OGH 8Ob107/11k

OGH8Ob107/11k22.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** M*****, vertreten durch Deinhofer Petri Wallner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen 26.441 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Juli 2011, GZ 3 R 74/11i-80, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. März 2011, GZ 12 Cg 135/08p-74, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.540,44 EUR (darin enthalten 256,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erwarb am 2. 11. 2006 über Beratung der Beklagten Aktienzertifikate einer im EU-Ausland niedergelassenen Gesellschaft. Diese Wertpapiere verloren ab Juli 2007 massiv an Wert. Die Klägerin investierte 24.139,50 EUR. Neben diesem Betrag macht sie noch Spesen und einen Zinsverlust geltend. Die Klägerin hatte den Wunsch, Geld für die Anschaffung eines Hauses anzusparen. Sie brachte zum Ausdruck, kein besonders hohes Risiko eingehen zu wollen. Der Berater sprach von einer sehr sicheren Anlageform. Im Anlegerprofil wurde die Risikoklasse „mittel“ angekreuzt. Zudem wurde der Klägerin gesagt, dass die Emittentin in Immobilien investiere und sie selbst eine Einzelaktie erwerbe. Der Kurs der Zertifikate wurde durch „verdeckte Aktienrückkäufe“ der Gesellschaft zunächst stabil gehalten. Im Juli 2007 kam es zu einem signifikanten Kursabsturz.

Die Klägerin begehrte die Rückzahlung des Kaufpreises (einschließlich Spesen) Zug um Zug gegen Rückgabe der erworbenen Zertifikate; zudem machte sie unter Hinweis auf eine Alternativveranlagung aus dem Titel des Schadenersatzes einen kapitalisierten Zinsverlust geltend. In eventu erhob sie eine Feststellungsklage. Ihr sei die in Rede stehende Veranlagung als sehr sichere Investition präsentiert worden, die man mit einem hochverzinsten Sparbuch vergleichen könne. Mehrfach sei der Realwert und die Mündelsicherheit der Veranlagung dargestellt worden. Über das Risiko und auch über den Unterschied zwischen Aktien und Zertifikaten sei sie nicht aufgeklärt worden. Zudem sei ihr eine Immobilienaktie einer Gesellschaft mit Sitz in Österreich verkauft worden. Wenn sie über diese Umstände aufgeklärt worden wäre, hätte sie den Vertrag nicht abgeschlossen. Der Haftungsausschluss für leicht fahrlässig zugefügte Schäden in der Kundenvereinbarung sei sittenwidrig.

Die Beklagte entgegnete, dass das Beratungsgespräch mit der Klägerin ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Die Klägerin habe in dem von ihr unterfertigten Anlegerprofil die Risikobereitschaft mit „wachstumsorientiert“ und „mittlerem Risiko“ angegeben. Die von der Klägerin erworbenen Zertifikate seien zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls in diese Risikoklasse einzuordnen gewesen. In einem Gutachten seien diese Zertifikate sogar als mündelsicher qualifiziert worden. Der Abwärtstrend des Kurses ab Mitte 2007 sei für sie nicht vorhersehbar gewesen.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren sowie das Eventualbegehren ab. Die von der Beklagten durchgeführte Beratung sei mit den damals zur Verfügung stehenden Informationen im Einklang gestanden. Das Wertpapier sei zum Ankaufszeitpunkt mit geringem bis mittlerem Risiko behaftet und damit auch für eine mittelfristige Veranlagung geeignet gewesen. Die Veranlagung habe daher den Vorgaben der Klägerin entsprochen. Die von der Emittentin veranlassten Aktienrückkäufe seien bei Vertragsabschluss nicht erkennbar gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Berater habe die Veranlagung zwar als sehr sichere Anlageform, nicht aber als risikolos dargestellt. Dementsprechend habe er mögliche Kursschwankungen erwähnt. Die damalige Risikoklasse der Zertifikate habe der Erwartungshaltung der Klägerin entsprochen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausgestaltung des Produkts von der durch die Verkaufsbroschüre vermittelten Vorstellung abgewichen sei, bestünden nicht. Die Beklagte hätte daher auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen in der Verkaufsbroschüre vertrauen dürfen. Insgesamt habe für die Beklagte keine weiterführende Nachforschungspflicht über die Risikogeneigtheit der Anlageform bestanden. Auch ein Aufklärungsfehler sei ihr nicht unterlaufen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob die in der Entscheidung 4 Ob 188/08p lauterkeitsrechtlich bejahte Irreführungseignung des zugrunde liegenden Verkaufsprospekts einem Anlageberater hätte auffallen müssen, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Beurteilung des Berufungsgerichts eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1.1 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Beratung und die Zeichnung der Kapitalanlage vor dem 1. 11. 2007 erfolgte. Aus diesem Grund ist das Wertpapieraufsichtsgesetz 1996 anwendbar. Mit den sogenannten Wohlverhaltensregeln der §§ 11 ff WAG 1996 wurden die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten der Anlageberater konkretisiert und insbesondere die Verpflichtung zu einer anleger- und objektgerechten Beratung festgeschrieben.

