OGH 10ObS112/11k

OGH10ObS112/11k20.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F***** K*****, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2011, GZ 10 Rs 63/11z-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Februar 2011, GZ 7 Cgs 256/10w-18, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 7. 3. 1959 geborene Kläger ist aufrecht pflichtversichert nach dem BSVG und führt einen Betrieb in der Größe von rund 45 ha. Zum Stichtag 1. 1. 2010 hat er 428 Versicherungsmonate (ausschließlich Beitragsmonate) je für Wartezeit und Leistung erworben.

Er kann aufgrund der näher festgestellten medizinischen Leidenszustände seit Antragstellung auf Erwerbsunfähigkeitspension nur noch leichte Arbeiten sowohl im Gehen, im Stehen als auch im Sitzen verrichten, ausgenommen an ungeschützten, schnelllaufenden, verletzungsgefährlichen Maschinen und in der Nähe starker elektromagnetischer Felder (zB an einem Sendemast für ein Mobilfunknetz). Ob und wann er allenfalls eine Herztransplantation benötigen wird, kann nicht vorhergesagt werden. Er kann einen Anmarschweg von 500 m zurücklegen. Mit leidensbedingten zusätzlichen Krankenständen im Ausmaß von sieben Wochen oder mehr jährlich ist bei Einhaltung des Kalküls nicht zu rechnen.

Bei diesem Kalkül stehen dem Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Reihe von Erwerbstätigkeiten offen, wie zB die eines Tagportiers (Eingangsüberwachung, Erteilen von Auskünften, Telefonzentrale), eines Kassiers allgemeiner Art (Kassieren des Eintritts in einem Bad, Kino, Museum). Desgleichen könnte er als Verpacker tätig sein (zB für Handtücher, Tee, Käse oder Kleinteile in der Elektroindustrie) oder als unqualifizierter Fertigungsprüfer in der Kunststoffindustrie (optische Kontrolle, einfache Funktionskontrolle, Sortierarbeiten).

Mit Bescheid vom 16. 7. 2010 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 1. 2010 und auf Feststellung, dass der Kläger medizinisch erwerbsunfähig ist, gerichtete Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich beurteilte es den Sachverhalt dahin, dass der Kläger weder iSd § 124 Abs 1 BSVG noch iSd § 124 Abs 1a Z 3 und Abs 1b BSVG erwerbsunfähig sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Klagsabweisung hinsichtlich des Zeitraums vom 1. 1. 2010 bis 31. 12. 2010. Im Übrigen - für den Zeitraum ab 1. 1. 2011 - hob es das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Der mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, eingefügte, am 1. 1. 2011 in Kraft getretene § 124 Abs 1a und Abs 1b BSVG treffe eine Regelung für „Härtefälle“. Das Leistungskalkül des Klägers überschreite die in § 124 Abs 1b BSVG genannten Anforderungen, könne er doch leichte Arbeiten sowohl im Gehen, Stehen als auch im Sitzen verrichten. Diese Bestimmung beschreibe allerdings nicht das medizinische (Rest-)Leistungskalkül, sondern jene Tätigkeiten unter allen in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen. Um den Anspruchsvoraussetzungen der Härtefallregelung zu genügen, dürfe der Pensionswerber daher nur noch in der Lage sein, die in § 124 Abs 1b BSVG umschriebenen Tätigkeiten und sonst keine weiteren Verweisungstätigkeiten auszuüben. Das Erstgericht habe aber lediglich einzelne in Betracht kommende Verweisungsberufe herausgegriffen, die nach dem festgestellten Anforderungsprofil „weitgehend“ im Sitzen ausgeführt würden. Es bleibe damit aber unklar, ob für den Kläger auch noch andere Verweisungsberufe in Frage kommen, die nicht nur überwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen. Das Verfahren sei dahin zu ergänzen, ob und allenfalls welche weiteren Verweisungsberufe für den Kläger in Betracht kommen, die nicht nur vorwiegend im Sitzen ausgeübt werden. Sollte das weitere Verfahren ergeben, dass nur Verweisungstätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil iSd § 124 Abs 1b BSVG in Frage kommen, seien auch Feststellungen darüber erforderlich, ob zu erwarten sei, dass der Kläger innerhalb eines Jahres einen Arbeitsplatz in einer seiner psychischen und physischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von seinem Wohnort erlangen könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Auslegung des § 124 Abs 1a BSVG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der unbeantwortet gebliebene Rekurs der beklagten Partei.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, die Einschränkungen des Klägers seien nicht derart gravierend, dass er vorwiegend im Sitzen arbeiten müsse. Es sei als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass es weitere Verweisungstätigkeiten gebe, die seinem Leistungskalkül entsprächen und jenes in § 124 Abs 1a Z 3 iVm Abs 1 BSVG genannte Kalkül. Sobald die in § 124 Abs 1a Z 3 BSVG genannten Voraussetzungen medizinischer Art erfüllt seien, gelte dieser Fall medizinisch als Härtefall. Aus dem vorliegenden ärztlichen Gutachten ergäbe sich jedoch, dass der Kläger leichte Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen ausüben könne, sodass er nicht „nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ ausüben könne.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

