OGH 8Ob58/11d

OGH8Ob58/11d20.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Opperer und Schartner Rechtsanwälte GmbH in Telfs, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen Feststellung und Einwilligung (Streitwert 9.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 11. März 2011, GZ 2 R 316/10z-20, mit dem über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. August 2010, GZ 12 C 159/09w-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die Beantwortung des Revisionsrekurses wird wegen Verspätung zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.363,25 EUR (darin 227,21 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die streitenden Agrargemeinschaften sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften im alpinen Gelände. Der die Agrargemeinschaft der Klägerin erfassende Regulierungsplan aus dem Jahr 1961 beschreibt die agrargemeinschaftlichen Grundstücke und die Stammliegenschaften samt Anteilsrechten und hält auch Regelungen über die Verteilung unter anderem der Jagdpachterlöse fest.

Hinsichtlich der beklagten Agrargemeinschaft liegt ein Bescheid aus dem Jahr 1968 vor, der die erfassten Liegenschaften und Anteilsberechtigungen umschreibt.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Grenze zwischen einem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück und einem Grundstück der Beklagten wie im Klagebegehren beschrieben verlaufe. Die Beklagte sei schuldig, in die Vermarkung dieses Grenzverlaufs einzuwilligen. Eventualiter wird die Feststellung und Einverleibung des Eigentums der Klägerin an einer näher bezeichneten Grundfläche begehrt. Bereits im Jahr 1917 sei ein Verfahren durchgeführt worden, in dessen Verlauf es zu einer der begehrten Abgrenzung entsprechenden Grenzvereinbarung gekommen sei. Die Abgrenzung sei seitdem auch so gehandhabt worden. Seit wenigen Jahren werde dieser Grenzverlauf aber von der Beklagten unter Hinweis auf den Steuerkataster in Zweifel gezogen. Selbst wenn die Vereinbarung nicht ausreiche, habe die Klägerin schon aufgrund der so vorgenommenen Nutzung die strittige Teilfläche ersessen.

Die Beklagte wendete unter anderem die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein, da es sich um die Abgrenzung eines agrargemeinschaftlichen Grundstücks nach § 33 des Tiroler Flurverfassungsgesetzes 1996 (TFLG) handle. Zur Feststellung des Eigentumsrechts an solchen Grundstücken sei ausschließlich die Agrarbehörde zuständig. Auch in der Sache wurde das Klagevorbringen bestritten.

Das Erstgericht wies die Klage mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zurück. Zwar liege eine bürgerliche Rechtssache iSd § 1 JN vor; § 73 des TFLG ordne aber die Zuständigkeit der Agrabehörde an.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge. Entgegen der Ansicht der Klägerin bestehe die Zuständigkeit der Agrarbehörde nicht nur während eines anhängigen Verfahrens nach § 72 TFLG, sondern nach § 73 TFLG auch außerhalb eines solchen Verfahrens. Das Hauptbegehren der Klägerin richte sich auf die Feststellung eines als richtig behaupteten Grenzverlaufs, der auf konkreten Erwerbstatsachen beruhe. Gegenstand des Streits sei also, wer in welchem Umfang Eigentümer der strittigen Grundfläche sei. Ein solcher Streit falle jedenfalls unter die Zuständigkeit der Agrarbehörde nach § 73 TFLG. Ob dies auch für eine eigentliche Grenzstreitigkeit iSd §§ 850 ff ABGB zu bejahen wäre, könne dahingestellt bleiben.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Zuständigkeit der Agrarbehörde für Eigentumsstreitigkeiten nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

I. Die von der Beklagten erstattete Beantwortung des Revisionsrekurses ist verspätet.

Der Revisionsrekurs wurde der Beklagten am 11. 4. 2011 zugestellt. Die Beantwortung des Revisionsrekurses wurde am 9. 5. eingebracht.

Seit der ZVN 2009 beträgt die Frist für die Beantwortung des Revisionsrekurses auch dann, wenn es um die Zurückweisung der Klage nach Eintritt der Streitanhängigkeit geht, nach § 521a Abs 2 ZPO nur noch 14 Tage.

Damit ist die Beantwortung des Revisionsrekurses durch die Beklagte verspätet erfolgt und zurückzuweisen.

II.1. Der von der Klägerin gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs ist zulässig.

II.2. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Zulässigkeit des Rechtswegs Klagebegehren und Klagebehauptungen sowie die Natur des erhobenen Anspruchs entscheidend (RIS-Justiz RS0045584, RS0045718, RS0005896, RS0045539, Mayr in Rechberger, ZPO³ Vor § 1 JN Rz 6). Seine inhaltliche Berechtigung ist unerheblich; darüber ist erst in der Sachentscheidung abzusprechen (RIS-Justiz RS0045491).

Die Klägerin hat unter Berufung auf eine Vereinbarung die Feststellung einer ganz bestimmten Grenze bzw hilfsweise - gestützt auf Ersitzung - die Feststellung und Einverleibung ihres Eigentums an der in Rede stehenden Grundfläche begehrt. Strittig ist damit das Eigentum an einer genau umschriebenen Grundfläche. Der somit von der Klägerin geltend gemachte Anspruch gehört zum Kernbereich der im Allgemeinen den Gerichten zugewiesenen privatrechtlichen Ansprüchen (RIS-Justiz RS0045584).

III. Soll von der Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung über bürgerliche Rechtssachen (§ 1 JN) eine Ausnahme geschaffen werden, muss diese in dem hiefür erforderlichen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden. Eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die eine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde normieren, ist unzulässig (RIS-Justiz RS0045474).

Als solche Sonderbestimmung sind hier die Bestimmungen des TFLG über die Zuständigkeit der Agrarbehörden zu prüfen (zu § 72 Abs 5 TFLG zuletzt 8 Ob 41/09a mwN).

IV.1. Das TFLG stellt in seinem zweiten Hauptstück über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken im 1. Abschnitt im § 33 für das Vorliegen eines agrargemeinschaftlichen Grundstücks auch auf die Übung bzw die Ersitzung ab (vgl Abs 1, aber auch Abs 2 des § 33).

§ 38 TFLG legt in seinem Abs 1 ausdrücklich die Kompetenz der Agrarbehörde fest, festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere, ob das Eigentum daran mehreren Parteien als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht.

§ 73 TFLG bestimmt die Zuständigkeit der Agrarbehörde - wie hier - außerhalb eines „Verfahrens“ (Zusammenlegung, Flurbereinigung, Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse etc). Von den dort aufgezählten Zuständigkeitstatbeständen kommen im Wesentlichen nur die lit b und c in Betracht. Nach § 73 lit b TFLG ist die Agrarbehörde zur Entscheidung zuständig, auf welches Gebiet sich die Grundstücke einer Agrargemeinschaft iSd § 33 erstrecken. Nach § 73 lit c TFLG umfasst die Zuständigkeit auch die Frage, wer Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke ist.

IV.2. Voraussetzung ist aber jedenfalls außerhalb eines Zusammenlegungsverfahrens stets, dass die Frage einer „agrargemeinschaftlichen“ also einer „gemeinsamen“ Nutzung (vgl § 33 TFLG) zu entscheiden ist. Gerade das ist hier aber nicht der Fall, behauptet hier die klagende Agrargemeinschaft doch nicht, dass eine agrargemeinschaftliche gemeinsame Nutzung mit der Beklagten vorgelegen sei, sondern dass sich ihr Anspruch auf die strittigen Liegenschaftsteile aus einer Vereinbarung bzw einer Ersitzung - allerdings nicht einer gemeinsamen („agrargemeinschaftlichen“ iSd § 33 TFLG), sondern einer solchen allein durch die Klägerin - ergäbe.

Diese Fragen sind aber mangels klarer Zuweisung durch § 73 TFLG im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden.

V. Die auf die Zuständigkeit der Agrarbezirksbehörde gestützte Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs erweist sich daher als nicht berechtigt, sodass wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden war.

VI. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 Satz 2 und § 41 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen; sie hat der klagenden Partei daher deren Kosten zu ersetzen (RIS-Justiz RS0035955). Solche Kosten sind nur im Rechtsmittelverfahren angefallen. Die erstinstanzlichen Prozesshandlungen der Klägerin bezogen sich nicht ausschließlich auf den Zwischenstreit und können daher im fortgesetzten (Haupt-)Verfahren verwertet werden; Kosten sind aus diesem Grund insoweit nicht zuzusprechen (9 Ob 104/04s).

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