OGH 3Ob20/12f

OGH3Ob20/12f14.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Verfahrenssachwalters und einstweiligen Sachwalters (§§ 119, 120 AußStrG) Dr. M*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 9. November 2011, GZ 21 R 177/11w, 21 R 178/11t, 21 R 184/11z‑40, womit infolge der Rekurse des Verfahrenssachwalters und einstweiligen Sachwalters die Beschlüsse des Bezirksgerichts Wels vom 12. April 2011, GZ 17 P 316/09p-16, und vom 25. Mai 2011, GZ 17 P 316/09p‑22 bestätigt wurden und der Rekurs gegen den Beschluss vom 9. Juni 2011, GZ 17 P 316/09p‑26, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit den Beschlüssen des Erstgerichts ON 16 und 22 wurde der Revisionsrekurswerber, ein Rechtsanwalt, zunächst zum Verfahrens- und kurz darauf zum einstweiligen Sachwalter (in Hinkunft nur: Sachwalter) für die Betroffene bestellt. Dagegen erhob der Sachwalter die Rekurse ON 17 und 24; in letzterem begehrte er, diesem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Diesen Antrag wies das Erstgericht ab (ON 26), wogegen der Sachwalter ebenfalls Rekurs erhob (ON 28). Das Rekursgericht bestätigte in einem Beschluss beide Sachwalterbestellungen und wies den Rekurs ON 28 mangels Beschwer zurück (ON 40). Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es jeweils mangels erheblicher Rechtsfragen für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Mit seinem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es dem Sachwalter nicht, erhebliche Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen (§ 71 Abs 3 AußStrG):

1. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in mehreren Entscheidungen mit der vom Revisionsrekurswerber bestrittenen Verfassungskonformität jener Regelungen, die für Rechtsanwälte und Notare die Möglichkeit einer Ablehnung der Übernahme einer Sachwalterschaft beschränken, auseinandergesetzt und sie bejaht (RIS‑Justiz RS0123296; s auch EGMR 18. 10. 2011 Bsw 3150/06, ÖJZ 2011/7 [MRK]).

2. Der Grundsatz des Parteiengehörs erfordert nur, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie die Argumente für ihren Standpunkt sowie überhaupt alles vorbringen kann, das der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs dienlich ist. Das rechtliche Gehör ist daher etwa auch dann gewahrt, wenn sich die Partei nur schriftlich äußern konnte oder geäußert hat (RIS‑Justiz RS0006048). Im Verfahren außer Streitsachen genügt zur Wahrung des rechtlichen Gehörs, den Parteien die Möglichkeit der Stellungnahme zu eröffnen (RIS‑Justiz RS0006036). Eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verfahren erster Instanz wird geheilt, wenn die Möglichkeit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (RIS‑Justiz RS0006057). Dieser Grundsatz gilt auch nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 (RIS‑Justiz RS0006057 [T12]). Die (im Wesentlichen) vorgenommene Wiederholung der vom Sachwalter bereits vor seiner Bestellung zum Verfahrenssachwalter vorgetragenen Argumente für eine Unzumutbarkeit iSd § 274 Abs 2 ABGB (ON 15) im Rekurs ON 24 schließt den behaupteten schweren Verfahrensverstoß der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Bestellung zum einstweiligen Sachwalter daher aus.

3. Beim Kreis jener Personen, welche zum Sachwalter bestellt werden können, ist dem Gericht ein auf das Wohl der behinderten Person zugeschnittener Ermessensspielraum eingeräumt (RIS‑Justiz RS0087131). Für die Auswahl der Person des Sachwalters ist somit primär das Wohl der behinderten Person entscheidend, bei der Beurteilung der Eignung einer dem Behinderten nahestehenden Person für die Bestellung zum Sachwalter ist aber auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0048982). Um den grundsätzlich zum Sachwalter zu bestellenden nahen Angehörigen übergehen zu können, müssen mögliche Interessenkollisionen wahrscheinlich sein (RIS‑Justiz RS0049104 [T9]).

Die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters, der nicht aus dem Familienkreis der Betroffenen kommt, stellt keinen korrekturbedürftigen Ermessensmissbrauch dar. Die nachvollziehbar vom Rekursgericht wegen der durch die massiven Konflikte zwischen den in Frage kommenden nahen Angehörigen befürchtete Gefährdung des Wohls der Betroffenen stellt der Sachwalter gar nicht in Frage. Aber auch die aus dem unbeanstandeten Clearingbericht ON 10 ersichtliche, nacheinander erfolgte Ausstattung der im Streit befindlichen Angehörigen mit Bankvollmachten durch die Betroffene vor der Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens lässt eine Interessenkollision bei der noch ausstehenden Klärung der früheren Verwendung des Einkommens der Betroffenen (im Rahmen der Vermögensverwaltung) nicht unwahrscheinlich erscheinen.

