OGH 3Ob214/11h

OGH3Ob214/11h18.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Eric Breiteneder, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen 49.804,85 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. September 2011, GZ 2 R 134/11f-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 15. Juni 2011, GZ 7 Cg 105/10t-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Leistung von Schadenersatz aus einer Anlageberatung (in eventu Feststellung der Haftung) wegen Verletzung des Beratervertrags und der Pflichten nach § 15 WAF aF. Soweit im Revisionsverfahren noch aufrecht erhalten, wirft die Klägerin der Beklagten im Wesentlichen vor, die vorgeschlagene Veranlagung habe nicht ihrem Anlageziel entsprochen, von der Beklagten sei deren Risiko verharmlost und darüber unrichtig informiert worden und die Beklagte habe grob fahrlässiges Fehlverhalten zu verantworten. Beide Vorinstanzen wiesen sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. Die Beklagte habe die Klägerin ausreichend beraten und in den Stand versetzt, die Auswirkungen ihrer Anlageentscheidung zu erkennen; jedenfalls treffe sie kein grob sorgfaltswidriges Verhalten. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil es die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs berücksichtigt und eine Haftung der Beklagten aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls verneint habe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin führt gar nicht die Gründe an, warum, entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, die Revision für zulässig erachtet wird (§ 506 Abs 1 Z 5 ZPO); sie vermag auch nicht im Rahmen ihrer Ausführung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, dem sie den festgestellten Sachverhalt jeweils nur unvollständig zugrunde legt, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, weshalb sie sich als nicht zulässig erweist.

1. Der Umfang der Aufklärungspflichten des Anlageberaters hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab; Gegenteiliges gilt nur, wenn eine - hier nicht gegebene - grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RIS-Justiz RS0106373).

2. Zunächst ist zu prüfen, ob das vom Berater erhobene Anlegerprofil mit dem Anlageziel des Anlegers übereinstimmt (8 Ob 107/11k).

Anlageziel der Klägerin, die mit dem Ergebnis ihrer bisherigen Sparformen (Sparbuch, Bausparverträge und Lebensversicherungen) nicht zufrieden war und diese zwecks Neuveranlagung selbständig zum großen Teil auflöste, waren andere, sichere Anlageformen mit höherem Ertrag ohne hohes Risiko, um ein Wohnbaudarlehen rasch zurückzahlen zu können und eine Absicherung für die Zeit ihrer Pension zu schaffen. Es ging ihr also primär um höhere Erträge, allerdings für unterschiedliche Zwecke, nämlich sowohl für kurzfristige Schuldentilgung als auch langfristige Zukunftsvorsorge, jedenfalls aber nur bei mittlerem Risiko.

Zur Risikobereitschaft weisen die beiden zusammen mit der Klägerin anlässlich der ersten Anlageentscheidung erstellten Anlegerprofile den unterschiedlichen Vorstellungen der Klägerin entsprechend sowohl „niedrig/konservativ, Motiv Substanzerhaltung, geringe Renditeerwartung/hohe Sicherheit“ und „gering“ (für die Zukunftsvorsorge) als auch „ausgewogen/risikobewusst, Motiv höhere Ertragserwartung, kalkuliertes Risiko mit entsprechender Streuung“ und „mittel“ (für die rasche Schuldentilgung) auf.

Damit stimmt aber das von der Erfüllungsgehilfin der Beklagten erhobene Anlegerprofil mit dem Anlageziel der Klägerin überein.

3. Die Risikogeneigtheit (= Risikoklasse) einer Anlageform als Produkteigenschaft (RIS-Justiz RS0126232) ist der Risikobereitschaft (= Risikoerwartung) des Anlegers gegenüber zu stellen, die dessen Anlageziel entsprechen muss (8 Ob 107/11k).

Es steht fest, dass es sich bei der hier allein von der Klägerin beanstandeten Anlageform (M*****-Zertifikate) - zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung - um ein Produkt mittleren Risikos handelte. Die Klägerin hat in erster Instanz - ungeachtet des aufgenommenen Anlegerprofils - gar nicht vorgebracht, dieses würde einer mittleren Risikoerwartung nicht entsprechen; der erstmals im Rechtsmittelverfahren dazu erhobene Vorwurf stellt daher eine unbeachtliche Neuerung dar. Das gewählte Investment entsprach daher dem einen, durch kurzfristige Schuldentilgung definierten Anlageziel der Klägerin; durch die Wahl einer weiteren Anlageform mit Kapitalgarantie wurde auch das weitere, langfristige Anlageziel der Klägerin gewahrt (was ohnehin nicht strittig ist) und eine Risikostreuung erreicht.

4. Die Rechtsansicht, die Beklagte habe das (mittlere) Risiko der gewählten Anlageform weder verharmlost noch unrichtig beschrieben, erweist sich bei der gebotenen Würdigung des Anlegerprofils und der Äußerungen der Erfüllungsgehilfin der Beklagten in ihrer Gesamtheit keinesfalls als unvertretbar.

Ihre Behauptung, sie hätte bei Kenntnis davon, dass sie keine Aktien, sondern Zertifikate erwerbe, davon Abstand genommen, konnte die Klägerin nicht unter Beweis stellen; dem Umstand der Qualifikation der Anlageform als Aktie oder Zertifikat kommt daher keine Relevanz zu.

Der Klägerin war aber bewusst, (zum Teil) eine Anlageform zu wählen, die von der Gefahr gekennzeichnet ist, das investierte Kapital (durch Kursverluste) teilweise, aber auch zur Gänze verlieren zu können. Vor diesem Hintergrund und der (sowohl mündlichen als auch schriftlichen) Klarstellung der Erfüllungsgehilfin der Beklagten, es handle sich um ein Anlageprodukt mittleren Risikos, durfte die Klägerin die Argumentation, es sei im Vergleich zu anderen Aktien weniger riskant bzw nichts Riskantes, nur als Abgrenzung von Anlageformen mit hohem Risiko verstehen; keinesfalls durfte sie eine Auslegung dahin vornehmen, es bestehe gar kein oder nur ein geringes Risiko, weil damit die aufrecht erhaltene Einstufung als Anlageprodukt mittleren Risikos unberücksichtigt bliebe. Das gilt auch für den Hinweis, die Anlage sei sicherer als eine Veranlagung bei einer Bank, die in Konkurs gehen könne, während die Wirtschaft zusammenfallen müsse, damit die erworbenen Liegenschaften an Wert verlieren und auch dieses Produkt pleite ginge, der im Übrigen zweifelsfrei den Totalverlust des eingesetzten Kapitals im Insolvenzfall anspricht, also eine Gefahr, die sich hier gar nicht realisiert hat; die Gefahr von Kursschwankungen wurde damit aber keinesfalls als unwahrscheinlich oder wenig wahrscheinlich dargestellt und mussten deshalb von der Klägerin als mittleres Risikos (weiter) in Betracht gezogen werden.

Für einen die Haftung der Beklagten als professionelle Anlageberaterin begründenden Verschuldensvorwurf wegen Abweichung des gewählten Anlageprodukts vom Anlageziel der Klägerin bleibt daher kein Raum.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte