OGH 12Os121/11b

OGH12Os121/11b18.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bilinska als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mehmedalija M***** wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 14. April 2011, GZ 25 Hv 182/10x-14, sowie über dessen Beschwerde gegen den Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten Mehmedalija M*****, des gesetzlichen Vertreters Mehdin M***** und der Verteidigerin Mag. Straka zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch, demzufolge auch der Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Mehmedalija M***** wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit der Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit der Beschwerde auf die Aufhebung des Beschlusses verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mehmedalija M***** des Verbrechens (richtig:) der Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „in L***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten oder eines Dritten unrechtmäßig zu bereichern, den Kevin Me***** durch Gewalt und durch gefährliche Drohung zu Handlungen, die diesen am Vermögen schädigten bzw schädigen sollten, teils genötigt, teils zu nötigen versucht, und zwar:

1./ am 18. November 2010 dadurch, dass er gegenüber Kevin Me***** sinngemäß äußerte, dass er mit seinen Freunden zu ihm nach Hause kommen und ihm sämtliche Knochen brechen werde, er könne sich sogar aussuchen welche, sowie durch die sinngemäße Äußerung, dass er jeden Monat 50 Euro bezahlen müsse, am 19. November 2010 zur Übergabe eines Bargeldbetrages von 20 Euro, wobei er den vorangegangenen Äußerungen am 19. November 2010 durch Versetzen einer Ohrfeige und zweier Faustschläge Nachdruck verlieh;

2./ am 19. November 2010 im Anschluss an die zu Faktum 1./ geschilderte Tathandlung durch die durch Ziehen an der Schultasche und Versetzen eines Faustschlages auf den Hinterkopf unterstrichene sinngemäße Aufforderung an den bereits zu Faktum 1./ eingeschüchterten Kevin Me*****, ihm nunmehr beginnend mit Montag, 22. November 2010 wöchentlich 50 Euro zu übergeben, ansonsten werde er ihm etwas brechen, zur Übergabe weiterer Geldbeträge, wobei die Tat infolge Verständigung der Polizei beim Versuch geblieben ist“.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der nur zum Teil Berechtigung zukommt:

Unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 1 bringt der Beschwerdeführer vor, die Vorsitzende wäre ausgeschlossen gewesen, weil sie „außerhalb der Hauptverhandlung eine Ermittlungstätigkeit gesetzt“ habe. Dies ergäbe sich aus dem dem Zeugen Ammar K***** in der Hauptverhandlung gemachten Vorhalt, er habe am Telefon ihr gegenüber gesagt, nichts gesehen zu haben (ON 13 S 3).

Dieser Einwand scheitert schon am Unterbleiben der nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO erforderlichen sofortigen Geltendmachung dieses Umstands, sobald er dem Rechtsmittelwerber zur Kenntnis gelangt war, hier also unmittelbar nach der nunmehr ins Treffen geführten Äußerung der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung. Dass der Verteidiger diesen Vorhalt „überhört“ und in der Folge erst dem Protokoll über die Hauptverhandlung entnommen habe, vermag - dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider - daran nichts zu ändern. Denn bei Beurteilung der Frage, ob der Nichtigkeit begründende Umstand in die Kenntnis des Nichtigkeitswerbers gelangt war, ist nur auf objektive Kriterien, nämlich die Zugänglichkeit des relevanten Tatsachensubstrats abzustellen, nicht aber auf das darauf basierende, individuell unterschiedliche, letztlich unüberprüfbare Erfassen der sich daraus ergebenden Konsequenzen (RIS-Justiz RS0106091; vgl Ratz WK-StPO § 281 Rz 136 mwN).

Im Übrigen ist eine telefonische Auskunft darüber, ob eine als Zeuge in Betracht kommende Person über sachdienliches Wissen verfügt, unter dem Aspekt der Ausgeschlossenheit des solcherart informierten Richters ohnehin unbedenklich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 128).

Der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) zuwider besteht angesichts der geforderten Übergabe von „wöchentlich 50 Euro“ (US 2, 3 und 6) kein unlösbarer Widerspruch zwischen der Feststellung, der Angeklagte habe Kevin Me***** mit Bereicherungsvorsatz zur Übergabe von Bargeld genötigt (US 3), und der beweiswürdigenden Erwägung der Tatrichter, wonach in Ansehung des Bestehens von Schulden des Tatopfers gegenüber dem Beschwerdeführer im Ausmaß von 20 Euro ein Missverständnis vorgelegen haben mag (US 5).

