OGH 2Ob133/11i

OGH2Ob133/11i22.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Rant & Dr. Kurt Freyler Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung und Zwischenantrag auf Feststellung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. März 2011, GZ 39 R 419/10x-25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. September 2010, GZ 48 C 536/08t-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 2.600,30 EUR (darin 433,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508 Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

1. Bei der - hier allein strittigen - Abgrenzung von Geschäftslokalmiete und Unternehmenspacht, wozu umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs besteht (vgl RIS-Justiz RS0020513; RS0031183; RS0020338) kommt es immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0031183). Unternehmenspacht liegt im Allgemeinen vor, wenn ein lebendes Unternehmen Gegenstand des Bestandvertrags ist. Neben den Räumen muss dem Bestandnehmer vom Bestandgeber auch das beigestellt werden, was wesentlich zum Betrieb des Unternehmens und dessen wirtschaftlichem Fortbestand gehört: Betriebsmittel (Einrichtung und Warenlager), Kundenstock und Gewerbeberechtigung. Dies bedeutet aber nicht, dass im Einzelfall all diese Merkmale gleichzeitig gegeben sein müssen. Das Fehlen einzelner Betriebsgrundlagen lässt noch nicht darauf schließen, dass Miete und nicht Pacht vorliegt, wenn nur die übrigen Betriebsgrundlagen vom Bestandgeber bereitgestellt werden und das lebende Unternehmen als rechtliche und wirtschaftliche Einheit fortbesteht (RIS-Justiz RS0020398).

2. Auch zur Abgrenzung bei erst zu gründenden Betrieben besteht Judikatur des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0029483), wonach die Anforderungen für die Annahme einer Unternehmenspacht hier strenger sind. Nur dann, wenn der Bestandgeber alle wesentlichen Grundlagen des zukünftigen Unternehmens zur Verfügung stellt, kann Pacht angenommen werden. Der Bestandnehmer muss auch zur Rückstellung eines lebenden Unternehmens verpflichtet sein. Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, wird selbst bei Interesse des Bestandgebers an der Führung des Betriebs Geschäftsraummiete und nicht Unternehmenspacht angenommen. Zusätzlich zur Betriebspflicht müssen hier die wesentlichsten Grundlagen für den Unternehmensbeginn bereits bestehen bzw vom Bestandgeber bereitgestellt werden (etwa adaptierte Räume, Kundenstock und Konzession - RIS-Justiz RS0020581).

3. Dass hier in den überwiegend erst zu schaffenden Räumlichkeiten ein sehr spezifisches Geschäft, nämlich ein Fernwärmeunternehmen, betrieben werden sollte, ändert an der Einzelfallbezogenheit der Prüfung ebenso wenig wie die Tatsache, dass die beklagte Partei ähnliche Verträge mehrfach abgeschlossen hat.

4. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen haben hier die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei und die beklagte Partei drei inhaltlich zusammenhängende Verträge abgeschlossen, nämlich einmal einen „Totalunternehmervertrag“, mit dem die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei die beklagte Partei mit der Planung und Errichtung einer schlüsselfertigen Fernwärmeanlage zur Biomasseverbrennung auf der von Klagsseite zur Verfügung gestellten Liegenschaft und einem zu verlegenden Verteilernetz beauftragte, sowie einen „Werkvertrag“, in dem die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Betreuung der technischen Einrichtungen, Inspektion und Kontrolle der Betriebsanlage, deren Reinigung, Wartungsarbeiten, Befüllen des Brennstoffbunkers etc gegen ein Entgelt übernahm, sowie letztlich einen „Pachtvertrag und Liefervertrag“, mit dem die beklagte Partei die von ihr geplante und errichtete Fernwärmeanlage in Bestand nahm und die kontinuierliche Anlieferung von Biomasse zum Betrieb der Fernwärmeanlage durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin vereinbart wurde. Die Beklagte verpflichtete sich zum ganzjährigen Betrieb und zur Übernahme sämtlicher Wartungs-, Instandhaltungs- und Erneuerungskosten sowie zur Zahlung eines Pachtschillings, der der Annuität der Kredite entsprach, die zur Finanzierung des „Totalunternehmervertrags“ - somit im Wesentlichen zur Errichtung der Anlage - notwendig waren. Tatsächlich errichtete die Beklagte die Fernwärmeanlage samt Gebäuden, Maschinenhallen, Lagerhallen, Produktionsanlage, technischen Geräten, Leitungen etc.

Die Beklagte war nicht gehalten, ein lebendes Unternehmen an die klagende Partei bzw deren Rechtsvorgängerin zurückzustellen, sondern war vielmehr umgekehrt die Bestandgeberin, die für 20 Jahre auf ihr Kündigungsrecht verzichtete, verpflichtet, danach den Bestandgegenstand der Beklagten zum Kauf anzubieten.

Wenn das Berufungsgericht in Würdigung all dieser Umstände unter Heranziehung der bestehenden Judikatur zu dem Ergebnis gelangte, dass hier keine Unternehmenspacht sondern ein Mietvertrag vorliegt, kann darin keine aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung erblickt werden.

5. Dass der Vertrag als Pachtvertrag bezeichnet wurde, ändert daran im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision (vgl RIS-Justiz RS0017762) ebenso wenig wie der Umstand, dass die Betriebspflicht nicht nur dem Interesse der Rechtsvorgängerin der Klägerin an der laufenden Einlieferung von Biomasse gegen Entgelt entsprang.

Zwar wurde nach den Feststellungen (S 10, 11 des erstgerichtlichen Urteils) die Betriebsanlagengenehmigung der Rechtsvorgängerin der Klägerin erteilt und meldete diese auch das Gewerbe der Erzeugung und Verteilung von Fernwärme aus Biomasse an, dagegen wurde aber die Baubewilligung der Biomasseheizwerkanlage der Beklagten erteilt und verfügte allein diese über die spezifischen Fachkenntnisse für die Planung, Errichtung und den Betrieb der Anlage, weshalb sie auch während des Betriebs in regelmäßigen Abständen Mitarbeiter zur Anlage entsandte, insbesondere bis sich der Betrieb „einspielte“ bzw bei komplexeren Störungen.

Auch die Zurverfügungstellung der Gewerbeberechtigung und der Betriebsanlagengenehmigung durch die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei machen daher die Gesamtbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht aufgreifenswert unrichtig.

6. Die weiteren Ausführungen der Revision zu den vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen zum Finanzierungsleasing, insbesondere die Frage, ob der Rechtsvorgängerin der Klägerin insofern eine Finanzierungsfunktion des Projekts zukam, als lediglich sie und nicht die Beklagte als Errichterin des Fernwärmeheizwerks spezifische Förderungen erlangen konnte, sind daher nicht mehr entscheidungswesentlich.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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