1. Nach § 124 Abs 1 BSVG gilt ein Versicherter als erwerbsunfähig, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Es ist nicht strittig, dass der Kläger nicht erwerbsunfähig im Sinn dieser Bestimmung ist, weil er auch mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül noch eine wie auch immer geartete - selbständige oder unselbständige - Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt ausüben kann (vgl RIS-Justiz RS0085894).

2. Nach § 124 Abs 1a BSVG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011 (BGBl I 2010/111) gilt eine versicherte Person auch dann als erwerbsunfähig, wenn sie

1. das 50. Lebensjahr vollendet hat,

2. mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

3. nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

2.1 Tätigkeiten iSd § 124 Abs 1a Z 3 BSVG definiert § 124 Abs 1b BSVG als leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen.

2.2 Die beiden Bestimmungen traten gemäß der Schlussbestimmung des § 329 Abs 1 Z 1 BSVG mit 1. 1. 2011 in Kraft und werden mit Ablauf des 31. 12. 2015 wieder außer Kraft treten (§ 329 Abs 2 BSVG).

2.3 Nach den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) soll mit dieser neuen Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbständig Erwerbstätige (nämlich Bäuerinnen und Bauern), die das 50. Lebensjahr erreicht bzw überschritten, aber das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die die Voraussetzungen für den besonderen Berufsschutz etwa nach § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllen, ein spezieller Verweisungsschutz die derzeit judizierte weite Verweisung auf den gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts- oder Erwerbsunfähigkeitspension bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation öffnen. Ziel der vorgeschlagenen Regelung ist es also, jene Berufsverweisungen, die bisher zu Härtefällen geführt haben, zu vermeiden. Unter Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil sind leichte Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck zu verstehen, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss. Die neue Härtefallregelung wird in der Praxis für Bäuerinnen und Bauern sowie ungelernte ArbeiterInnen, die ein sehr stark medizinisch eingeschränktes Leistungskalkül haben (dh nur noch leichte Tätigkeiten im Sitzen oder in einem nicht kontinuierlichen Arbeitsablauf ausüben können), relevant werden und soll auf eine sehr kleine Zahl von Härtefällen beschränkt bleiben.

3. Strittig ist die Auslegung der zitierten Bestimmung des § 124 Abs 1a iVm Abs 1b BSVG, insbesondere des Begriffs „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“.

3.1 Wenn die Auslegung einer Norm mit Hilfe des Wortlauts, des Bedeutungszusammenhangs und nach der Absicht des Gesetzgebers zu widersprechenden Ergebnissen führt, kommt letztlich der teleologischen Auslegung, die den Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen sucht, das entscheidende Gewicht zu (vgl Posch in Schwimann, ABGB³ § 6 Rz 5 ff mwN).

