OGH 5Ob162/11a

OGH5Ob162/11a13.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Nora Aburumieh, Rechtsanwältin in St. Pölten, gegen die beklagte Partei N***** H*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Binder-Novak, Rechtsanwältin in St. Pölten, wegen 7.200 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 9. September 2010, GZ 21 R 189/10t-33, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 11. Mai 2010, GZ 8 C 688/08p-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Beide Parteien hatten sich an einem sogenannten „Schenkkreis“ (Pyramidenspiel; Schneeballsystem) beteiligt. Die Klägerin gewährte der Beklagten ein Darlehen zum Zweck der weiteren Investition des überlassenen Betrags in den „Schenkkreis“.

Das Erstgericht wies das auf Rückzahlung des Darlehensbetrags gerichtete Klagebegehren ab. Der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nicht Folge und sprach - nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil seine Entscheidung allenfalls von der Darlehensjudikatur des (deutschen) Bundesgerichtshofs abweiche.

Die von der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO kurz zu begründen ist:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Unstrittig ist, dass die Klägerin (Darlehensgeberin) und die Beklagte (Darlehensnehmerin) einen Darlehensvertrag abgeschlossen haben. Der beiden Parteien bekannte Vertragszweck war die von der Beklagten geplante und dann auch durchgeführte Investition der Darlehensvaluta in den „Schenkkreis“, um das Pyramidenspiel weiter in Gang zu halten.

1.2. Unstrittig war bislang auch, dass auf den vorliegenden Sachverhalt deutsches Sachrecht anzuwenden ist. Die von der Beklagten nunmehr in ihrer Revisionsbeantwortung angestellte Überlegung, ob nicht doch österreichisches Sachrecht anzuwenden sei, unterstellt Tatsachen, die durch die Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt sind. Es ist daher auch folgend von deutschem Sachrecht auszugehen (vgl 8 Ob 37/09p mwN).

2. Nach Ansicht der Klägerin begründe die unterlassene Einholung eines Sachverständigengutachtens über das anzuwendende deutsche Recht, insbesondere zur Auslegung der §§ 812, 817 BGB, einen Mangel des Berufungsverfahrens. Dies trifft jedoch nicht zu:

2.1. Die nach Ansicht der Klägerin unzureichende Ermittlung des ausländischen Sachrechts infolge unterlassener Einholung eines Sachverständigengutachtens und dessen vermeintlich fehlerhafte Anwendung sind Rechtsmittelausführungen, die dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnen sind (8 Ob 27/93 ZfRV 1994/58 = JBl 1994, 829). Das anzuwendende - hier deutsche - Recht ist gemäß § 4 Abs 1 IPRG entsprechend seinem Rechtscharakter von Amts wegen durch das Gericht zu ermitteln. Es steht diesem frei, hiefür - gleichfalls von Amts wegen - als zulässige Hilfsmittel (ua) die im Gesetz aufgezählten verfahrensrechtlichen Erhebungsmaßnahmen heranzuziehen. Welcher Weg im Einzelfall beschritten wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es besteht auch keine richterliche Verpflichtung zu bestimmten Ermittlungsmaßnahmen; vielmehr liegt es im Ermessen des Gerichts, wie es sich die notwendige Kenntnis fremden Rechts verschafft (10 Ob 96/04x mwN EFSlg 111.637).

2.2. Gemäß § 3 IPRG umfasst die Ermittlung das fremde Recht, wie dieses im Ursprungsland tatsächlich gehandhabt wird. Bei Vorhandensein ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen ist deren Auslegung in Rechtsprechung und Lehre maßgebend. Für deren Ermittlung sind die in § 4 Abs 1 Satz 2 IPRG genannten Hilfsmittel subsidiär im Sinn von entbehrlich, wenn die amtswegige Ermittlung schon eine ausreichende rechtliche Beurteilung ermöglicht (8 Ob 27/93 ZfRV 1994/58 = JBl 1994, 829). Dies ist hier der Fall, weil die einschlägige deutsche Rechtsprechung und Lehre zugänglich sind und deren Verwertung, also die rechtliche Beurteilung im Einzelfall, nicht einem Sachverständigen zu überantworten ist.

Der von der Klägerin behauptete „Verfahrensmangel“ liegt somit nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

3. Nach Ansicht der Klägerin seien die Vorinstanzen von angeblich einheitlicher Rechtsprechung des (deutschen) Bundesgerichtshofs (BGH) abgewichen, wonach sämtliche Zuwendungen im Rahmen der Teilnahme an einem sogenannten „Schenkkreis“ sittenwidrig (§ 138 BGB) und rückzuerstatten seien.

3.1. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat nicht die Aufgabe, die Einheitlichkeit oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich zu gewährleisten (6 Ob 239/03w mwN ZfRV-LS 2004/9). Dennoch kann auch bei Maßgeblichkeit fremden Rechts eine erhebliche Rechtsfrage dann vorliegen, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt wurde (1 Ob 33/01m mwN ZfRV 2001/68 = EFSlg 98.391; RIS-Justiz RS0042948) und/oder hiebei Subsumtionsfehler unterliefen, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtig gestellt werden müssen (3 Ob 32/08i mwN ZfRV-LS 2008/65 [Ofner]).

