OGH 10ObS121/11h

OGH10ObS121/11h6.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara- Pölt-Weg 2, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. September 2011, GZ 23 Rs 31/11x-10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin macht ausschließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 5 Abs 5 erster Satz KBGG in der hier anzuwendenden Fassung des BGBl I 2007/76 geltend, wonach der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit Ablauf jenes Tages, welcher der Geburt eines weiteren Kindes bzw der Adoption (In-Pflege-Nahme) eines jüngeren Kindes vorangeht, endet.

Den Revisionsausführungen ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 4. 10. 2006, G 43/06 ua (VfSlg 17.954 = DRdA 2007/47, 468 [Pfeil]) in dieser Regelung keine Verfassungswidrigkeit (Gleichheitswidrigkeit) erblickt hat. Auch wenn die Betreuungsleistung und der finanzielle Aufwand für mehrere Kinder höher ist, muss der Gesetzgeber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs die Höhe der Leistung im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen nicht unterschiedlich bemessen. Die Bevorzugung der Mehrlingsgeburten durch den Mehrlingszuschlag ist durch die besondere Lage solcher Eltern sachlich gerechtfertigt, zumal die durch eine Mehrlingsgeburt eintretende Mehrbelastung nicht - wie im Falle einer höheren Belastung durch mehrere knapp hintereinander geborene Kinder - durch eine längere Bezugsdauer ausgeglichen wird. Auch in seinem weiteren Erkenntnis vom 15. 3. 2007, G 81/06 ua (VfSlg 18.109), hielt der Verfassungsgerichtshof das Prinzip des § 5 Abs 5 KBGG, wonach auch bei knapp hintereinander geborenen Kindern das Kinderbetreuungsgeld zusätzlich zu anderen Familienleistungen (Familienbeihilfe ...) nur für das jüngste Kind, das im Allgemeinen den höchsten Betreuungsaufwand verursacht, gebührt, an sich und auch im Hinblick auf die Bevorzugung von Mehrlingsgeburten für verfassungsmäßig. Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat auch der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen den Anspruchsverlust für das ältere Kind bei Geburt eines weiteren Kindes bejaht (vgl 10 ObS 24/06m; 10 ObS 9/07g, SSV-NF 21/4; 10 ObS 8/07k; 10 ObS 118/07m; 10 ObS 123/09z, SSV-NF 23/63; 10 ObS 142/09v ua).

Die von der Revisionswerberin gegen diese Rechtslage vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bilden, soweit sie nicht ohnedies bereits in den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs in den beiden erwähnten Erkenntnissen ausdrücklich verneint wurden, keinen Anlass für die Einleitung eines neuerlichen Gesetzesprüfungsverfahrens. Die Neuformulierung des § 5 Abs 5 erster Satz durch die Novelle zum KBGG, BGBl I 2007/76, diente lediglich der Klarstellung im Sinne des bereits zur Stammfassung vertretenen Verständnisses dieser Gesetzesbestimmung. Die von der Revisionswerberin geäußerte Befürchtung, eine Familie mit zwei Kindern könne überhaupt kein Kinderbetreuungsgeld beziehen, weil der Anspruch für das erste Kind durch die Geburt des zweiten Kindes ende, für das zweite Kind aber möglicherweise gar kein Anspruch entstehe, wird vom erkennenden Senat nicht geteilt, weil nach § 5 Abs 5 zweiter Satz KBGG der Anspruch für jenes Kind, für welches davor Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, wieder auflebt, wenn der Anspruch für das weitere Kind vorzeitig endet. Die höhere Belastung durch mehrere aufeinanderfolgende Kinder wird nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen durch die im Vergleich zu Mehrlingsgeburten längere Bezugsdauer ausreichend berücksichtigt.

Auch der Hinweis auf die nunmehr zwischen den einzelnen Varianten des Kinderbetreuungsgeldes bestehende Wahlfreiheit vermag keine verfassungsrechtlichen Bedenken an der hier anzuwendenden Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG zu begründen. Der Revisionswerberin ist zwar darin zu folgen, dass sich in Abhängigkeit von der bei der Antragstellung gewählten Leistungsart unterschiedliche finanzielle Auswirkungen aus der Geburt eines weiteren Kindes auf den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind ergeben können. Dies ist jedoch in erster Linie Folge der von der Antragstellerin konkret gewählten Kindergeldbetreuungsvariante und begründet noch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dem § 5 Abs 5 KBGG zugrundeliegende Zielsetzung des Gesetzgebers, dass das Kinderbetreuungsgeld nur für das jeweils jüngste Kind, also für das Kind, das den höchsten Betreuungsaufwand verursacht, gebühren soll. Für ältere Kinder sah der Gesetzgeber keine Veranlassung, zusätzlich zu anderen Familienleistungen und Beihilfen (wie etwa die Familienbeihilfe mit Alters- und Geschwisterstaffelung, Absetzbeträge usw) auch noch Leistungen nach dem KBGG vorzusehen.

Unter Berücksichtigung der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs und des grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Gewährung von Familienleistungen bestehen daher nach Ansicht des erkennenden Senats gegen die hier maßgebende Regelung des § 5 Abs 5 erster Satz KBGG idF BGBl I 2007/76 keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es besteht somit kein Anlass für eine von der Revisionswerberin angeregte neuerliche Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof (vgl in diesem Sinne auch jüngst 10 ObS 117/11w und 10 ObS 107/11z).

Stichworte