Richtig ist, dass dem Erstgericht bei der Ausfertigung des Urteils bei der Feststellung „M***** übergab dem Me***** 40 Euro“ (US 3) ein Fehler unterlaufen ist; es hat nämlich die Namen von Täter und Opfer vertauscht. Im Hinblick auf das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und den Gesamtkontext ist dieses Versehen aber offenkundig. Ein die Entscheidung beeinflussender Begründungsmangel im Sinn des dritten Falls der Z 5 liegt nicht vor (RIS-Justiz RS0117402).

Entgegen der bloß auf einen Teil der Aussage des Zeugen K***** abstellenden weiteren Mängelrüge kann von einer unrichtigen oder unvollständigen Wiedergabe des in der Urteilsbegründung zusammengefassten wesentlichen Inhalts der Aussage dieses Zeugen - und nur eine solche würde Aktenwidrigkeit im Sinn des letzten Falles der Z 5 begründen - keine Rede sein.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) dient dazu, geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- und subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) zu verhindern (RIS-Justiz RS0118780).

Indem sich der Beschwerdeführer auch unter diesem Aspekt auf die Aussage des Zeugen Ammar K***** beruft, die übrigen Erwägungen des erkennenden Gerichts, insbesondere die für glaubwürdig befundene Aussage des Tatopfers jedoch übergeht, gelingt es ihm nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermeint, betreffend den auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz des Angeklagten fehle es an einer ausreichenden Feststellung, weil nach den Urteilsannahmen „die eintretende unrechtmäßige Bereicherung des Angeklagten lediglich ein Reflex auf die angenommene Vermögensschädigung“ sei, nimmt sie letztlich nicht - wie bei Geltendmachung materieller Nichtigkeit jedoch stets geboten (RIS-Justiz RS0117247) - am tatsächlichen Urteilssachverhalt Maß, dem die vermisste Konstatierung bei verständiger Lesart deutlich genug zu entnehmen ist (US 3).

Auch die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt eine Ausrichtung an den Anfechtungskriterien (RIS-Justiz RS0099810), weil sie entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Erkenntnisses (… das Verbrechen …) behauptet, der Angeklagte wäre zweier Einzeltaten und nicht bloß eines Verbrechens schuldig erkannt worden.

Zur Klarstellung wird angemerkt, dass die Bildung einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB, welche die rechtliche Selbstständigkeit einzelner Taten im materiellen Sinn unberührt ließe, nur bei wert- bzw schadensqualifizierten strafbaren Handlungen zu erfolgen hat. Damit scheidet eine solche Vorgangsweise beim Tatbestand der Erpressung aus, weil dieser keine Wertqualifikation vorsieht. Wäre das Erstgericht demnach von zwei selbstständigen Taten des Angeklagten ausgegangen, so hätte es ihn zweier Verbrechen der Erpressung schuldig erkannt. Der lediglich auf ein solches Verbrechen lautende Schuldspruch macht hingegen deutlich, dass das erkennende Gericht die vom Beschwerdeführer eingeforderte tatbestandliche Handlungseinheit ohnedies annahm. Sind die nach Maßgabe des Tatbestands zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefassten gleichartigen Handlungen „teils vollendet, teils versucht“, ist dies richtigerweise im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht zum Ausdruck zu bringen, weil dieser nur die verletzte materielle Norm zum Inhalt hat (vgl 11 Os 51/11a iVm 13 Os 1/07g [verst Senat], SSt 2007/27; 12 Os 119/06a [verst Senat], SSt 2007/35).

In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Im Recht ist allerdings die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall), soweit sie kritisiert, dass das Erstgericht bei der Strafbemessung eine „durch die Belehrung gemäß dem § 6 JGG getrübt(e)“ Unbescholtenheit in Anschlag brachte (US 6).

Die Tatrichter haben nämlich damit nichts anderes zum Ausdruck gebracht, als dass der Angeklagte schon einmal mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten sei. Damit haben sie ihm aber ein gerichtlich strafbares Verhalten ohne gesetzlichen Schuldnachweis (Art 6 Abs 2 MRK) nachteilig zugerechnet und solcherart beim Ausspruch über die Strafe eine für die Strafbemessung maßgebende entscheidende Tatsache offenbar unrichtig beurteilt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 713; 14 Os 99/10f).

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher im Strafausspruch und demgemäß auch der Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe aufzuheben.

Bei der somit erforderlichen Strafneubemessung war der Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung erschwerend zu gewichten. Mildernd war demgegenüber der bisherige ordentliche Lebenswandel und die Gutmachung des Schadens durch den Vater des Angeklagten. Dem Unrechtsgehalt dieser Tat und der Schuld des jugendlichen Angeklagten entspricht daher eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit der Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) auf die Kassation des Beschlusses zu verweisen.

Die Entscheidung über eine allfällige neuerliche Anordnung der Bewährungshilfe (unter Beachtung der insoweit widersprüchlichen ON 6 und ON 9) obliegt dem Landesgericht Wels.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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