OGH 10ObS48/12z

OGH10ObS48/12z3.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Jänner 2012, GZ 8 Rs 170/11w-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. August 2011, GZ 15 Cgs 1/11a-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren ist ausschließlich die Frage strittig, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung der von ihm begehrten Invaliditätspension nach der Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG idF der 75. ASVG-Nov (BGBl I 2010/111) erfüllt. Danach gilt auch der Versicherte, der das 57. Lebensjahr vollendet hat, als invalid, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen. Fallen in den Zeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag

1. neutrale Monate nach § 234 Abs 1 Z 2 lit a oder Monate des Bezuges von Übergangsgeld nach § 306, so verlängert sich der genannte Zeitraum um diese Monate;

2. Monate des Bezuges von Krankengeld nach § 138, so sind diese im Höchstausmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen.

Das Berufungsgericht vertrat dazu - zusammengefasst - die Rechtsansicht, in § 255 Abs 4 ASVG sei ein besonderer Tätigkeitsschutz bei Erreichung des 57. Lebensjahres geregelt, wenn innerhalb von 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag 120 Kalendermonate hindurch eine gleichartige Tätigkeit ausgeübt wurde. Zur Erleichterung der Erlangung dieses Tätigkeitsschutzes sollten nunmehr auf die 120 Monate auch Krankengeldbezugszeiten aus der Erwerbstätigkeit, nicht jedoch auch Krankengeldbezugszeiten aufgrund eines Arbeitslosengeldbezuges im Ausmaß von höchstens 24 Monaten angerechnet werden. Da der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Bauarbeiter im maßgebenden Zeitraum insgesamt 113 Kalendermonate und 29 Tage hindurch ausgeübt habe und als Krankengeldbezugszeiten nur die Zeiten des Krankengeldbezuges aus dieser Erwerbstätigkeit im Ausmaß von 3 Monaten und 29 Tagen zu berücksichtigen seien, erfülle er nicht die Anspruchsvoraussetzung der Ausübung einer Tätigkeit über einen Zeitraum von mindestens 120 Kalendermonate hindurch.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG idF BGBl I 2010/111 vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) - im Hinblick auf die mittlerweile zu der vom Berufungsgericht als rechtserheblich bezeichneten Rechtsfrage vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel im Wesentlichen geltend, aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG idF BGBl I 2010/111, wonach Monate des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG im Höchstausmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen sind, seien auch Zeiten des Krankengeldbezuges während der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass gemäß § 138 Abs 1 ASVG unter anderem „Pflichtversicherte“ Anspruch auf Krankengeld haben und es sich auch bei den Beziehern von Arbeitslosengeld gemäß § 40 Abs 1 AlVG um in der Krankenversicherung pflichtversicherte Personen handle. Wenn das Erstgericht alle Zeiten des Krankengeldbezuges des Klägers während seiner Arbeitslosigkeit festgestellt hätte, hätte es zu der Rechtsauffassung gelangen müssen, dass der Kläger im maßgebenden Beobachtungszeitraum mehr als 120 anrechenbare Kalendermonate iSd § 255 Abs 4 ASVG erworben habe.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Wie der Oberste Gerichtshof in der mittlerweile ergangenen und im RIS veröffentlichten Entscheidung 10 ObS 17/12s vom 13. 3. 2012 näher ausgeführt hat, sind auch nach der Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG durch die 75. ASVG-Nov (BGBl I 2010/111) ausschließlich Krankengeldbezugszeiten aus der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit auf die erforderliche Mindestdauer von 120 Kalendermonaten anzurechnen. Der erkennende Senat verwies dazu insbesondere auf die entsprechenden Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 206) sowie auf die systematisch-historische Berücksichtigung der beiden Vorgängerbestimmungen (§ 253d ASVG und § 255 Abs 4 ASVG aF). Auch nach der Novellierung der Voraussetzungen des besonderen Tätigkeitsschutzes gemäß § 255 Abs 4 Z 2 ASVG (bezüglich der für die Ausübung „einer“ Tätigkeit maßgebenden Zeiten) solle daher offenbar nicht jeder, sondern nur ein solcher Bezug von Krankengeld (durch maximal 24 Monate) angerechnet werden, der einer entsprechenden „Erwerbstätigkeit“ zuzuordnen sei; käme es doch andernfalls auch zu einer Besserstellung von kranken gegenüber gesunden Arbeitslosen, für die keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich sei.

2. Wenn der Revisionswerber demgegenüber die Ansicht vertritt, der Wortlaut der Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG idF BGBl I 2010/111 sei völlig eindeutig im Sinne seiner Rechtsauffassung zu verstehen, ist ihm entgegenzuhalten, dass § 138 ASVG die Anspruchsberechtigung auf Krankengeld für Pflichtversicherte aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit regelt und dieser Versicherungsfall dann vorliegt, wenn der Versicherte infolge einer Krankheit nicht oder nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten (RIS-Justiz RS0084726). Diesen aufgrund eines Arbeitsverhältnisses in der Krankenversicherung versicherten Personen sind gemäß § 40 Abs 1 AlVG Bezieher von Leistungen nach § 6 Z 1 bis 4 sowie 6 und 7 AlVG in Bezug auf Krankenversicherungsschutz und Leistungen aus der Krankenversicherung weitgehend gleichgestellt, wobei die Höhe des Krankengeldes für Arbeitslose in § 41 Abs 1 AlVG geregelt ist. Leistungsbezieher nach dem AlVG genießen daher nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts aufgrund der Bestimmung des § 40 Abs 1 AlVG Krankenversicherungsschutz, der auch einen Krankengeldanspruch (§ 41 AlVG) umfasst, und nicht aufgrund des § 138 ASVG. Es ist deshalb die vom Revisionswerber vertretene Auslegung der Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG keinesfalls zwingend, sondern es ist demgegenüber einer am Sinn und Zweck dieser Regelung orientierten Auslegung eindeutig der Vorzug zu geben. Danach regelt § 255 Abs 4 ASVG einen besonderen Tätigkeitsschutz bei Erreichung des 57. Lebensjahres, wenn innerhalb von 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag 120 Kalendermonate hindurch eine gleichartige Tätigkeit ausgeübt wurde. Da die Praxis gezeigt hat, dass die Regelung zum Rahmenzeitraum von 180 Kalendermonaten bzw zu den 120 Kalendermonaten einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit besonders ausgeprägte Sachverhalte nicht geeignet berücksichtigt, sollen nun eine befristete Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ebenso wie die Geldleistung bei beruflicher Rehabilitation den Rahmenzeitraum erweitern und höchstens 24 Monate eines Bezuges von Krankengeld so behandelt werden, als wäre die bisherige Tätigkeit weiter ausgeübt worden (Teschner/Widlar/Pöltner, MGA-ASVG 115. Erg-Lfg Anm 12d zu § 255).

3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzung nach § 255 Abs 4 ASVG idF BGBl I 2010/111 seien nur Krankengeldbezugszeiten aus der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit, nicht jedoch auch Krankengeldbezugszeiten aufgrund eines Arbeitslosengeldbezuges zu berücksichtigen, steht daher im Einklang mit der mittlerweile vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Damit erfüllt der Kläger aber unstrittig nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension nach dieser Gesetzesstelle.

Die Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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