OGH 7Ob200/11d

OGH7Ob200/11d30.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** D*****, vertreten durch Mag. Eduard Salzborn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 42.000 EUR (sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. März 2011, GZ 5 R 257/10s-68, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 5. Juli 2010, GZ 26 Cg 18/08g-60, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Am 22. 8. 2007 wurden dem Kläger und seiner Ehefrau bei einem Einbruchsdiebstahl aus ihrer Wohnung von unbekannten Tätern elektronische Geräte, Schmuck, Uhren, Bekleidungsgegenstände und Musikinstrumente gestohlen. Der Kläger hatte zum Tatzeitpunkt bei der Beklagten eine Musikinstrumentenversicherung und eine Haushaltsversicherung abgeschlossen. Nach Art 12 der den Versicherungsverträgen zu Grunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) ist der Versicherer nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung eine unwahre Angabe gemacht oder einen für die Ermittlung erheblichen Umstand verschwiegen hat.

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Hinblick auf den Einbruchsdiebstahl eine Versicherungsleistung von 42.000 EUR.

Die Beklagte wendete - soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich - ein, leistungsfrei zu sein, weil der Kläger Obliegenheitsverletzungen zu verantworten habe. Er habe auch nicht versicherte, seiner Tochter gehörende Sachen als gestohlen gemeldet. Hinsichtlich gestohlener Schmuckstücke habe er eine fragwürdige Bestätigung des Juweliers vorgelegt. Auch über ein gestohlenes Mischpult habe er unrichtige Angaben gemacht.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte mit Teilurteil schuldig, dem Kläger 19.581,90 EUR (samt Zinsen) zu bezahlen. Es listete im Einzelnen auf, welche Gegenstände dem Kläger und dessen Frau, die sich damals im Urlaub befanden, beim Einbruchsdiebstahl am 22. 8. 2007 gestohlen wurden und hinsichtlich welcher Gegenstände ein Diebstahl nicht festgestellt werden konnte. Die in der erwähnten Bestätigung des Juweliers genannten Gegenstände, eine Goldkette (Neupreis 4.500 EUR) und ein Goldring (Neupreis 1.500 EUR), finden sich unter den gestohlenen Gegenständen. Hingegen wird das Mischpult in den Auflistungen nicht erwähnt. Wie das Erstgericht weiter feststellte, stahlen die Diebe auch einige im Einzelnen angeführte Sachen der Tochter des Klägers, die sich nach deren etwa ein Monat zuvor erfolgtem Auszug noch in der Wohnung des Klägers befanden. Der Einbruchsdiebstahl wurde von der von Nachbarn verständigten Tochter angezeigt, die der Polizei eine Schadensaufstellung übergab. Die Tochter teilte den Einbruchsdiebstahl auch der Beklagten mit. Sie übergab der Beklagten über deren Ersuchen alle Originalrechnungen, die sie finden konnte und alle verfügbaren Fotos der gestohlenen Gegenstände. Sowohl der Kläger als auch seine Tochter bemühten sich redlich um vollständige Aufklärung und um Unterstützung der Beklagten bei der Schadensabwicklung. Sie haben nichts verheimlicht und der Beklagten alle Informationen gegeben, die sie hatten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger gegenüber der Beklagten angegeben habe, das Mischpult sei zwei Jahre alt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, der Kläger habe die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf die angeführten gestohlenen Gegenstände ausreichend nachweisen können. Soweit diese in seinem Eigentum und in jenem seiner Ehegattin gestanden seien, seien sie von der Haushaltsversicherung umfasst. Nicht umfasst seien hingegen die Sachen der Tochter, weil diese im Zeitpunkt des Einbruchs nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit dem Kläger gelebt habe. Keine Entscheidung werde mangels Spruchreife hinsichtlich der Orgel, der Ziehharmonika und „Studio Master Roland“ getroffen.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte das Teilurteil der ersten Instanz. Es erachtete die von der Beklagten erhobene Mängel- und Tatsachenrüge für nicht berechtigt. Die Bestätigung des Juweliers betreffend das Goldarmband und den Goldring habe der Wahrheit entsprochen. Eine unrichtige Angabe des Klägers über das Alter des Mischpults sei nicht erwiesen. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, der Kläger habe gegenüber der Beklagten insofern unrichtige Angaben gemacht, als er nicht zwischen den ihm und seiner Frau gehörenden und den seiner Tochter gehörenden Sachen unterschieden habe. Insofern habe der Kläger eine Obliegenheitsverletzung im Sinn des Art 12 der ABS begangen. Dieser Verstoß beruhe jedoch auf keinem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhalten. Dem Kläger und seiner Tochter sei nämlich das Erfordernis der Unterscheidung offenbar nicht bewusst gewesen. Als ihnen erklärt worden sei, dass eine Unterscheidung hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse zu treffen sei, hätten sie ohne Zögern klargelegt, was einerseits dem Kläger und seiner Frau und andererseits der Tochter gehört habe. Eine Absicht des Klägers, die Beweislage zu Lasten der Beklagten zu verschlechtern, um eine ihm nicht zustehende Leistung zu erhalten (Dolus coloratus), sei jedenfalls nicht nachgewiesen. Daran ändere auch der von der Beklagten aufgezeigte Umstand nichts, dass die Klage nach Aufklärung der Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der Sachen der Tochter nicht eingeschränkt worden sei.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte aber auf Antrag der Beklagten diesen Ausspruch dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Zur Frage der Zurechnung des Verhaltens der Tochter und des prozessualen Verhaltens des Rechtsvertreters des Klägers im Hinblick auf dessen „im Raum stehendes doloses Verhalten“ sei die Revision wegen einer möglichen unrichtigen rechtlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) unzulässig.

Die Revisionswerberin wendet sich im Wesentlichen gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die dem Kläger anzulastende Verletzung der Obliegenheit des Art 12 AVB habe weder ein vorsätzliches noch ein grob fahrlässiges Verhalten dargestellt. Das Berufungsgericht hätte annehmen müssen, dass der Kläger auch noch zwei weitere Obliegenheitsverletzungen begangen habe und jeweils mit dem Vorsatz, die Leistungspflicht der Beklagten zu beeinflussen, vorgegangen sei.

Soweit die Beklagte Obliegenheitsverletzungen des Klägers auch im Zusammenhang mit der Ausstellung der Bestätigung durch den Juwelier und den Angaben des Klägers über das Mischpult behauptet, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und versucht - unzulässigerweise, weil der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist - die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen. Da die Revision insoweit nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt wurde, ist auf diese Ausführungen nicht weiter einzugehen. Die in diesem Zusammenhang erhobene Mängelrüge dahin, das Berufungsgericht habe die Tatsachenrügen betreffend Mischpult und Bestätigung des Juweliers nicht behandelt, ist - wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO) - nicht berechtigt.

Betreffend den dem Kläger vom Berufungsgericht als Obliegenheitsverletzung angelasteten Umstand, dass zunächst seine Tochter und dann auch er selbst der Tochter gehörende Gegenstände der Beklagten als gestohlen gemeldet habe, hält die Beklagte in der Revision daran fest, dass der Kläger und die ihm zuzurechnenden Personen (Tochter und Klagevertreter) mit der Vorsatzform des Dolus coloratus vorgegangen seien. Der Versuch, durch die betreffenden Angaben eine höhere als die dem Kläger zustehende Versicherungsleistung zu erhalten, habe jedenfalls - ohne dem Kläger die Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises einzuräumen - die Leistungsfreiheit zur Folge.

Das Berufungsgericht ist - ständiger oberstgerichtlicher Judikatur folgend - zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger der Beweis oblag, die Obliegenheitsverletzung durch eine unrichtige Angabe im Sinn des Art 12 der AVB weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen zu haben (RIS-Justiz RS0081313). Da eine solche Beurteilung von den Umständen des einzelnen Falls abhängt, stellt diese Frage keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs erforderte. Davon kann hier keine Rede sein:

Das Berufungsgericht hat dargelegt, dass der Kläger und seine Tochter auch dieser gehörende Gegenstände der Beklagten deshalb als gestohlen gemeldet haben, weil sie irrtümlich - in Unkenntnis der betreffenden Bestimmung der ABS - annahmen, dass auch die nach dem Auszug der Tochter in der Wohnung des Klägers verbliebenen Sachen weiterhin versichert seien. Da sie nach Aufklärung dieses Irrtums die Eigentumsverhältnisse sofort klargestellt hätten, könne weder dem Kläger noch seiner Tochter ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Diese Beurteilung begegnet keinen Bedenken. Ein derartiger Irrtum kann bei lebensnaher Betrachtung auch einem sorgsamen Versicherungsnehmer unterlaufen; er ist daher als leicht fahrlässig zu qualifizieren und demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728). Gegenteiliges wird auch von der Beklagten in der Revision nicht behauptet. Diese meinte vielmehr, dem Kläger sei als grobes Verschulden anzulasten, dass sein Vertreter nach Aufklärung des Irrtums das Klagebegehren nicht hinsichtlich der der Tochter gehörenden Gegenstände eingeschränkt habe. Daraus, dass das Verhalten des anwaltlichen Vertreters einer Partei grundsätzlich zuzurechnen ist, lässt sich für den Standpunkt der Beklagten entgegen deren Ansicht allerdings nichts gewinnen. Nachdem der Kläger die Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der gestohlenen Sachen klargelegt hatte, konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass das Klagebegehren hinsichtlich der im Eigentum der Tochter stehenden Gegenstände erfolglos bleiben müsse. Dass es der Klagevertreter dennoch unterlassen hat, das Klagebegehren entsprechend einzuschränken, stellt ein prozessuales Versäumnis dar, das für den Kläger allenfalls negative Kostenfolgen haben wird; keineswegs rechtfertigt dieses Versäumnis aber die Schlussfolgerung, seitens des Klägers sei wider besseres Wissen versucht worden, eine ungerechtfertigte, höhere Versicherungsleistung der Beklagten zu erreichen.

Der zu diesem Punkt schließlich von der Revisionswerberin noch erhobene Einwand, die Ausführung, der Kläger habe die Eigentumsverhältnisse nach Aufklärung seines Irrtums sofort offen gelegt, sei aktenwidrig, verkennt das Wesen dieses Rechtsmittelgrundes. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden Tatsachenfeststellung im Urteil vor, der nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist, wobei dieser Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss (7 Ob 93/09s uva). In der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen kann somit eine Aktenwidrigkeit nicht gelegen sein (RIS-Justiz RS0043421). Auch rechtliche Folgerungen des Berufungsgerichts können eine Aktenwidrigkeit nicht verwirklichen (7 Ob 60/09p uva). Eine Aktenwidrigkeit wird demnach von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt. Die betreffenden Revisionsausführungen stellen vielmehr den unzulässigen Versuch dar, die unanfechtbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.

Auch in diesem Zusammenhang und damit insgesamt ist eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu beantworten. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Da sich der Kläger am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat, entfällt eine Kostenentscheidung.

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