Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Kläger begehren mit der im Februar 2010 eingebrachten Klage, beide Beklagte zur ungeteilten Hand zur Rückzahlung des von den Klägern jeweils für Zertifikate der zweitbeklagten Gesellschaft (vormals *****, *****) geleisteten Kaufpreises Zug um Zug gegen die Übertragung der Zertifikate zu verpflichten. Sie stützten ihr Begehren unter anderem auf irreführende Werbung, Verletzung der Ad-hoc-Publizitätsverpflichtung und auf den Umstand, dass mit nicht an der Börse zugelassenen Wertpapieren gehandelt worden sei. Die Kläger hätten infolge drastischer Kursstürze ab Juli 2007 erhebliche Verluste erlitten. In sämtlichen Fällen sei die durch die Werbung suggerierte Sicherheit des Investments entscheidend für die Veranlagung gewesen. Die Werbung habe den Klägern suggeriert, dass sie in Immobilien investierten und deshalb die Veranlagung nicht die Risiken einer gewöhnlichen Aktie habe. Die Veranlagung sei angeblich so sicher wie eine solche in Immobilien. Diese Sicherheit habe es jedoch nie gegeben. An der Wiener Börse seien keine *****-Aktien gehandelt worden, obwohl dies in der Werbung so dargestellt worden sei, sondern nur Zertifikate. Diese seien von der Österreichischen Kontrollbank ausgestellt worden und würden nur das Recht auf die Ausfolgung einer Aktie der ***** verbriefen.
Gegenüber dem Erstbeklagten werde das Klagebegehren auf deliktischen Schadenersatz gestützt, wobei Verfehlungen bzw Rechtsverstöße seitens der M***** AG und der Zweitbeklagten Grundlage des Klagebegehrens seien. Der Erstbeklagte sei zum maßgeblichen Zeitpunkt Vorstandsvorsitzender der genannten Bank und deren faktisch alleiniger Machthaber gewesen. Er hafte als Vorstandsvorsitzender für Schäden, die er durch Verletzung von Schutzgesetzen in Ausübung seiner Funktion Dritten, somit auch den Klägern, zugefügt habe. Er habe zahlreiche Schutzgesetze verletzt, die gerade dem Schutz von Anlegern dienten, etwa § 4 Abs 3 Kapitalmarktgesetz (KMG), § 48 Abs 1 Z 2 lit c BörseG und § 255 AktG. Die Zweitbeklagte als Emittentin und der Erstbeklagte als Vorstandsvorsitzender der Emissionsbank der gegenständlichen Zertifikate hätten gegen § 48 Abs 1 Z 3 BörseG verstoßen, indem sie mit Finanzinstrumenten gehandelt hätten, die an der Wiener Börse gar nicht zugelassen gewesen seien. Die Werbebroschüren seien von der genannten Bank bzw deren 100%iger Tochter und der Zweitbeklagten veröffentlicht worden. Letztere werde auch wegen Verletzung der Publizitätsverpflichtung gemäß § 48d Abs 1 BörseG in Anspruch genommen.
Zur Zuständigkeit führten die Kläger aus, der Erstbeklagte (mit Wohnsitz in Österreich) und die Zweitbeklagte (mit Sitz auf der Insel Jersey/Kanalinseln) seien aufgrund ihres Zusammenwirkens gemeinsam für die irreführende Werbung und die Marktmanipulation verantwortlich, weshalb sie solidarisch hafteten und damit eine materielle Streitgenossenschaft bildeten. Daraus ergebe sich nach § 93 JN der Gerichtsstand für die Zweitbeklagte und auch die inländische Gerichtsbarkeit. Da Zustellungen auf Jersey nahezu unmöglich seien, werde die Zustellung der Klage an der niederländischen (Wohn-)Adresse der Vorstandsvorsitzenden der Zweitbeklagten beantragt.
