OGH 13Os76/11t

OGH13Os76/11t13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Rosemarie P***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 14. Dezember 2010, GZ 612 Hv 15/10b‑42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Finanzstrafbehörde auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rosemarie P***** (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt.

Danach hat sie im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Hollabrunn‑Korneuburg‑Tulln vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer um 38.756,11 Euro und an Einkommensteuer um 106.149,07 Euro bewirkt, indem sie Umsätze und Erlöse nicht in das Rechenwerk ihres Einzelunternehmens aufnahm und auf der Basis der daraus erstellten Bilanzen unrichtige Steuererklärungen für die Jahre 1995 bis 2003 abgab.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 9 lit c des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde geht fehl.

Vorweg sei festgehalten, dass der Einwand fehlender Rechtswirksamkeit der ‑ vom berechtigten Ankläger erhobenen ‑ Anklageschrift nicht Gegenstand der Rechtsrüge ist, weil selbst im Fall des Zutreffens dieses Einwands die „nach dem Gesetz erforderliche“ (§ 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO) Anklage sehr wohl vorliegt.

Wird die Durchführung des im 12. Hauptstück der StPO geregelten Verfahrens zur Rechtswirksamkeit der Anklageschrift unterlassen, beginnt allerdings nach der Judikatur die Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 erster Satz StPO nicht zu laufen, womit die fehlende Rechtswirksamkeit der Anklageschrift als Verletzung dieser Bestimmung einen aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrensmangel darstellt (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 242; § 281a Rz 2).

Fallbezogen liegt aber ein solcher Mangel nicht vor, weil § 209 FinStrG (bloß) den ersten Absatz des § 213 StPO ergänzt, indem er anordnet, dass die Anklageschrift auch der Finanzstrafbehörde zuzustellen ist. Eine Modifikation des zweiten Absatzes des § 213 StPO enthält § 209 FinStrG hingegen nicht, womit der Finanzstrafbehörde nicht das Recht zukommt, Einspruch gegen die Anklageschrift zu erheben (Tannert, FinStrG Anm zu § 209). Demnach tangiert das von der Rüge relevierte Unterlassen der Zustellung an die Finanzstrafbehörde die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift nicht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass der angefochtenen Entscheidung zum Nachteil der Angeklagten wirkende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Das Erstgericht hat nämlich die Annahme des ‑ gemäß § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG auch in Finanzstrafsachen zu beachtenden ‑ Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 13 StGB abgelehnt (US 5), ohne Feststellungen zur Abgrenzung zwischen Versuch (§ 13 FinStrG) und Vollendung zu treffen, und solcherart eine maßgebende Strafzumessungstatsache rechtsfehlerhaft beurteilt (12 Os 119/06a [verst Senat], EvBl 2007/130, 700; RIS‑Justiz RS0122137; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 712).

Mit Blick auf § 33 Abs 3 lit a FinStrG wird im zweiten Rechtsgang insoweit festzustellen sein, ob die Angeklagte in Bezug auf den Tatzeitraum Jahressteuererklärungen abgegeben hat, gegebenenfalls, ob auf der Basis dieser Erklärungen Abgabenbescheide erlassen worden und wann diese in Rechtskraft erwachsen sind (RIS‑Justiz RS0086391, RS0086429, RS0086436, RS0086462; zuletzt 13 Os 38/11d, 13 Os 41/11w).

Mit ihrer Berufung war die Finanzstrafbehörde auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

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