 2010 bis Jänner 2011 in drei Angriffen insgesamt ca 240 Gramm Kokain;

b./ Helmut L***** von Anfang Februar 2011 bis 7. März 2011 in drei Angriffen ca 425 Gramm Kokain, ca 5 Gramm Cannabisharz und ca 45 Gramm Marihuana, wobei er die Straftat gewerbsmäßig begangen hat und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG, nämlich nach § 28 Abs 2 und Abs 4 Z 3 SMG idF vor BGBl I 2007/110 verurteilt worden ist;

II./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, wobei Helmut L***** und Lukas P***** die Straftat in Bezug auf Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge begangen haben, anderen

a./ überlassen, und zwar

1./ Helmut L***** von Frühjahr 2009 bis 7. März 2011 in zahlreichen Angriffen etwa 1.580 Gramm Kokain, 1.135 Gramm Cannabisharz und 45 Gramm Marihuana durch Verkauf und Übergabe an sieben im Urteil namentlich genannte Abnehmer;

2./ Lukas P*****

von Anfang 2010 bis 6. April 2011 in zahlreichen Angriffen etwa 1.080 Gramm Kokain, 30 Gramm „Speed“, 570 Gramm Marihuana, 22 Gramm MDMA und 5 Gramm Cannabisharz durch Verkauf und Übergabe an zehn im Urteil namentlich genannte Abnehmer und ein Gramm Kokain durch Verkauf an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts;

3./ Raimund S*****

von 2009 bis 7. April 2011 in zahlreichen Angriffen etwa 388 Gramm Kokain, 15 Gramm MDMA, zwei Gramm „Speed“ und drei Gramm Marihuana durch Verkauf und Übergabe teils an unbekannte, teils an sechs im Urteil namentlich genannte Abnehmer;

b./ zu überlassen versucht (§ 15 StGB), und zwar Lukas P***** am 7. April 2011 232,9 Gramm Kokain mit zumindest 106,1 Gramm Reinsubstanz durch Verkauf an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts;

III./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, und zwar

a./ Helmut L***** am 7. März 2011 313,6 Gramm Kokain und 201,6 Gramm Cannabisharz;

b./ Raimund S***** am 7. April 2011 95,99 Gramm Kokain, 73,89 Gramm MDMA, 0,92 Gramm Methamphetamin, 36,41 Gramm Marihuana, 61,41 Gramm Cannabisharz und 5 LSD-Trips;

IV./ wiederholt zum Eigenkonsum erworben und besessen, und zwar

a./ Helmut L***** von 2009 bis 7. März 2011 Kokain und Cannabisharz;

b./ Lukas P***** von Mai 2009 bis 7. April 2011 Kokain, Marihuana, Cannabisharz und LSD;

c./ Raimund S***** in einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum bis zum 7. April 2011 Kokain, Marihuana, Cannabisharz, LSD, MDMA, Speed und Methamphetamin;

B./ Helmut L***** von Februar 2011 bis 7. März 2011 in H***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten, zu AZ 41 Hv 43/11h des Landesgerichts für Strafsachen Wien bereits rechtskräftig verurteilten Thomas La***** als Mittäter (§ 12 StGB) 56 Stück Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift angebaut;

C./ Lukas P***** Helmut L***** im Zeitraum Anfang Februar 2011 bis 5. März 2011 in drei Angriffen zu den vom Schuldspruch A/I/b umfassten Taten bestimmt, indem er ihm das dort genannte Suchtgift übergab (A/II/a/2/kk) und ihn aufforderte, dieses gegen Entgelt nach Österreich einzuführen.

Während die Staatsanwaltschaft sowie Lukas P***** und Raimund S***** auf Rechtsmittel verzichteten (ON 150 S 79), erhob Helmut L***** dagegen Berufung und Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Entlassungen (ON 153 und 165), über die vom Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieses Urteil mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO hat das Gericht in den Entscheidungsgründen in gedrängter Darstellung - unter anderem - anzugeben, welche Tatsachen es als erwiesen angenommen hat; zum objektiven Tathergang somit den für den Schuldspruch und den anzuwendenden Strafsatz entscheidungswesentlichen Sachverhalt und dazu korrespondierende Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Danek, WK-StPO § 270 Rz 30, 35).

Ein Schuldspruch nach einem der Tatbestände des § 28 Abs 1 erster Satz SMG setzt ebenso wie ein solcher nach § 28a SMG voraus, dass der Täter eine der dort beschriebenen Handlungen in Bezug auf eine Suchtgiftquantität setzt, welche die sogenannte Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigt. § 28a Abs 2 Z 3 SMG pönalisert Tathandlungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Quantität. Als deren Bezugspunkt definiert das Gesetz die Reinsubstanz des jeweiligen Wirkstoffs (§ 28b SMG), aus welchem Grund ein Schuldspruch nach § 28 oder nach § 28a SMG Feststellungen genau dazu erfordert (RIS-Justiz RS0111350; Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28b Rz 10).

