OGH 13Os85/11s

OGH13Os85/11s19.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2012 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und Dr. Bachner-Foregger, sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Johann R***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG aF über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Februar 2011, GZ 122 Hv 65/10p-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen über den Verfall, die Wertersatzstrafe und die zu Letzterer bestimmte Ersatzfreiheitsstrafe aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen sind die Akten sodann dem Oberlandesgericht Wien vorzulegen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann R***** (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor Inkrafttreten der FinStrG-Novelle 2010 BGBl I 2010/104 (vgl § 265 Abs 1p FinStrG) schuldig erkannt.

Danach hat er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Konstantin I***** gewerbsmäßig im Zeitraum 9. März bis 13. Juni 2007 im Bereich des Zollamts Wien vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht durch Vorlage wertmäßig unrichtiger und gefälschter Fakturen „aus China und Bangladesh“ eine Verkürzung von Eingangsabgaben um 3.792.659,19 Euro bewirkt.

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Die gestellten Beweisanträge (Z 4) wurden ohne Schmälerung von Verteidigungsrechten abgewiesen.

Die begehrte Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen „aus dem Fachgebiet Textilien-Schuhe-Spielzeug zum Beweis dafür, dass der hinterzogene Betrag deutlich überhöht angesetzt ist, da es erst ein Jahr später passiert ist und man auch nicht die Ware je gesehen hat und die Schätzung erfolgte aufgrund der Papiere und die Ware hat man nicht gesehen, weil sie bereits in Ungarn war und lediglich österreichische Preise herangezogen wurden“ (ON 39 S 93), lief auf eine unzulässige Erkundung hinaus: Inwiefern der Umstand, dass lediglich die letzte der 109 Lieferungen sichergestellt werden konnte (US 11), geeignet sein könnte, das Beweisziel zu erreichen, blieb unerfindlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Der Antrag ging auch daran vorbei, dass die der Schätzung (§ 184 BAO) zugrunde gelegten Mindesteinfuhrpreise bezogen auf die angegebenen Herkunftsländer der Waren berechnet wurden (vgl US 11; ON 21 S 53, 87 ff). Was zu diesem Antrag in der Beschwerde nachgetragen wurde, ist prozessual verspätet (RIS-Justiz RS0099117).

Durch Ablehnung des Antrags auf Vernehmung „des noch auszuforschenden und nachprüfenden Beamten des Hauptzollamtes“ zum Beweis dafür, „dass es bei den ersten 108 Containern keine Beanstandungen gab binnen sechs Wochen“ (ON 39 S 97), wurde der Angeklagte nicht beschwert, weil das Schöffengericht ohnedies von dem unter Beweis gestellten Umstand ausging (ON 39 S 97; US 9; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Was an den Konstatierungen zu dem den Schuldspruch tragenden Tatsachenkomplex (vgl US 4 f) „unbestimmt“ (vgl Z 5 erster Fall) oder „widersprüchlich“ (Z 5 dritter Fall) sein soll, wird in der Beschwerde entgegen dem Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) nicht dargelegt. Gleiches gilt für den unsubstanziierten Einwand, die Feststellungen seien „nicht nachvollziehbar“.

Nicht an der Prozessordnung orientiert ist zudem das Vorbringen, die Konstatierungen könnten durch „den Akteninhalt nicht verifiziert werden“. Es spricht wie die Behauptung, getroffene Feststellungen seien „unrichtig“, keine Anfechtungskategorie der Mängelrüge (Z 5) an.

Inwiefern das Erstgericht Firmenbuchauszüge hätte berücksichtigen müssen (Z 5 zweiter Fall), macht die - insoweit auch auf eine faktische Geschäftsführertätigkeit abstellende - Beschwerde nicht klar. Auch was an den Konstatierungen zur inneren Tatseite undeutlich sein soll (Z 5 erster Fall), wird nicht gesagt.

Die vermisste Argumentation (Z 5 vierter Fall) für die Annahme der Kenntnis des Angeklagten vom falschen Fakturenwert findet sich, inhaltlich unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, vor allem auf US 5 f und 10 f.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) lässt die nach dem Gesetz gebotene Bezugnahme auf konkrete Beweismittel vermissen (RIS-Justiz RS0117446).

Die auf eine Betrachtung des Beweisverfahrens statt - wie bei Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes geboten (RIS-Justiz RS0099810) - auf den Urteilssachverhalt abstellende Rechtsrüge (Z 9 lit a und 9 lit b) ist ebenso wenig an der Prozessordnung ausgerichtet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Aus Anlass der Beschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil in Aussprüchen über den Verfall und die Wertersatzstrafe eine nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO anhaftet, weil das Erstgericht die Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß §§ 17 Abs 6 und 19 Abs 5 FinStrG gänzlich unterlassen hat (RIS-Justiz RS0088035). Gegen Verfall und Wertersatz sind die vorliegenden Berufungen nicht gerichtet (§ 294 Abs 2 StPO), weshalb das Oberlandesgericht über diese Sanktionen nicht entscheiden kann (vgl RIS-Justiz RS0122140, RS0119220, RS0114427). Daher waren diese Sanktionsaussprüche (wie auch jener über die Ersatzfreiheitsstrafe zur Wertersatzstrafe) aufzuheben und im Umfang der Aufhebung dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

Nach der Neubemessung dieser Sanktionen werden die Akten zur Entscheidung über die vorliegenden, gegen die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe gerichteten Berufungen dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln sein.

Die - nicht auch auf das amtswegige Vorgehen bezogene - Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte