OGH 14Os99/10f

OGH14Os99/10f24.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Otto L***** wegen Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3a iVm Abs 3 erster und zweiter Satz StGB, AZ 031 Hv 148/09y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Otto L***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. Jänner 2010, GZ 031 Hv 148/09y-13, mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3a iVm Abs 3 erster und zweiter Satz StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien zwischen 1. Juni 2009 und 2. Dezember 2009 zumindest einmal monatlich auf im Urteil näher beschriebene pornographische Darstellungen von unmündigen und mündigen minderjährigen Personen im Internet wissentlich zugegriffen, indem er sich in öffentliche Internetcafes begab und dort derartige Internetseiten betrachtete.

Seiner dagegen erhobenen Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 21. Juni 2010 nicht Folge und erhöhte in teilweiser Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltsschaft die in erster Instanz verhängte Freiheitsstrafe unter Beibehaltung der bedingten Strafnachsicht von drei Monaten auf fünf Monate (AZ 19 Bs 118/10g; ON 21).

Zur Diversionsrüge (§§ 281 Abs 1 Z 10a iVm 489 Abs 1 StPO) des Erneuerungswerbers führte das Oberlandesgericht in seiner Berufungsentscheidung aus: „Mag auch der Angeklagte Verantwortung für sein deliktisches Verhalten zu übernehmen bereit sein und sich als Folge seiner Betretung nunmehr einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen …, hindern unübersteigliche spezial- und generalpräventive Gründe eine Diversion: Denn der Rechtsmittelwerber wurde bereits einmal wegen seiner von ihm selbst als bedenklich eingestuften, nach allgemein gesellschaftlichem Verständnis negativen Neigungen das Ziel polizeilicher Ermittlungen, die wegen der damaligen Gesetzeslage zu keiner strafrechtlichen Sanktion führten. Dessen ungeachtet setzte er offensichtlich unbeeindruckt und trotz seiner aktuellen Tätigkeit als Volkschullehrer (was der von ihm betriebenen 'Versachlichung' von Kindern als Sexualobjekt diametral entgegenstehen sollte) sein Verhalten fort. Schon dies zeigt ... die Notwendigkeit einer Sanktionierung auf selbst in einer liberalen Gesellschaft eindeutig nicht toleriertes Agieren. Dazu kommt die europarechtlich übernommene Verpflichtung der nachhaltigen Bekämpfung jedweder Form der Kinderpornographie …, der mit einem diversionellen Vorgehen bei den vorliegenden Umständen nicht entsprochen würde. Eine Prüfung der Voraussetzungen nach § 198 Abs 2 StPO erübrigt sich deshalb.“ (ON 21 S 5 f).

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt Otto L***** die Erneuerung des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Wien, weil dieses dem Angeklagten das „Vorliegen der Voraussetzungen der diversionellen Erledigung“ verweigert habe, indem es auf das Verfahren AZ 202 St 101/08s der Staatsanwaltschaft Wien rekurriert und dabei zu verstehen gegeben habe, dass der Angeklagte die ihm damals vorgeworfenen Handlungen sicher begangen habe, jedoch nur wegen der damaligen Straflosigkeit derselben nicht verurteilt worden sei. Da von einem Schuldbeweis allerdings nur nach rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilung auszugehen sei, habe das Oberlandesgericht Wien gegen die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) verstoßen.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag ist zulässig (RIS-Justiz RS0122228), aber nicht berechtigt.

Das Gebot der Unschuldsvermutung schützt Personen, die im Zusammenhang mit strafrechtlichen Anklagen stehen, in verschiedener Hinsicht vor Vorverurteilungen bzw der Zuweisung von Schuld, solange nicht eine entsprechende gerichtliche Feststellung erfolgt ist. Art 6 Abs 2 MRK verbietet in diesem Sinn unter anderem auch Äußerungen von Gerichten im Vorfeld und während eines Strafverfahrens, wonach eine bestimmte Person eine strafbare Handlung begangen habe, noch bevor ihre Schuld festgestellt wurde (Grabenwarter, EMRK³ § 24 Rz 120 und 125; EGMR vom 12. Juli 1998, Nr 10862/84, Schenk gg Schweiz).

Nach § 198 Abs 1 StPO ist eine diversionelle Verfahrensbeendigung nur möglich, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Abzustellen ist dabei auf die tat- und beschuldigtenorientierte Notwendigkeit eines verurteilenden und (bei erwachsenen Beschuldigten) mit einer Sanktion einhergehenden Erkenntnisses, die durch die diversionelle Erledigung nicht kompensierbar ist. Derartige präventive Diversionshindernisse sind anhand einer umfassenden Fallbewertung unter Einbeziehung der Wirkung einer vom Beschuldigten erst zu erfüllenden Verpflichtung zu prüfen (Schroll, WK-StPO § 198 Rz 33), wobei auch hier die Wahrung der Unschuldsvermutung besonders beachtet werden muss (so ist etwa dem Entscheidungsträger bei der Beurteilung zurückliegender Diversionserledigungen ein Rückgriff auf Tatumstände, die der ersten diversionellen Erledigung zugrunde lagen, aus diesem Grund verwehrt; vgl dazu Schroll, WK-StPO § 198 Rz 39).

Indem das Oberlandesgericht Wien zwar auf das Betrachten von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt vor dem 1. Juni 2009 Bezug nahm, dabei aber ausdrücklich auf das aufgrund der damaligen Gesetzeslage erfolgte Unterbleiben einer strafrechtlichen Sanktion hinwies, brachte es deutlich zum Ausdruck, dass der Erneuerungswerber dadurch gerade keine strafbare Handlung begangen hatte. Eine Schuldfeststellung war folglich damit nicht verbunden. Die Berücksichtigung dieses gesellschaftlich nicht akzeptierten, unmissverständlich nicht als strafrechtlich relevant qualifizierten - vom Erneuerungswerber im Übrigen zugestandenen (ON 12 S 7 f; siehe zur Bedeutung eines Geständnisses im Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung: Grabenwarter, EMRK³ § 24 Rz 121; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar², Art 6 Rz 86c; EGMR vom 3. Oktober 2002, Nr 37568/97, Böhmer gg Deutschland) - Verhaltens im Rahmen der nach §§ 198 Abs 1, 199 StPO zu treffenden Prognoseentscheidung erfolgte somit unter Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Erneuerungswerbers ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher der Stellungnahme der Generalprokuratur folgend (§ 363b Abs 1 StPO) schon bei nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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