Eine Aussage zum Wirkstoffgehalt der tatverfangenen Suchtgifte lässt sich der angefochtenen Entscheidung nur zum Schuldspruch des Lukas P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, 15 StGB (A/II/a/2 und A/II/b) in Betreff der 232,9 Gramm Kokain entnehmen, die dieser am 7. April 2011 einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts zu verkaufen versuchte (A/II/b; US 6 und 12: „zumindest 106,1 Gramm Reinsubstanz“), woraus sich jedoch bloß das Übersteigen der siebenfachen, nicht jedoch der fünfzehnfachen Grenzmenge (vgl SGV Anhang 1: für Cocain 15 Gramm) ergibt. Darüber hinaus werden in den Entscheidungsgründen (ebenso wie im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis) ausschließlich Bruttomengen genannt, was (auch unter Berücksichtigung der im Tenor erfolgten Beifügung, es handle sich um eine die Grenzmenge oder deren Fünfzehnfaches übersteigende Menge [US 3, 6]) zur Beurteilung einer tatverfangenen Suchtgiftmenge als groß (§ 28b SMG) oder übergroß (§ 28a Abs 2 Z 3 SMG) nicht ausreicht (RIS-Justiz RS0111350; Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28b Rz 10). Welche Wirkstoffart die vom Schöffengericht bloß mit Handelsnamen („Speed“) bezeichneten Waren enthielten, lässt die Entscheidung ebenfalls offen (vgl RIS-Justiz RS0119257).

Weiters fehlen hinsichtlich sämtlicher den Schuldsprüchen zugrunde liegenden Taten ausreichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite, die eine Beurteilung, ob der Vorsatz der Angeklagten (§ 5 Abs 1 StGB, hinsichtlich Helmut L***** in Ansehung der bei ihm angenommenen Gewerbsmäßigkeit auch § 5 Abs 2 StGB) die Tatbildmerkmale der Vorbereitung von Suchtgifthandel und des Suchtgifthandels, insbesondere auch den an die bewusst kontinuierliche Tatbegehung geknüpften Additionseffekt (RIS-Justiz RS0088096), sowie jene des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften erfasste, ermöglichen (Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 27 Rz 3; § 28a Rz 37; § 28b Rz 40 ff).

Zur Täterintention finden sich in den Entscheidungsgründen nämlich bloß rudimentäre Ausführungen zu den Schuldsprüchen des Helmut L***** wegen des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (B) und des Lukas P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG (A/I/a).

Diese erschöpfen sich in Betreff des Helmut L***** in der Konstatierung, der Genannte habe gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Thomas La***** eine „professionell betriebene Cannabisplantage“ mit 56 Stück Cannabispflanzen „zum Zweck des Anbaus einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge Suchtgiftes“ errichtet und unterhalten (US 11), und vermögen damit die vorgenommene Subsumtion mangels - erforderlicher - Feststellung zum (erweiterten) Vorsatz, dass das Suchtgift in Verkehr gesetzt werde, nicht zu tragen (vgl RIS-Justiz RS0127351; Schwaighofer in WK2 SMG § 28 Rz 21).

Die zum Schuldspruch A/I/a des Lukas P***** getroffene Aussage, dieser habe im Dezember 2010 und Jänner 2011 in drei Angriffen jeweils „80 Gramm Kokain“ „in Umsetzung seines Entschlusses“, in die Niederlande zu fahren, um dort Kokain zum Eigenkonsum und zu Zwecke des Weiterverkaufs einzukaufen und nach Österreich einzuführen, geschmuggelt (US 11), lässt zwar deutlich genug den Willen der Tatrichter erkennen, einen die Aus- und Einfuhr von Suchtgift umfassenden Vorsatz des Genannten zu konstatieren, reicht aber aus den oben angeführten Gründen für die rechtliche Beurteilung des Täterverhaltens als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a (richtig:) Abs 1 zweiter (richtig:) und dritter Fall SMG ebenso wenig aus.

Bleibt anzumerken, dass das Schöffengericht in Ansehung des Angeklagten Lukas P***** auch die Strafbemessung nach § 28a Abs 3 SMG vornahm (US 9 und 14), obwohl der Genannte richtig wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, 12 zweiter Fall StGB (A/I/a und C) und nach §§ 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, 15 StGB (A/II/a/2 und A/II/b) zu verurteilen gewesen wäre (vgl aber US 8) und Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 28a Abs 3 (§ 27 Abs 5) SMG nicht getroffen wurden.

Das Einziehungserkenntnis in Bezug auf das „sichergestellte Suchtgift“ (US 2) determiniert hinwieder den Gegenstand der Einziehung nicht (13 Os 67/11v, 12 Os 160/11p), was von Amts wegen wahrzunehmen war (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 39).

Da sich diese Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil - weil derartige Konstatierungen vom Obersten Gerichtshof nicht nachgeholt werden können - (mit Ausnahme des Ausspruchs über das Unterbleiben des Verfalls) zur Gänze (zum Schuldspruch A/I/a vgl RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18) ebenso aufzuheben wie den davon abhängigen unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Entlassungen und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten Helmut L***** sind damit gegenstandslos.

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