3.2 Im Recht der Pensionsversicherung gilt der Grundsatz der „abstrakten Verweisung“, wonach es für die Frage der Invalidität, Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit ohne Bedeutung ist, ob der Versicherte im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Dienstposten finden wird (stRsp seit 10 ObS 50/87, SSV-NF 1/23). Bauern müssen sich gemäß § 124 Abs 1 BSVG nach der Rechtsprechung auf jede wie immer geartete - selbständige oder unselbständige - Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt verweisen lassen, die sie aufgrund ihres Leistungskalküls noch ausüben können (vgl RIS-Justiz RS0085894). Dazu gehören auch leichte Tätigkeiten wie beispielsweise Botengänger, Museumswärter oder Parkgaragenkassier. Insbesondere bei schwereren gesundheitlichen Beeinträchtigungen sinken naturgemäß die Chancen, eine Beschäftigung zu erlangen oder weiterbeschäftigt zu werden. So ist mehr als die Hälfte der Invaliditätspensionswerber am Pensionsstichtag bereits längere Zeit arbeitslos oder im Krankenstand. Bei schweren Erkrankungen ist der Anteil noch höher.

3.3 Die neue Härtefallregelung des § 124 Abs 1a BSVG sieht vor, dass auch Versicherte, die noch in der Lage sind, am allgemeinen Arbeitsmarkt Verweisungstätigkeiten, von diesen jedoch nur noch die besonders leichten (Tätigkeiten mit dem „geringsten Anforderungsprofil“) zu verrichten, künftig als erwerbsunfähig (invalid) gelten (Ivansits/Weissensteiner, Die Härtefallregelung - Zugangserleichterungen in die Invaliditätspension für Versicherte ab 50, DRdA 2011, 175 ff).

3.4 Die Legaldefinition der „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ umschreibt diese Tätigkeiten nach ihrem Schweregrad, dem mit ihnen verbundenen Zeitdruck und der Körperhaltung. Es handelt sich dabei nach den bereits zitierten Ausführungen in der RV (981 BlgNR 24. GP 206) um leichte Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss. Ziel der Härtefallregelung ist die Gewährung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit an Personen, die - wie schon ausgeführt - ein sehr stark eingeschränktes medizinisches Leistungskalkül haben. Die Legaldefinition beschreibt allerdings nicht das medizinische (Rest-)Leistungskalkül von Versicherten, sondern jene Tätigkeiten unter allen in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen. Anders ausgedrückt: Um den Anspruchsvoraussetzungen der Härtefallregelung zu genügen, darf der Pensionswerber nur noch in der Lage sein, die in § 124 Abs 1b BSVG umschriebenen Tätigkeiten und sonst keine weiteren Verweisungstätigkeiten auszuüben (Ivansits/Weissensteiner aaO DRdA 2011, 177).

3.5 Eine (Verweisungs-)Tätigkeit mit geringstem Anforderungsprofil kann daher nach der Legaldefinition nur dann vorliegen, wenn sie leicht ist, bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden kann und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglicht. Die Formulierung „und/oder“ deutet auf das Vorliegen kumulativer, aber auch alternativer Anspruchsvoraussetzungen hin. Eine (Verweisungs-)Tätigkeit mit dem geringsten Anforderungsprofil ist demnach eine leichte körperliche Tätigkeit, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt wird und (kumulativ) mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglicht (erste Fallgruppe). Das Wort „oder“ für die zweite Fallgruppe ist nicht als Alternative zu leichten Tätigkeiten oder zu Tätigkeiten unter durchschnittlichem Zeitdruck, sondern als Alternative zu vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübten Tätigkeiten zu verstehen. Es könnte daher die Härtefallregelung dahin verstanden werden, dass die zweite Fallgruppe der Tätigkeiten mit dem geringsten Anforderungsprofil eine leichte körperliche Tätigkeit, die bei durchschnittlichem Zeitdruck ausgeübt wird und mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglicht, umfasst. Bei einer solchen Auslegung würde es sich aber bei den beiden Fallgruppen im Ergebnis um keinen alternativen Kreis von Anspruchsberechtigten handeln, weil der Kreis der Anspruchsberechtigten nach der ersten Fallgruppe jedenfalls auch von der zweiten Fallgruppe umfasst wäre. Im Übrigen würde bei einer solchen Auslegung auch eine grundsätzlich im Gehen ausgeübte Tätigkeit, die von einer - mitunter auch nur mehrmals täglich einzunehmenden - stehenden Tätigkeit abgelöst wird, als Tätigkeit mit dem geringsten Anforderungsprofil anzusehen und damit bereits der Härtefallregelung zu unterstellen sein. Eine solche Tätigkeit stellt jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats keine Tätigkeit mit geringstem Anforderungsprofil dar und es findet die gegenteilige Ansicht auch in den zitierten Gesetzesmaterialien keine Deckung.