Das Erstgericht ließ die Klage, den Auftrag zur Erstattung einer Klagebeantwortung und den nach § 98 Abs 1 ZPO idF der ZVN 2009, BGBl I 2009/30, gefassten Beschluss mit dem Auftrag zur Namhaftmachung eines Zustellbevollmächtigten (samt dem Hinweis auf die in dieser Bestimmung für den Fall der Nichtbefolgung des Auftrags geregelten Rechtsfolgen) in die niederländische Sprache übersetzen. Nach der Bescheinigung der Zustellung von Schriftstücken im Sinn des Art 10 der Verordnung (EG) Nr 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 11. 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates, ABl L 324/79 (EuZVO 2007; auch EG-ZustellVO 2007) wurden diese Schriftstücke am Wohnsitz der Vorstandsvorsitzenden der Zweitbeklagten zugestellt. In einer weiteren Bescheinigung teilten die niederländischen Behörden mit, dass die Annahme des Schriftstücks aufgrund der verwendeten Sprache verweigert worden sei. Im Formblatt wurde Englisch als Sprache angekreuzt, die verstanden werde. Dieser Bescheinigung ist ein Schreiben eines für die Zweitbeklagte auftretenden Rechtsanwalts vom 9. 6. 2010 in niederländischer Sprache angeschlossen, wobei das Firmenbriefpapier der Zweitbeklagten verwendet wurde. Im Schreiben wird darauf hingewiesen, dass sich die Zweitbeklagte (Empfängerin) auf ihr Recht berufe, die Annahme des Schriftstücks zu verweigern, weil sie weder der deutschen noch der niederländischen Sprache mächtig sei.
Das Erstgericht erklärte sich gestützt auf Art 26 Nr 1 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, auch EuGVO oder Brüssel I-VO) für das Verfahren gegen die Zweitbeklagte für unzuständig und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Die Weigerung, die Schriftstücke anzunehmen, sei nach Art 8 EuZVO nicht gerechtfertigt gewesen. Die Zuständigkeit sei nicht nach § 93 JN zu prüfen, sondern nach Art 6 EuGVVO. Die in dieser Bestimmung geforderte Konnexität der gegen mehrere Beklagte erhobenen Ansprüche müssten die Kläger beweisen. Ihre Behauptungen, der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte hätten zusammengewirkt und eine irreführende Werbung und Marktmanipulation betrieben, seien unbelegt. Vorzubringen, dass die zweite Tatbestandsvoraussetzung des Art 6 Nr 1 EuGVVO erfüllt sei, nämlich dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung gegen mehrere Beklagte geboten erscheine, um das Ergehen widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren zu vermeiden, hätten die Kläger nicht einmal versucht. Sie hätten keinerlei Gründe dargetan, weshalb sie ihre vermeintlichen Ansprüche nicht auch am Sitz der Zweitbeklagten auf Jersey geltend machen könnten.
Die Kläger erhoben gegen diesen Beschluss einen Rekurs, dessen Gleichschrift ohne Übersetzung und ohne Zustellnachweis der Zweitbeklagten per Post zu Handen ihrer Vorstandsvorsitzenden an deren Wohnanschrift in den Niederlanden übermittelt wurde. Das Schriftstück wurde mit dem Hinweis retourniert, dass es nicht in die englische Sprache übersetzt worden sei. Eine Zustellung des Beschlusses des Erstgerichts an die Zweitbeklagte wurde weder verfügt, noch ist sie erfolgt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs hinsichtlich der Entscheidung über die Ansprüche der erst-, fünft-, sechst- und siebentklagenden Parteien jedenfalls unzulässig sei und ließ den Revisionsrekurs hinsichtlich der Entscheidung über die Ansprüche der übrigen klagenden Parteien zu. Der Sitz der Zweitbeklagten liege außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Primärrechts. Der EU-Vertrag sei auf den Kanalinseln nur eingeschränkt anwendbar. Die EuGVVO falle nicht unter die in Art 355 Abs 5 lit c AEUV genannten Angelegenheiten. Jersey sei daher grundsätzlich als Drittstaat anzusehen. Es sei aber weitgehend anerkannt, dass Art 6 Nr 