1.2 Nach den Feststellungen wurde der zugrunde liegende Verkaufsprospekt nur zum Thema „Rendite“ herangezogen. Die Klägerin bezieht den anspruchsbegründenden Vorwurf gegenüber der Beklagten aber nicht auf eine unrichtige Renditeerwartung. Der vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierten Rechtsfrage kommt schon aus diesem Grund keine Bedeutung zu.

2.1 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass im Anlegerprofil der Klägerin ein „mittleres Risiko“ angegeben worden sei und die von ihr erworbenen Wertpapiere zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses dieser Risikoklasse entsprochen hätten, greift zu kurz. Vielmehr ist in den Anlageberatungsfällen zunächst zu prüfen, ob das vom Berater erhobene Anlegerprofil des Anlegers mit dessen Anlageziel übereinstimmte und der Anleger auf eine allfällige Abweichung und die dafür maßgebenden Faktoren deutlich hingewiesen wurde.

2.2 Nach der Entscheidung 8 Ob 25/10z ist die Risikogeneigtheit einer Anlageform als Produkteigenschaft anzusehen. Die Risikogeneigtheit eines Wertpapiers kann sich vor allem auf den Umstand, dass Kursschwankungen eintreten (Werthaltigkeit), auf das Ausmaß und die Häufigkeit von Kursschwankungen, auf Maßnahmen zur Risikobegrenzung oder auf den mitgliedschaftlichen Einfluss auf die Gesellschaft beziehen. Die Risikogeneigtheit des Anlageprodukts ist der Risikobereitschaft des Kunden gegenüber zu stellen. Die Risikoerwartung muss dem Anlageziel entsprechen. Stimmen Risikogeneigtheit und Risikobereitschaft nicht überein, so liegt ein Irrtum über das Kursrisiko (Verlustpotential) und damit eine Investition in ein nicht gewolltes Wertpapier vor.

Das Anlageziel ist durch die Erstellung eines Anlageprofils zu ermitteln. Aufgabe des Beraters ist es, das vom Kunden verfolgte Anlageziel mit der Risikoklasse des Investments abzustimmen. Besteht in dieser Hinsicht eine Divergenz, so muss im Rahmen einer ordnungsgemäßen Anlageberatung auf diesen Umstand und die dafür maßgebenden Faktoren deutlich hingewiesen werden (vgl auch 10 Ob 30/11a).

2.3 Ausgehend von den Feststellungen ist die Klägerin von nicht stark schwankenden Kursen ausgegangen. Sie wollte Geld für die Anschaffung eines Hauses ansparen und kein besonders hohes Risiko eingehen. In diesem Sinn bezeichnete der Berater die Veranlagung als sehr sichere Anlageform. Er wies auch darauf hin, dass die Gesellschaft in Immobilien investiere und die Immobilien als Wert vorhanden seien, sowie dass die Klägerin eine Einzelaktie erwerbe.

Nach diesen Prämissen ist durchaus fraglich, ob die Risikoeinstufung der Veranlagung im Anlageprofil mit „mittel“ tatsächlich der Risikoerwartung der Klägerin entsprach. Das Erstgericht hat dazu festgehalten, dass der Berater die gewählte Risikoklasse deshalb angekreuzt habe, weil auf Seminaren diese Empfehlung abgegeben worden sei. Der allenfalls begründeten Erwartung einer besonderen Risikobegrenzung durch vorhandenes Immobilienvermögen hätten die Zertifikate, wie sich im Nachhinein ergeben hat, objektiv nicht entsprochen.

2.4 Im vorliegenden Fall darf aber nicht übersehen werden, dass die Klägerin Kursschwankungen grundsätzlich in Kauf nahm, sie in Aktien investieren wollte und ihr eine Risikostreuung in Form eines Zwei-Säulen-Modells empfohlen wurde. Hinzu kommt, dass die Zertifikate zum Zeitpunkt des Erwerbs auch tatsächlich in die Risikoklasse „geringes bis mittleres Risiko“ fielen und professionelle Vermittler und Berater jedenfalls nicht vor Mitte 2007 mit einer nachhaltigen Trendumkehr rechnen mussten. Österreichische Immobilienaktien unterlagen schon etwas früher dem Abwärtstrend.

In dieser Situation kann auch einem professionell agierenden Berater kein für eine Haftung der Beklagten vorausgesetzter Verschuldensvorwurf im Hinblick auf eine Abweichung des Anlageprodukts von der Risikoerwartung bzw dem Anlageziel der Klägerin gemacht werden. Die Einholung selbst sachverständiger Informationen über die Wirtschaftlichkeit und das Risikopotential der Anlage im November 2006 hätte für die Beklagte kein anderes Bild ergeben.

3. Im Ergebnis haben die Vorinstanzen das Klagebegehren somit zu Recht abgewiesen. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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