4. Es trifft zwar zu, dass es das Erstgericht vor der Bestellung zum einstweiligen Sachwalter unterlassen hat, neuerlich beim geeigneten Verein iSd Vereinssachwalter‑, Patientenanwalts‑ und Bewohnervertretergesetz (VSPBG) nachzufragen, ob die Zustimmung zur Bestellung zum einstweiligen Sachwalter erteilt wird (§ 279 Abs 3 ABGB). Allerdings sind seit der ‑ der Bestellung des Verfahrenssachwalters vorausgehenden ‑ erstmaligen Anfrage nur wenige Wochen vergangen, sodass eine Änderung der Haltung des Vereins nicht zu erwarten war. Selbst wenn man dennoch einen Verfahrensmangel annehmen wollte, fehlte es im Rekurs ON 24 an der Darlegung seiner Relevanz, weil der Sachwalter gar nicht behauptet hat, eine weitere Anfrage hätte zur Zustimmung des Vereins geführt. Ein wesentlicher Verfahrensmangel ist daher jedenfalls zu verneinen.

5. Rechtsanwälte sind nach § 274 Abs 2 ABGB grundsätzlich zur Übernahme von Sachwalterschaften verpflichtet (RIS‑Justiz RS0123440). Sie können die Übernahme eines Amts nur bei Unzumutbarkeit ablehnen. Eine solche wird bei Betreuung von mehr als fünf Sachwalterschaften oder Kuratelen vermutet. Sonst kann eine konkrete, individuelle und extreme berufliche Belastung zur Unzumutbarkeit führen. Allgemeine Behauptungen über den Kanzleibetrieb, die nicht über das hinausgehen, was auf jede durchschnittliche Rechtsanwaltskanzlei zutrifft, reichen ebenso wenig wie Behauptungen über eine nicht näher konkretisierte Arbeitsbelastung, weil andernfalls der verfolgte Gesetzeszweck einer raschen Fürsorge für die Betroffenen nicht gewährleistet werden könnte (3 Ob 19/08b; Tschugguel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 274 Rz 3; Weitzenböck in Schwimann/Kodek 4 § 274 Rz 4). Die Unzumutbarkeit erblickt der Sachwalter im Umstand, dass er seine Anwaltskanzlei alleine führt, dh ohne Partner und Konzipient, aber auch ohne Sekretärin, sodass er durch die alltäglichen Arbeiten, die im Rahmen übernommener Aufträge anfallen, und die weiters zu übernehmenden Verfahrenshilfesachen voll ausgelastet sei. Diese Argumentation beschränkt sich damit aber auf die Behauptung einer in keiner Weise konkretisierten beruflichen Belastung, weil der Verweis auf den alleinigen Betrieb der Anwaltskanzlei an sich keine gezielten Rückschlüsse auf das Ausmaß der beruflichen Belastung zulässt und im Anwaltsstand weit verbreitet und daher nicht unüblich ist. Der Verweis darauf, ohne Sekretärin zu arbeiten, vermag dem Sachwalter schon deshalb nicht zu helfen, weil eine solche Hilfe für die Tätigkeit als Sachwalter nicht zwingend erforderlich ist. Wenn das Rekursgericht daher zum Ergebnis gelangte, die vom Sachwalter ins Treffen geführten Umstände stellen ihrer Gewichtung nach keine Unzumutbarkeit iSd § 274 Abs 2 ABGB dar, bedeutet das keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Unterlassene Erhebungen dazu verwirklichen daher auch keinen Verfahrensmangel.

6. Das Rekursgericht hat den Rekurs ON 28 wegen Wegfalls der Beschwer wegen der gleichzeitigen Entscheidung über den Rekurs ON 24 zurückgewiesen. Im Revisionsrekurs, der weder einen Rechtsmittelantrag dazu noch Ausführungen gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichts enthält, beschränkt sich der Sachwalter auf die Anregung der Prüfung der Verfassungskonformität der im § 120 AußStrG vorgesehenen sofortigen Wirksamkeit der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters als genereller Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels. Schon die unterbliebene meritorische Behandlung dieser Frage durch das Rekursgericht nimmt der aufgeworfenen Frage die Präjudizialität für die Erledigung des vorliegenden Rechtsmittels (vgl RIS‑Justiz RS0054007 [T1]).

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