OGH 15Os117/11m

OGH15Os117/11m14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas F***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 5. Juli 2011, GZ 20 Hv 96/10v‑93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas F***** je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I.A./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I.B./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er ‑ soweit für die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz ‑ vorschriftswidrig Suchtgift

I) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Zoltan F***** in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich

A) zumindest 9 kg Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 4,1 % und 5 kg Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 21 % ein‑ bzw ausgeführt, und zwar

a) Ende August oder Anfang September 2009 2 kg Cannabiskraut (82 Gramm reine Base beinhaltend), indem sie das Suchtgift mit einem PKW von Kosovo nach Österreich schmuggelten;

b) im September 2009 zumindest 2 kg Cannabiskraut (82 Gramm reine Base beinhaltend), indem sie das Suchtgift mit einem PKW von Kosovo nach Österreich schmuggelten;

c) im Oktober 2009 zumindest 5 kg Cannabiskraut (205 Gramm reine Base beinhaltend), indem sie das Suchtgift mit einem PKW von Kosovo nach Österreich schmuggelten;

d) im Oktober 2009 5 kg Heroin (1.050 Gramm reine Base beinhaltend), indem sie das Suchtgift mit einem PKW über einen Grenzübergang in Vorarlberg in die Schweiz bis nach S***** verbrachten und dort an einen unbekannten Abnehmer übergaben;

B) im Oktober 2009 in der Schweiz 5 kg Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 21 % ‑ sohin 1.050 Gramm reine Base beinhaltend ‑ durch die unter I./A./d./ genannte Tathandlung einem anderen überlassen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie geht fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 4; richtig: Z 11 erster Fall iVm Z 4; RIS‑Justiz RS0119249, RS0118581) zuwider wurde der Antrag auf Einholung eines „ergänzenden medizinischen psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass bei dem zum Tatzeitpunkt 20‑jährigen Angeklagten eine verzögerte Reife vorliegt und er zum Zeitpunkt der Tat noch die Reife eines 18‑jährigen hatte“ (ON 92 S 15), zu Recht abgewiesen, weil es das Erstgericht ohnedies als erwiesen ansah, dass eine verzögerte Reife bei Andreas F***** ausreichend dokumentiert sei (vgl § 55 Abs 2 Z 3 StPO; Ratz, WK-StPO, § 281 Rz 342).

Die in der Rechtsmittelschrift geforderte „verfassungskonforme Auslegung des § 1 Z 2 JGG“ und die daraus wie aus § 4 Abs 2 Z 1 JGG abgeleitete (analoge) Anwendung der Bestimmung des § 5 JGG für (junge) Erwachsene, die die „geistige Reife eines 14 bis 17‑jährigen aufweisen“, verbietet schon deren Charakter als ausschließlich den jugendlichen Straftäter privilegierende Sonderregelung. Eine planwidrige Gesetzeslücke, die Voraussetzung einer Analogie wäre, liegt nicht vor (vgl 14 Os 25/06t). Auch der in eventu erhobenen Anregung, nach Art 89 Abs 2 B-VG vorzugehen, konnte daher nicht nähergetreten werden.

Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Vilson D***** (ON 92 S 14) wurde durch den Schöffensenat zu Recht abgewiesen, weil dem genannten Beweisthema (weder Zoltan F***** noch der Angeklagte Andreas F***** hätten mit ihm Suchtgiftgeschäfte getätigt) angesichts der Angaben des Angeklagten, wonach sein Vater nur „Vorverhandlungen“ mit „Willi“ (Vilson D*****) führte (ON 33 S 41) und die Übergabe des Suchtmittels am nächsten Tag „von irgendjemand“ erfolgte (ON 33 S 41 f, vgl auch US 6 oben), keine Relevanz für die Schuldfrage zukam (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO).

Das Begehren auf Ausforschung jenes Bekannten des Zoltan F*****, den dieser in S***** in der Schweiz in Anwesenheit seines Sohnes getroffen habe, und dessen Vernehmung zum Beweis dafür, dass ihm im Oktober 2009 kein Suchtgift in Form von 5 kg Heroin übergeben wurde (ON 92 S 14), verfiel ohne Schmälerung von Verteidigungsrechten der Abweisung, weil es bloß auf die ‑ unzureichenden (ON 17 S 2, ON 33 S 45, 49, 55 f, vgl US 10 dritter Absatz) ‑ Angaben des Angeklagten und auf die „objektivierten Daten des Navigationsgeräts“ gestützt wurde, sodass ‑ worauf das Erstgericht (wenngleich entgegen § 238 Abs 3 StPO erst in der Urteilsausfertigung) zutreffend hinwies (US 10) ‑ ein undurchführbarer Beweis vorliegt (RIS‑Justiz RS0099275; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 339), zumal Personen ohne Namen nicht anhand bloß geographischer Daten ausgeforscht werden können.