1 EuGVVO auch auf Streitgenossen ohne Sitz innerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung anzuwenden sei, vorausgesetzt, dass einer der Streitgenossen seinen Sitz in einem Mitgliedstaat habe, was hier der Fall sei. Eine andere Ansicht würde zum Ergebnis führen, dass eine Person aus einem Drittstaat begünstigt werde, wenn für sie der Gerichtsstand des Art 6 Nr 1 EuGVVO nicht gelte. Auf § 93 JN müsse deshalb nicht weiter eingegangen werden, weil Art 6 Nr 1 EuGVVO innerstaatliches Recht verdränge. Der in dieser Bestimmung geforderte Sachzusammenhang der gegen einzelne Beklagten geltend gemachten Ansprüche sei in der Regel bei solidarisch Verpflichteten erfüllt, weil diese die Leistung gemeinsam schuldeten. Er liege regelmäßig auch dann vor, wenn die Entscheidung über den einen Anspruch von dem anderen oder wenn beide Ansprüche von der Lösung einer gemeinsamen Vorfrage abhingen. Die Behauptungen der Kläger zur solidarischen Haftung der beiden Beklagten seien ausreichend schlüssig. Die Frage, ob die in der Klage beiden Beklagten zugerechnete Werbung die Kläger in die Irre geführt hätte, sei eine Vorfrage, von der Schadenersatzansprüche gegen beide Beklagte abhingen. Damit liege die in Art 6 Nr 1 EuGVVO geforderte Konnexität vor. Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht mit fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob Art 6 Nr 1 EuGVVO auch dann anwendbar sei, wenn einer der Beklagten seinen Sitz in einem Drittstaat habe.
Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Zweitbeklagte, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage zurückzuweisen, in eventu sie als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens durch Zustellung der Klage samt Übersetzung aufzutragen, in eventu den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Der Revisionsrekurs ist zulässig und mit dem Antrag auf Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts als nichtig berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
I. Anwendung der Verordnung (EG) Nr 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 11. 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates (EuZVO 2007; auch EG-ZustellVO 2007):
1. Die EuZVO 2007 (EuZVO) ist nach ihrem Art 1 Nr 1 Satz 1 in Zivil- oder Handelssachen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist. Die Verordnung gilt nach ihrem Art 26 Satz 2 mit Ausnahme des hier nicht relevanten Art 23 ab 13. 11. 2008.
2. Die Zweitbeklagte ist der Meinung, die EuZVO gelte nur in zwischen Mitgliedstaaten geführten Verfahren. Genau das sei hier nicht der Fall, weil das Verfahren gegen eine Gesellschaft mit Sitz außerhalb des Gebiets der Europäischen Union und nicht gegen das Organ der Gesellschaft mit Wohnsitz in der Union geführt werde. Diese Argumente gegen die Anwendbarkeit der EuZVO können jedoch nicht überzeugen.
3. Richtig ist, dass im Sinn des Art 355 Abs 5 lit c des Vertrags von Lissabon (AEUV) die Verträge der Europäischen Union (Primärrecht) für die Insel Jersey als eine der britischen Kanalinseln nur für bestimmte (hier nicht in Betracht kommende) Sachbereiche (insbesondere Warenverkehrsfreiheit einschließlich landwirtschaftlicher Erzeugnisse) gelten (vgl Booß in Lenz/Borchart, EU-Verträge, Kommentar nach dem Vertrag von Lissabon, Art 355 AEUV Rn 6; vgl Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht Art 355 AEUV Rn 12; vgl Geiger in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV [2010] Art 355 AEUV Rn 7). Art 355 AEUV betrifft den räumlichen Geltungsbereich der Verträge und - vorbehaltlich ausdrücklich normierter Ausnahmen - des Sekundärrechts (Booß aaO Rn 2). Eine Behandlung der Insel Jersey als „Drittland“ ist für die Anwendung der EuZVO in diesem Fall aber ohne Bedeutung:
4. Die EuZVO verdrängt nämlich österreichisches Verfahrensrecht (lex fori) nur insoweit, als sie die jeweilige Frage selbst regelt (Heiderhoff in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2010] Einl EG-ZustVO 2007 Rn 27 f; vgl EuGH C-443/03 , Slg 2005, I-9611, Leffler, Rn 51 mwN). Die EuZVO berührt aber nicht die nationalen Regelungen dazu, welche Schriftstücke überhaupt zugestellt werden müssen, wie der Zustelladressat bzw Empfangsermächtigte, die Zustellungsadresse und der Zustellungsort zu bestimmen sind: Diese Fragen, also auch die hier relevante, zu wessen Handen und an welchem Ort gerichtliche Schriftstücke der zweitbekagten Gesellschaft zuzustellen waren, sind nach dem nationalen österreichischen Recht zu beurteilen (vgl Heiderhoff aaO Rn 21 mwN). Nach § 13 Abs 3 (ö) ZustellG ist das Dokument, wenn der Empfänger keine natürliche Person ist, an einen zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Die zweitbeklagte Gesellschaft bezweifelt nun nicht, dass ihre Vorstandsvorsitzende nach dem für diese Frage maßgeblichen Sitzstatut (vgl RIS-Justiz RS0083868), also dem Recht der Insel Jersey, ihr vertretungsbefugtes Organ ist. Sie wehrt sich aber gegen eine Zustellung an der privaten Wohnanschrift der Vorstandsvorsitzenden in den Niederlanden statt am Sitz der Gesellschaft. Art 60 EuGVVO, mit dem die Revisionsrekurswerberin ihre Meinung rechtfertigt, ist aber zur konkreten Bestimmung des Zustellorts nicht heranzuziehen (vgl Heiderhoff aaO Art 14 EG-ZustellVO Rn 8 mwN in FN 15). Nach österreichischem Recht richtete sich die in Betracht kommende Abgabestelle (§ 2 Z 5 ZustG) nach der Person des nach § 13 Abs 3 ZustG befugten Empfängers (1 Ob 49/07y mwN). § 2 Z 5 ZustG definiert als „Abgabestelle“ (unter anderem) die Wohnung oder sonstige Unterkunft des Empfängers. Damit war nach österreichischem Recht die Zustellung am Wohnort der Vorstandsvorsitzenden zulässig (Stumvoll in Fasching/Konecny, ZPO² ErgBd § 13 zustG Rz 21; vgl 2 Ob 315/99h mwN).
5. Art 1 Nr 1 Satz 1 EuZVO stellt für die Anwendung dieser Verordnung eindeutig auf die Übermittlung von Schriftstücken von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zweck der Zustellung ab. Damit wird klargestellt, dass Übermittlungsvorgänge auf dem Gebiet ein und desselben Mitgliedstaats nicht erfasst sind (Bajons in Fasching/Konecny² Art 1 EuZVO Rz 17), ebensowenig wie solche in oder aus Drittstaaten (Heiderhoff aaO Art 1 EG-ZustVO 2007 Rn 17). Wie bereits gezeigt, entsprach die Zustellung zu Handen der Vorstandsvorsitzenden österreichischem Recht als lex fori. Dem in der Rechtsprechung des EuGH festgelegten Grundprinzip der realen Auslandszustellung (siehe dazu Bajons aaO Art 1 Rz 22 mit Hinweis auf die Entscheidung in der Rechtssache Scania, C-522/03 , Slg 2005, I-8639; siehe auch Bajons aaO Vor Art 1 EuZVO Rz 10 ff) entsprechend ist für die Anwendung der EuZVO hier nur entscheidend, ob die Klage und die anderen gerichtlichen Schriftstücke von Österreich in einen anderen Mitgliedstaat (Niederlande) zu übermitteln waren und übermittelt wurden. Deren Zustellung hatte somit nach den Regeln der EuZVO zu erfolgen, soweit es in dieser Verordnung geregelte Fragen betraf.
II. Wirksamkeit der Zustellung der in die niederländische Sprache übersetzten Schriftstücke:
1. Art 8 Nr 1 EuZVO berechtigt den Empfänger, die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks bei der Zustellung zu verweigern oder das Schriftstück der Empfangsstelle binnen einer Woche zurückzusenden, wenn das Schriftstück nicht in einer der folgenden Sprachen abgefasst oder keine Übersetzung in einer der folgenden Sprachen beigefügt ist: a) einer Sprache, die der Empfänger versteht, oder b) der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats, oder wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll.
