OGH 15Os150/11i

OGH15Os150/11i20.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. Juli 2011, GZ 16 Hv 2/11h‑74, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I./ und II./, demzufolge im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und in den Aussprüchen über die Einziehung und die Abschöpfung der Bereicherung aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde - soweit diese die Schuldsprüche I./ und II./ betrifft - und seiner Berufung wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf den kassatorischen Teil dieser Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde - soweit sie den Schuldspruch III./ betrifft - zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ‑ verfehlt in Beschlussform, vgl § 443 Abs 1 StPO ‑ Aussprüche über die Einziehung sichergestellter Arzneimittel und die Abschöpfung unrechtmäßiger Bereicherung enthält (US 3), wurde Karl M***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 (zu ergänzen: fünfter Fall), Abs 4 Z 3 SMG (I./), der Verbrechen (richtig: des Verbrechens) des Handels mit psychotropen Stoffen nach § 31a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 SMG (II./) sowie der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien und anderen Orten

I./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er von August 2009 bis September 2010 an im Urteil namentlich genannte sowie unbekannte Abnehmer insgesamt zumindest 8.580 Stück Substitol bzw Mundidol Kapseln 200 mg, 1.020 Gramm Cannabiskraut und 170 Gramm Cannabisharz gewinnbringend veräußerte;

II./ von August 2009 bis September 2010 vorschriftswidrig psychotrope Stoffe in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 31b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er mindestens 31.500 Stück Somnubene Tabletten 1 mg und 200 Stück Praxiten Tabletten 50 mg an abgesondert verfolgte Personen sowie weitere unbekannte Abnehmer gewinnbringend veräußerte;

III./ von Mai 2009 bis Mitte September 2010 falsche Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts und einer Tatsache, nämlich seiner offenbar falschen Identität wie seiner Bezugsberechtigung für diese Medikamente gebraucht, indem er mindestens 1.060 gefälschte Privatrezepte vom abgesondert verfolgten Paul Ma***** entgeltlich erwarb und in Apotheken zum Bezug von rezeptpflichtigen und psychotropen Medikamenten vorlegte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil in den Schuldsprüchen I./ und II./ der von Amts wegen wahrzunehmende (§ 290 Abs 1 StPO) Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet.

Strafrechtlich relevantes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz (I./ und II./) bezieht sich nur auf konkrete, in der Suchtgiftverordnung oder der Psychotropenverordnung erfasste Wirkstoffe, weshalb Feststellungen zur Beschaffenheit, nämlich der Wirkstoffart (und -menge) tatverfangener Substanzen unabdingbar sind. Dem angefochtenen Urteil sind jedoch keine Konstatierungen zu entnehmen, ob und bejahendenfalls welche in den Anhängen zur Suchtgiftverordnung (BGBl II 1997/374 idgF) und zur Psychotropenverordnung (BGBl II 1997/375 idgF) angeführten Wirkstoffe in den im Urteil genannten Substanzen enthalten waren, darüber hinaus blieb auch der Reinsubstanzgehalt der (allenfalls vorliegenden) Suchtgifte und psychotropen Stoffe, der zur Beurteilung des Vorliegens einer das Einfache, Fünfzehnfache oder Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge unerlässlich ist, unerwähnt. Der bloße Hinweis auf die aktuelle Bruttosuchtgiftmenge (hier: an Cannabisprodukten) sowie die schlichte Bezeichnung veräußerter Arzneimittel mit deren Marken- oder Handelsnamen (hier: „Substitol“, „Mundidol“, „Somnubene“ und „Praxiten“) samt Bezifferung der Anzahl derartiger (allenfalls ein Suchtgift oder einen psychotropen Stoff enthaltender) Tabletten vermag diesen Feststellungserfordernissen nicht zu genügen (vgl RIS-Justiz RS0114428, RS0111350; Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 1 Rz 14; Schwaighofer in WK2 SMG § 28b Rz 9 ff). Dass die Inhaltsstoffe dieser Medikamente allenfalls gerichtsnotorisch sind, ändert daran nichts, zumal es für notorische Tatsachen zwar keiner Beweisaufnahme, wohl aber deren Feststellung bedarf (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600).

Die vom Erstgericht vorgenommene Subsumtion leidet daher an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen, der die mit dem Auftrag zur Verfahrenserneuerung verbundene Kassation der Schuldsprüche I./ und II./, somit auch des Strafausspruchs sowie der Einziehung nach § 34 SMG und der Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 Z 1 StGB (idF BGBl 2002/134) erfordert (§ 285e StPO).

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte im Umfang der Kassation (Schuldspruch I./ und II./) hierauf zu verweisen, mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Sanktionsausspruchs zu verweisen.

Im Übrigen (Schuldspruch III./) schlägt die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Nichtigkeit begründenden Verstoß gegen § 240a StPO, weil die Schöffen am ersten Tag der Hauptverhandlung noch nicht, vielmehr erstmals am zweiten Verhandlungstag beeidigt gewesen seien.

Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls wurde am 3. März 2011 zu Beginn der Hauptverhandlung hinsichtlich der anwesenden Schöffen Franz G***** und Gabriele Ga***** festgehalten, dass sie „im heurigen Kalenderjahr noch nicht beeidet“ worden waren (ON 55 S 1). Ob in der Folge vom Vorsitzenden eine Beeidigung der Laienrichter vorgenommen worden ist, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. In der Hauptverhandlung am 28. April 2011 wiederum wurde protokolliert, dass „die Schöffen im heurigen Kalenderjahr bereits beeidet sind“. Sodann wurde die Hauptverhandlung - unter „Wiederholung der bisherigen Verfahrensergebnisse und Anknüpfung daran“ (ON 63 S 2), ohne dass es zu einer Neudurchführung der Verhandlung nach § 276a StPO gekommen wäre (Danek, WK‑StPO § 276a Rz 11 und § 240a Rz 3) - an diesem Tag, am 17. Juni 2011 (ON 69) und am 28. Juli 2011 (ON 73) in unveränderter Senatszusammensetzung durchgeführt.

Einer Aufklärung (§ 285f StPO) dahingehend, ob - möglicherweise infolge des (im Schöffenverfahren zwar zulässigen, aber nur in ganz einfachen Fällen sachgerechten) Absehens des Vorsitzenden von der Beiziehung eines Schriftführers und der Protokollierung durch richterliches Diktat (§ 271 Abs 4 StPO; vgl Danek, WK-StPO § 271 Rz 29) - am 3. März 2011 die Beeidigung oder aber bloß deren Protokollierung verabsäumt wurde, bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht.

Denn bereits ausgehend vom Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde ist nach Lage des Falls jedenfalls auszuschließen, dass ein gesetzwidriges Unterbleiben der Beeidigung der Laienrichter in der Hauptverhandlung vom 3. März 2011 einen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO), wurde doch die Hauptverhandlung mit den sodann beeidigten Schöffen innerhalb von zwei Monaten in unveränderter Senatszusammensetzung fortgesetzt und wurden dabei die früheren Verfahrensergebnisse wiederholt. Aus diesem Grund konnte die allfällige Formverletzung nicht zum Vorteil des Angeklagten geltend gemacht werden (Danek, WK-StPO § 240a Rz 3; 11 Os 118/03; vgl auch 13 Os 64/87).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet (auch) zum Schuldspruch III./ eine offenbar unzureichende Begründung infolge Berücksichtigung von in der Hauptverhandlung - mangels jeglicher Verlesung oder eines Vortrags des Vorsitzenden gemäß § 252 Abs 2a StPO - nicht vorgekommenen Beweismitteln (Lendl, WK-StPO § 258 Rz 9; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 464). Mit dem pauschalen Verweis auf die Urteilskonstatierungen US 4 bis 8 und der bloßen Aufzählung in der Hauptverhandlung nicht vorgekommener, im Urteil aber verwerteter Verfahrensergebnisse, darunter auch der Protokolle über die polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten vom 19. November 2010 und jene des Zeugen Paul Ma***** vom 17. September und vom 17. November 2010, legt die Rüge jedoch nicht dar, auf welche konkreten Feststellungen über entscheidende Tatsachen, die die Tatrichter zu III./ auf in der Hauptverhandlung nicht vorgekommene Beweismittel gestützt hätten, sie sich bezieht, und verabsäumt auch ein Vorbringen, dass die Tatrichter nicht anderen Beweismitteln schon für sich allein volle Überzeugungskraft zugebilligt, das nicht vorgekommene im Ergebnis also bloß illustrativ erwähnt hätten (RIS-Justiz RS0113210). Letzteres wäre in Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass ein Begründungsmangel in diesem Zusammenhang nur dann gegeben ist, wenn aus der Sicht der Tatrichter das in der Hauptverhandlung nicht vorgekommene Beweismittel nicht hinweg gedacht werden könnte, ohne dass ihre volle Überzeugung vom Vorliegen einer subsumtionsrelevanten Tatsache entfiele (RIS-Justiz RS0113209).

Sofern das pauschale Vorbringen der Beschwerde zu III./ die Urteilsfeststellungen zur Zahl der vom (in Bezug auf 280 Rezepte geständigen) Angeklagten gebrauchten falschen Urkunden meint, so stützte das Erstgericht diese zwar unter anderem auf „die Aussage des Zeugen Paul Ma*****“ (US 14), der aber den Angeklagten nicht nur bei seiner polizeilichen Vernehmung, sondern auch im Rahmen seiner gerichtlichen Zeugenaussage (ON 55 S 17) im Sinn des Konstatierten belastet hat. Im Übrigen wird keine entscheidende Tatsache angesprochen, wenn das Erstgericht - wie hier - eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisiert hat und der (grundsätzlich geständige) Beschwerdeführer die Täterschaft (nur) hinsichtlich einzelner Taten in Frage stellt (RIS-Justiz RS0116736).

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde auf den Schuldspruch III./ bezieht, war sie daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO bezieht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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