Spruch:
In der Strafsache gegen Mag. Michael K***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, AZ 12c Vr 7354/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wurde in der Hauptverhandlung vom 29. April 2003 das Gesetz verletzt
1. durch das Unterbleiben der Beeidigung der Schöffin Mag. Ingrid W***** zu Beginn der Hauptverhandlung in der Bestimmung des § 240a Abs 1 StPO,
2. durch den Vorgang, dass trotz geänderter Senatszusammensetzung und der danach erforderlichen Wiederholung der Hauptverhandlung ein Vortrag der Anklage unterblieb, in der Bestimmung des § 276a iVm § 244 Abs 1 StPO.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. April 2003, GZ 12c Vr 7354/00-69, aufgehoben und diesem Gericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Oktober 2001, GZ 12c Vr 7354/00-35, wurde Mag. Michael K***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Aus Anlass einer dagegen vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde hob der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 28. Mai 2002, GZ 11 Os 55/02-7, das angefochtene Urteil gemäß § 290 Abs 1 StPO auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Die im zweiten Rechtsgang am 11. März 2003 unter Beziehung der Schöffen Gerda S***** und Sabine T***** durchgeführte Hauptverhandlung (ON 61) wurde auf den 29. April 2003 vertagt (S 219/III). An diesem (letzten) Verhandlungstermin nahm jedoch anstelle der bisherigen Schöffin Gerda S***** die noch nicht beeidete Mag. Ingrid W***** als Laienrichterin teil (ON 68). Ungeachtet der geänderten Senatszusammensetzung setzte die Vorsitzende das Beweisverfahren zunächst fort, ohne auch nur die wesentlichen Ergebnisse des bisherigen Verfahrens vorzutragen oder zumindest die neu hinzugezogene Laienrichterin mit dem Inhalt der Anklage vertraut zu machen. Auch eine Beeidigung der Schöffin Mag. W***** am Beginn der Hauptverhandlung wurde nicht vorgenommen.
Erst nach der Einvernahme zweier Zeugen wurde die geänderte Zusammensetzung des Senates festgestellt und der (formale) Beschluss auf Neudurchführung des Verfahrens gemäß § 276a StPO gefasst (S 337/III). Im Rahmen der Neudurchführung wurde lediglich das Hauptverhandlungsprotokoll vom 11. März 2003 (ON 61) einverständlich verlesen, ein Anklagevortrag ist jedoch unterblieben. Erst während der Beratung zur Urteilsfällung wurde die fehlende Beeidigung der Schöffin Mag. Ingrid W***** festgestellt. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin wieder eröffnet, die Beeidigung der Schöffin vorgenommen und sodann nach Wiederholung der Schlussvorträge die Urteilsberatung (§ 257 StPO) neuerlich durchgeführt. Mag. Michael K***** wurde sodann des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt (ON 69).
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 1, 3, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die Vorgangsweise des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 240a Abs 1 StPO ist die Beeidigung der Schöffen im unmittelbaren Anschluss an die dem Aufruf der Sache folgende Vernehmung des Angeklagten zur Person vorzunehmen. Die erst nach Schluss des Beweisverfahrens durchgeführte Beeidigung entspricht daher nicht dem Gesetz.
§ 276a StPO sieht vor, dass eine vertagte Verhandlung unter anderem dann zu wiederholen ist, wenn sich - wie hier - die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat. Zur Wiederholung gehört auch der gemäß § 244 Abs 1 StPO am Beginn der Verhandlung - nach dem Abtreten der Zeugen und vor der Vernehmung des Angeklagten - vorgesehene Anklagevortrag durch den öffentlichen Ankläger. Ein solcher Vortrag ist jedoch unterblieben und wurde auch während der gesamten folgenden Verhandlung nicht mehr nachgeholt. Nach der Vernehmung zweier Zeugen und der formellen Beschlussfassung auf Neudurchführung des Verfahrens hat zwar die Vorsitzende das Protokoll über die Hauptverhandlung vom 11. März 2003 (ON 61) einverständlich verlesen (und damit das in dieser Verhandlung durchgeführte Beweisverfahren wiederholt); diesem Protokoll ist jedoch der Anklageinhalt nicht zu entnehmen. Erwägt man, dass das Beweisverfahren durchgeführt wurde, ohne dass sämtliche Mitglieder des erkennenden Gerichtshofes durch den vorherigen Vortrag der Anklage - nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls auch in keiner anderen Weise - darüber unterrichtet wurden, was dem Angeklagten eigentlich zur Last gelegt wird, sohin ohne dass sie darüber aufgeklärt wurden, worauf sie bei der Beweisaufnahme ihr Augenmerk zu lenken hatten, so kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Unterbleiben des Anklagevortrages zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl EvBl 1961/192).
Gegen das Urteil vom 29. April 2003 (ON 69) richtet sich zwar eine rechtzeitig angemeldete und auch fristgerecht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Der Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 244 Abs 1, 276a StPO steht jedoch nicht unter Nichtigkeitssanktion. Die Verletzung der Vorschrift des § 240a StPO wurde zwar mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO releviert; im Hinblick auf die noch vor der Beratung über die Urteilsfällung nachgeholte Beeidigung konnte aber diese Formverletzung unzweifelhaft auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben und daher auch nicht zu dessen Vorteil geltend gemacht werden.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die Gesetzesverletzungen festzustellen, das Urteil aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen. Im Hinblick auf die Kassation war der Angeklagte mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen, ohne dass es eines Eingehens auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedurft hätte.
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