Schließlich ist ‑ der Verfahrensrüge zuwider ‑ auch die „Einholung der Erhebungsergebnisse betreffend den Verdacht der angeblichen Übergabe in S***** und die dort erhobenen Örtlichkeiten“ zum Beweis dafür, dass diese mit „den Angaben des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen sind, dieser somit keine tatsächliche Erinnerung an die Übergabe bei der Polizei zu Protokoll gab“ (ON 92 S 15), zutreffend unterblieben, weil sich der Antrag mangels Darlegung, welche tatsächlichen Gegebenheiten welchen Depositionen des Beschwerdeführers widersprechen sollten, als bloße Erkundungsbeweisführung darstellt (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330 f).

Mit ihrem gegen den Schuldspruch I./A./a./ gerichteten Vorbringen vernachlässigt die Mängelrüge (Z 5) ebenso wie die Tatsachenrüge (Z 5a), dass das Erstgericht zu I./A./ aufgrund des konstatierten, auf ein das 25‑fache der Grenzmenge überschreitendes Suchtgiftquantum gerichteten Additionsvorsatzes (vgl US 3, 4, 11) in sachverhaltsmäßiger Hinsicht nicht von mehreren eigenständigen Taten, sondern von mehreren Angriffen im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit und demgemäß von einer einzigen Tat ausging (vgl RIS-Justiz RS0122006). Angesichts der diesem Urteilspunkt zu Grunde liegenden, die Annahme des § 28 Abs 4 Z 3 SMG nicht tangierenden Suchtgiftmenge spricht sie damit ‑ der Stellungnahme der Generalprokuratur zuwider ‑ keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache an (vgl 15 Os 105/10w; 15 Os 28/11y).

Die Konstatierung, der Angeklagte habe den PKW von A***** in dem Wissen, dass 5 kg Heroin im Wagen versteckt waren, in Richtung Schweiz gelenkt (US 3), lässt keinen Raum für die Hypothese, der Vater des Angeklagten habe diesem erst nach Passieren der Grenze hievon Mitteilung gemacht. Die von der Mängelrüge behauptete Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt daher nicht vor.

Dass das Erstgericht die tatverfangene Menge an Cannabiskraut (zu Unrecht) einerseits als das 25-fache, andererseits das 10,5-fache die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigend feststellte, berührt schon angesichts der im Rahmen des - mit hinreichender Deutlichkeit - konstatierten einheitlichen Tatgeschehens (US 3, 4, 11; vgl RIS-Justiz RS0087874) ein- und ausgeführten 5 kg Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 21 % ‑ sohin 1.050 Gramm reine Base ‑ keine entscheidende Tatsache (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 ff), sodass der von der Rüge ins Treffen geführte Widerspruch auf sich beruhen kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 437).

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb dieser Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Indem die Rüge einzelne Angaben des Angeklagten zu I./A./d./ des Schuldspruchs aus dem Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung isoliert herausgreift und daraus im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen den Schluss zieht, Andreas F***** habe erst nach Passieren der österreichisch-schweizerischen Grenze von dem Suchtgiftschmuggel und dessen Umfang erfahren, vermag sie keine aus den Akten abzuleitende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Das in diesem Zusammenhang behauptete Fehlen einer Begründung (Z 5 vierter Fall) der Annahme, der Angeklagte habe bereits in Österreich von dem versteckten Heroin gewusst, liegt schon deshalb nicht vor, weil das Erstgericht ersichtlich aus der ursprünglichen chronologischen Schilderung des Tathergangs durch den Angeklagten, insbesondere seiner Aussage, sein Vater habe ihm während der Fahrt erzählt, dass er Heroin oder Kokain „schmuggle“, und für eine Fahrt je nach Menge 5.000 bis 10.000 Euro bekomme (US 6 iVm ON 33 S 43), ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungssätze ableitete, dass ihm dieses Wissen bereits vor Passieren der Grenze zugänglich wurde.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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