3.6 Ivansits/Weissensteiner aaO DRdA 2011, 177 f vertreten in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass folgende zwei Gruppen von „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ zu unterscheiden seien:

- leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und (= während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen (zB die Tätigkeit eines Parkgaragenkassiers);

- leichte (körperliche) Tätigkeiten, die vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden, oder (= nicht während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals einen Haltungswechsel ermöglichen (zB die Tätigkeit einer Näherin).

Die Alternative bei dieser Auslegungsvariante besteht somit darin, ob der mehrmalige tägliche Haltungswechsel während der Ausübung der Tätigkeit möglich ist oder nicht. Für diese Auslegung findet sich im Gesetzeswortlaut des § 124 Abs 1b BSVG durch die Bezugnahme auf die „ausgeübte Tätigkeit“ eine gewisse Stütze. Für diese Auslegung spricht aber auch, dass in den Gesetzesmaterialien in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf einen „nicht-kontinuierlichen Arbeitsablauf“ Bezug genommen wird. Der erkennende Senat folgt daher auch in der Frage der Auslegung des Begriffs „Tätigkeiten mit dem geringsten Anforderungsprofil“ der Ansicht von Ivansits/Weissensteiner aaO, wonach es sich dabei einerseits um leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und (= während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen (erste Fallgruppe) und andererseits um leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden oder (= nicht während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen, handelt. Mit dieser Auslegung wird nach Auffassung des erkennenden Senats im Hinblick auf die vorliegende unklare Gesetzeslage der ausdrücklich erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Härtefallregelung nur für eine sehr kleine Zahl sehr stark leistungseingeschränkter Versicherter schaffen zu wollen, sowie dem Zweck der Regelung (als „Härtefallregelung“) am ehesten Rechnung getragen (vgl 10 ObS 105/11f und 10 ObS 113/11g).

4. Wie bereits ausgeführt, beschreibt die Legaldefinition der Tätigkeiten mit dem geringsten Anforderungsprofil nicht das für eine Anwendung der Härtefallregelung noch zulässige medizinische (Rest-)Leistungskalkül des Versicherten, sondern das Anforderungsprofil jener Tätigkeiten unter allen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen und in diesem Fall nicht als mögliche und zumutbare Verweisungstätigkeiten in Betracht kommen. Entscheidendes Kriterium für die Anwendung der Härtefallregelung ist daher nicht schon die Einschränkung des medizinischen Leistungskalküls der versicherten Person, sondern - wie der Gesetzeswortlaut („Tätigkeiten mit dem geringsten Anforderungsprofil“) und insbesondere die zitierten Gesetzesmaterialien zeigen - die vom Gesetzgeber im Hinblick auf das eingeschränkte Leistungskalkül der versicherten Person vorgesehene Einschränkung der Verweisbarkeit der versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt.

5. Ist die dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zugrundeliegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 519 Rz 26 mwN; RIS-Justiz RS0042179).

6. Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Verfahrenskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte