OGH 1Ob202/11d

OGH1Ob202/11d13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rupert D*****, vertreten durch Mag. Thomas Deuschl, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Univ.-Doz. DI Dr. Albert D*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 11.647,83 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. Juli 2011, GZ 1 R 33/11w-36, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. November 2010, GZ 4 Cg 40/09h-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 768,24 EUR (darin enthalten 128,04 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger suchte im Jänner 2007 den beklagten Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie in dessen Ordination auf. Er wollte durch eine Augenoperation mittels Laser seine auf beiden Augen vorhandene Weitsichtigkeit beheben lassen, um in Zukunft weder Brillen noch Kontaktlinsen zu benötigen. Der Beklagte sprach mit dem Kläger über verschiedene Operationsmethoden und untersuchte die Sehkraft. Diese Untersuchung ergab Werte von +6 Dioptrien rechts und +6,25 Dioptrien links. Beim nächsten Termin einigten sich Arzt und Patient auf eine Operation nach der „LASIK-Methode“. Der Kläger wurde über mögliche Risiken und Komplikationen des Eingriffs (wie Eintrübungen der Linse) informiert. Der Beklagte machte ihn auch darauf aufmerksam, dass es sich zwar bei einer Weitsichtigkeit von 6 Dioptrien um einen sehr hohen Wert handle, dies aber bei der gewählten Behandlungsmethode, die sogar noch bei Stärken bis zu +8 Dioptrien zielführend sei, kein Problem sei. Hingegen wurde der Kläger nicht darüber aufgeklärt, dass gemäß den Leitlinien der Kommission Refraktive Chirurgie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) eine LASIK-Operation nur bis zu einem Höchstwert von +4 Dioptrien sinnvoll wäre. Da die Österreichische Ophthalmologische Gesellschaft (ÖOG) erst im Juni 2008 eine eigene Richtlinie für derartige chirurgische Eingriffe beschloss und veröffentlichte, berief sie sich zum Zeitpunkt der Operation (19. 3. 2007) auf die Leitlinien der DOG. Die DOG legte den Grenzbereich mit +4 Dioptrien deshalb fest, weil sie aufgrund zunehmender Komplikationsraten einen Zusammenhang zwischen Komplikationen und hoher Dioptrienzahl angenommen hatte, der sich auch durch die Erfahrung des Operateurs nicht ausgleichen ließe. Diese Empfehlungen der Ophthalmologischen Gesellschaften markier(t)en in Österreich den Standard der Schulmedizin.

Die medizinisch nicht zwingend notwendige Operation an beiden Augen erfolgte „technisch gesehen“ lege artis. Es kam aber zu einer Komplikation in Form einer Faltenbildung des mittels LASIK-Methode abgehobenen Scheibchens (Flap) am rechten Auge, die durch zwei weitere laserrefraktiv-chirurgische Eingriffe behandelt wurde. Im Bereich der Hornhaut des rechten Auges entstand eine ringförmige Narbe. Je höher die zu korrigierende Dioptrie ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten derartiger Komplikationen, auf die der Kläger hingewiesen worden war. Die Operation brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Weitsichtigkeit konnte nicht soweit beseitigt werden, dass der Kläger keinerlei Sehhilfen mehr benötigt. Rechts verblieb eine Weitsichtigkeit von 3,25 Dioptrien, links eine solche von 2 Dioptrien. Der Kläger leidet außerdem aufgrund der Unregelmäßigkeiten der Hornhaut am rechten Auge unter einer stark schwankenden Sehkraft sowie an einer hohen Blendempfindlichkeit aufgrund der Vernarbung an beiden Augen. Die trotz Operation verbliebene Fehlsichtigkeit lässt sich nur noch mit Kontaktlinsen und nicht mehr mit Brille ausgleichen. Der Eingriff reduzierte die zuvor bestandene bestkorrigierte Sehstärke von 100 auf 70 bzw 90 %. Mit beiden Augen wird bei Verwendung von Kontaktlinsen eine Sehkraft von annähernd 90 % erreicht, weshalb der Kläger letztlich alles lesen kann. Längeres, intensiv konzentriertes Lesen führt jedoch zu Kopfschmerzen.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen nahmen eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht an. Der Beklagte hätte seinen Patienten darüber informieren müssen, dass nach der Richtlinie der auch für Österreich maßgeblichen DOG eine LASIK-Operation nur bis zu einem Höchstwert von +4 Dioptrien sinnvoll sei.

Das Berufungsgericht ließ (nachträglich) die Revision zu. Es fehle höchstgerichtliche Judikatur zu der Frage, ob bei der Beurteilung der ärztlichen Behandlung bzw Aufklärungspflicht die fortschreitende Entwicklung der medizinischen Wissenschaft weltweit zu berücksichtigen sei.

Die Revision des Beklagten ist entgegen diesem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

Das Berufungsgericht hat die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende (RIS-Justiz RS0026529) Frage nach dem Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht auf zumindest vertretbare Weise beantwortet. Es handelte sich um einen medizinisch nicht zwingend notwendigen Eingriff, bei dem besonders strenge Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu stellen sind (vgl RIS-Justiz RS0026772; vgl Juen, Arzthaftungsrecht², 102 mwN). Die ärztliche Aufklärung hätte dem Kläger ermöglichen müssen, die Tragweite seiner Einwilligung zu dem nach einer bestimmten Methode geplanten Eingriff zu überschauen (RIS-Justiz RS0026413). Die Information, dass dieser Eingriff nach dem für Österreich und Deutschland maßgeblichen Meinungsstand bei dem zu korrigierenden Ausmaß der Weitsichtigkeit aufgrund hoher Komplikationsraten nicht für sinnvoll erachtet wurde, stellte für den Patienten zweifelsfrei eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung dar, ob er weiterhin mit Brille oder Kontaktlinsen leben möchte oder sich auf eine Operation (mit dem Risiko der Verschlechterung der Sehkraft) einlässt. Die dem Zulassungsausspruch zugrunde gelegte und in der Revision des Klägers behandelte Frage, ob die ärztliche Aufklärung den internationalen, globalen Stand der Medizin berücksichtigen muss, und nicht nur jenen eines bestimmten Landes (bzw hier des deutschsprachigen Raumes), stellt sich nicht; eine Feststellung, dass die internationale medizinische Wissenschaft einen derartigen Eingriff bis zumindest +6,0 Dioptrien als sicher und effektiv („state of the art“) qualifiziert, konnte nämlich nicht getroffen werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Haftung des beklagten Arztes sei zu bejahen, ist demnach nicht korrekturbedürftig. Ob dasselbe Ergebnis schon damit zu rechtfertigen gewesen wäre, dass die Behandlungsmethode im Fall des Klägers an sich nicht geeignet und damit nicht lege artis war, muss nicht geprüft werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Für die Revisionsbeantwortung stehen ihm aber nur 50 % Einheitssatz zu.

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