3.2. Nach § 138 Abs 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm gemäß § 812 Abs 1 Satz 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger nach § 817 Satz 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

3.3. Mit der schutzzweckorientierten Einschränkung der Kondiktionssperre iSd § 817 Satz 2 BGB hat sich der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit (Leistungen in) einem „Schenkkreis“ bereits in mehreren Entscheidungen befasst und erkannt, dass die Vereinbarung eines „Schenkkreises“, weil auf ein Schneeballsystem gerichtet, sittenwidrig und damit gemäß § 138 Abs 1 BGB nichtig sei. Weiters ist er zum Ergebnis gelangt, dass der Kondiktionssperre nach § 817 Satz 2 BGB ausnahmsweise Grund und Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion entgegenstehen können, was hier für die „Einsätze“ im „Schenkkreis“ (Geldzahlungen als „Geschenke“) gelte, die demnach zurückgefordert werden könnten (BGH 10. 11. 2005, III ZR 72/05 NJW 2006, 45; 10. 11. 2005, III ZR 73/05). In der Folge hat der Bundesgerichtshof den Leitsatz geprägt, dass die Konditionssperre des § 817 Satz 2 BGB nicht nur bei Bereicherungsansprüchen entfalle, die sich gegen die Initiatoren eines „Schenkkreises“ richten, sondern allgemein bei allen Zuwendungen im Rahmen derartiger Kreise, ohne dass es auf eine einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahrung des betroffenen Gebers oder Empfängers ankomme (BGH 13. 3. 2008, III ZR 282/07 NJW 2008, 1942). Weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betrafen die fragliche Passivlegitimation des beschenkten Beklagten (BGH 6. 11. 2008, III ZR 120/08; 6. 11. 2008, III ZR 121/08) und den Beginn der Verjährung bei einem Bereicherungsanspruch für Rückerstattung einer im Rahmen eines „Schenkkreises“ geleisteten sittenwidrigen Zuwendung (BGH 18. 12. 2008, III ZR 132/08). Mit der hier zu beurteilenden Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein zum Zweck der weiteren Beteiligung an einem „Schenkkreis“ gewährter Darlehensbetrag zurückgefordert werden könne, hatte sich jedoch der Bundesgerichtshof bislang nicht zu befassen. Die im Leitsatz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. 3. 2008, III ZR 282/07 (NJW 2008, 1942) enthaltene Wendung „alle Zuwendungen im Rahmen derartiger Schenkkreise“ bezog sich (nur) auf alle „Geschenke“, und zwar unabhängig davon, ob diese den Initiatoren oder (erst) späteren Empfängern gemacht worden waren. Zahlungen, die - wie eine Darlehensgewährung - (nur) mittelbar die weitere Beteiligung am „Schenkkreis“ ermöglichen, war nicht Gegenstand dieser Entscheidung und der dort vorgenommenen rechtlichen Beurteilung. Schon damit ist dem tragenden Argument der Revision, die Entscheidungen der Vorinstanzen wichen von (ständiger) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, die Grundlage entzogen. Richtig ist vielmehr, dass Judikatur des Bundesgerichtshofs zur hier vorliegenden Fragestellung nicht existiert.

3.4. Mit der zuvor genannten Rechtsfrage der Rückforderbarkeit eines zur (weiteren) Teilnahme an einem „Schenkkreis“ gewährten Darlehensbetrags haben sich allerdings bereits deutsche zweitinstanzliche Gerichte befasst und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Die Landgerichte München (22. 3. 2007, 10 O 25455/05) und Traunstein (15. 1. 2008, 7 O 1688/07) sowie das Oberlandesgericht Düsseldorf (21. 8. 2006, 20 O 392/05) kamen zum Ergebnis, dass ein solcher Darlehensbetrag nicht zurückgefordert werden könne. Demgegenüber vertrat das Landgericht Köln (16. 7. 2008, 2 O 230/07) die Rechtsansicht, dass der Darlehensgeber nicht gemäß § 817 Satz 2 BGB von der Rückforderung ausgeschlossen sei.

3.5. Die Vorinstanzen haben sich hier (im Ergebnis) der (zu 3.4.) erstgenannten deutschen Judikaturlinie angeschlossen. Für dieses Ergebnis spricht die grundsätzliche Geltung der Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB, deren Einschränkung auf präzise gesetzliche Wertungen zurückgeführt werden müsste (Schwab in Münchkomm 5, § 817 BGB Rz 20), und die Überlegung, dass die Versagung der Rückforderbarkeit des Darlehensbetrags tendenziell gegen den kreditfinanzierten (Weiter-)Betrieb des „Schenkkreises“ wirkt. Die Vorinstanzen haben demnach zu vertretbaren, einer deutschen Judikaturlinie entsprechenden Entscheidungen gefunden. Die Fortentwicklung deutscher Rechtsprechung durch eine Entscheidung für oder gegen die eine oder andere der zuvor dargestellten Rechtsprechungslinien ist dann - wie bereits oben (3.1.) dargestellt - aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, sodass sich insoweit keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO stellt.

4. Dass die Vorinstanzen maßgebliche Lehrmeinungen übergangen oder allenfalls für die rechtliche Beurteilung erhebliche Tatfragen unerörtert gelassen hätten, behauptet die Klägerin in ihrer Revision nicht; auf solche Fragen ist nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0102059 [T7]; RS0043338).

4.1. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision unzulässig und deshalb zurückzuweisen.

4.2. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).

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