2. Diese Regelung lässt nach ihrem eindeutigen Wortlaut keinen Zweifel daran, dass Schriftstücke in ihrer originalen oder übersetzten Fassung in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats immer (das heißt ohne jede weitere Bedingung) zugestellt werden dürfen (Bajons aaO Art 8 EuZVO Rz 3). Die der Vorstandsvorsitzenden der Zweitbeklagten zugestellten gerichtlichen Schriftstücke waren in die niederländische Sprache, also die Sprache des Empfangsmitgliedstaats übersetzt worden. Die Verweigerung der Annahme war somit nicht gerechtfertigt.
3. Dieses Ergebnis widerspricht entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers nicht Art 6 EMRK. Dessen Abs 3 lit a, der jeder angeklagten Person unter anderem das Recht gewährt, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden, gilt nur auf dem Gebiet des Strafrechts. Keine Vorschrift der EMRK gebietet Übersetzungen eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks in Zivil- und Handelssachen (EuGH Rs C-14/07 , Weiss, Rn 57; vgl Meyer-Ladewig, EMRK³ Rn 222 mit Nachweisen aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR]).
4. Da die Zustellung der Klage sowie der mit dieser übersandten gerichtlichen Schriftstücke rechtswirksam erfolgte, scheidet die im Revisionsrekurs begehrte Rechtsfolge der Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens aus.
III. Rechtliches Gehör der Zweitbeklagten im Rekursverfahren:
1. Mit der wirksamen Zustellung der Klage wurde das Verfahren streitanhängig. Das Verfahren über den Rekurs der Kläger gegen den Beschluss des Erstgerichts, das die Klage zurückwies, war nach § 521a Abs 1 ZPO zweiseitig. Nach ständiger Rechtsprechung bewirkt die mangelnde Beteiligung des Gegners im zweiseitigen Rekursverfahren eine Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (RIS-Justiz RS0042158; RS0005673 [T3]). Dem Rechtsmittelgegner muss die Möglichkeit eingeräumt werden, zum gegnerischen Rechtsmittel Stellung zu nehmen. Dieses in Art 6 Abs 1 EMRK garantierte rechtliche Gehör wird aber wesentlich beschränkt, wenn eine im Ausland ansässige Partei den Inhalt der bekämpften gerichtlichen Entscheidung überhaupt nicht kennt, weil diese ihr - so wie hier - nie zugestellt wurde (vgl RIS-Justiz RS0074920). Da das Rekursverfahren aus diesem Grund nichtig ist, stellt sich die kontrovers diskutierte Frage der Unionsrechtswidrigkeit des rechtskräftigen Auftrags zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 98 (ö) ZPO bzw deren Wahrnehmbarkeit trotz Rechtskraft der innerstaatlichen Entscheidung (siehe dazu 10 Ob 59/08m mwN; 1 Ob 105/11i = EvBl 2011/155 [Frauenberger/Pfeiler]; Brenn in Hummer, Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten 330 ff; Bajons aaO Art 8 EuZVO Rz 38 ff) nicht. Ebensowenig muss erörtert werden, ob die Vorstandsvorsitzende der Zweitbeklagten nach Art 8 Nr 1 EuZVO tatsächlich berechtigt war, den ihr (iSd Art 14 EuZVO) per Post übersandten, nicht übersetzten Rekurs zurückzusenden und die Zustellung dieses Schriftstücks nach der EuZVO nicht rechtswirksam war, solange keine Heilung durch Nachsendung einer Übersetzung erfolgte (vgl EuGH Rs C-443/03 , Leffler).
2. Das Rekursgericht wird daher den angefochtenen Beschluss und eine Gleichschrift des Rekurses der Zweitbeklagten zu Handen ihres im Revisionsrekursverfahren aufgetretenen österreichischen Rechtsanwalts zuzustellen und nach Einbringung einer Rekursbeantwortung oder nach fruchtlosem Ablauf der Frist zu deren Erstattung neuerlich über den Rekurs der Kläger zu entscheiden haben. Ob es dabei der Anregung der Revisionsrekurswerberin folgt, ein Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Frage, ob Art 6 Nr 1 EuGVVO auch im Fall eines Streitgenossen mit Sitz in einem Drittstaat anzuwenden ist, bleibt seiner Beurteilung vorbehalten.
IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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