OGH 1Ob215/11s

OGH1Ob215/11s24.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth W*****, vertreten durch Dr. Peter Weidisch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. Claude G*****, vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg und seine Nebenintervenientin E***** GmbH, *****, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 45.200 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2011, GZ 2 R 14/11h‑47, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 8. Oktober 2010, GZ 5 Cg 245/07m‑42, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.190,25 EUR (darin enthalten 365,04 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin litt im Sommer 2004 an einem Hallux valgus mit Operationsindikation. Sie wandte sich zunächst an einen Facharzt für Chirurgie, der ihr zur Operation riet und empfahl, diese in der von der Nebenintervenientin betriebenen Privatklinik durchführen zu lassen. Dabei erwähnte er den Beklagten als Facharzt für Orthopädie, mit dem zusammen man die Operation machen könne. Am 24. 9. 2004 führte der Beklagte in der Privatklinik die operative Korrektur durch, die zu Komplikationen, insbesondere zur Bildung einer Arthrose sowie einer Nekrose führte.

Das Erstgericht wies die Schadenersatzklage der Klägerin ab. Dabei ging es von einer ordnungsgemäßen Aufklärung über das letztlich eingetretene Risiko des operativen Eingriffs aus.

Das Berufungsgericht teilte diese Auffassung nicht und hob das Urteil des Erstgerichts zur Klärung der Frage auf, ob die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte. Ob die neben der Nekrose aufgetretene Arthrose Folge eines Kunstfehlers oder ‑ wie erstere Komplikation ‑ schicksalhaft aufgetreten sei, ließe sich aufgrund der unvollständigen Dokumentation der Behandlung nicht klären. Diese Verletzung der Dokumentationspflicht gelte nur für den Facharzt für Chirurgie, der die Klägerin in die Privatklinik eingewiesen hatte (im Folgenden als Belegarzt bezeichnet), und nicht für den beklagten Operateur. Für diesen gelte daher auch keine Beweislastumkehr, soweit sie einen Behandlungsfehler betreffe. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage der beweisrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung der Dokumentationspflicht durch einen nicht belangten Arzt auf das Verhältnis der Patientin zu dem von ihr in Anspruch genommenen zweiten Arzt keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe. Auch der Frage der Zurechenbarkeit des Beklagten zur Nebenintervenientin oder eines eigenwirtschaftlichen Handelns im Rahmen eines selbständigen Behandlungsvertrags mit der Klägerin komme über den konkreten Fall hinaus Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Die erste, dem Zulassungsausspruch zugrundegelegte Frage wird im Rekurs nicht releviert. Mit der zweiten Frage befasst sich der Beklagte in seinem Rechtsmittel zwar insoweit, als er das konkludente Zusammenkommen eines Behandlungsvertrags aufgrund seiner Stellung als bei der Nebenintervenientin angestellter Primararzt verneint und daraus ableitet, ihn treffe überhaupt keine Aufklärungspflicht. Weder in diesem noch in einem sonstigen Punkt zeigt er aber eine erhebliche Rechtsfrage auf.

Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht seine Haftung nicht nur dann, wenn er eine aus dem mit ihm geschlossenen Behandlungsvertrag abgeleitete vertragliche Aufklärungspflicht verletzt hat. Es war der Beklagte, der mit Assistenz des Belegarztes die Operation durchführte. Diese brachte nicht den gewünschten Erfolg, aufgetretene Komplikationen erforderten weitere operative Eingriffe. Erst der letzte Eingriff im September 2008 brachte für die Klägerin eine Verbesserung ihrer (subjektiven) Beschwerden im Sinn der Kosmetik und der Funktion. In einem solchen Fall der Verschlechterung des Zustands des Patienten durch die Operation geht die in Lehre und Judikatur herrschende Meinung davon aus, dass der Eingriff eine Körperverletzung iSd § 1325 ABGB darstellt und der Arzt bei fehlender Einwilligung des Patienten auch für die Folgen eines kunstgerechten Eingriffs haftet (RIS‑Justiz RS0026511; Juen, Arzthaftungsrecht2 81 mwN in FN 359; Karner in KBB3 § 1299 Rz 6 mwN). Die Frage, ob jede, also auch eine erfolgreich verlaufene Operation als Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten per se rechtswidrig ist, sofern sie nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt wird (vgl dazu insbesondere Juen aaO 81 f; vgl auch Harrer in Schwimann, ABGB3 § 1300 Rz 63 FN 272 ff), steht hier somit nicht zur Diskussion. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte hafte unabhängig vom Bestehen eines Behandlungsvertrags mit der klagenden Patientin bei deren fehlender Einwilligung deliktisch, entspricht also der herrschenden Meinung.

Eine wirksame Einwilligung der klagenden Patientin hätte ihre ausreichende Aufklärung über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen vorausgesetzt (RIS‑Justiz RS0026499; vgl Juen aaO 85 f mwN; Karner aaO mwN). Entgegen seiner Auffassung durfte sich der Beklagte nicht auf eine vorangegangene Aufklärung durch den Belegarzt verlassen, musste er sich doch im Sinn der höchstgerichtlichen Judikatur (3 Ob 545/82 = SZ 55/114 = JBl 1983, 373 [Holzer]; vgl 3 Ob 562/84 = SZ 57/207) darüber vergewissern, ob und inwieweit die Klägerin vor der Operation schon aufgeklärt worden war. Tatsächlich erfolgte die einzige und erste Aufklärung der Klägerin durch den Beklagten persönlich, und zwar zwei Stunden vor der Operation, ohne dass sich der Beklagte dabei nach dem Vorwissen der Klägerin zu Art und Umfang der Operation und deren Risiken erkundigt hatte.

Die ärztliche Aufklärung soll den Einwilligenden instandsetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen (RIS‑Justiz RS0026413). Der Arzt muss den Patienten, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (RIS‑Justiz RS0026426 [T1]). Die ärztliche Aufklärung hat grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass dem Patienten eine angemessene Überlegungsfrist bleibt, deren Dauer von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RIS‑Justiz RS0118651 [T1]).

Erstmals zwei Stunden vor dem Eingriff wurden der zu diesem Zeitpunkt bereits auf diesen „intern vorbereiteten“, wenn auch noch nicht sedierten Klägerin die konkrete Operationsmethode im Vergleich zu alternativen Behandlungsmethoden sowie bestimmte Risiken des weder als extrem dringlich noch als „minimal invasiv“ zu wertenden Eingriffs dargelegt. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, diese Aufklärung sei zu spät erfolgt, ist keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung (vgl zur „Aufklärung vor der Tür des Operationssaals“ Harrer aaO Rz 58 mwN; Juen aaO 128 mwN der d und ö Rsp und deren Betonung der Einzelfallbezogenheit der Beurteilung).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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