Spruch:
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Übrigen rechtskräftig sind, werden insoweit aufgehoben, als die Klägerin ab 1. 12. 2006 einen monatlichen Unterhalt von 550 EUR sA begehrt. In diesem Umfang wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die am 25. 12. 1998 geschlossene Ehe der Streitteile, der zwei, am 23. 2. 2000 bzw am 27. 1. 2001 geborene Minderjährige entstammen, wurde mit Urteil vom 29. 6. 2005, rechtskräftig seit 15. 9. 2005, aus dem gleichteiligen Verschulden der Ehegatten geschieden.
Ehewohnung war eine Mietwohnung in Wien. Seit 30. 11. 2006 ist die Klägerin Mieterin dieser Wohnung, zuvor war es der Beklagte, der seit 16. 12. 2004 nicht mehr dort wohnt. Der monatliche Mietzins von 303,64 EUR wurde bis Juni 2006 vom Beklagten bezahlt, danach von der Klägerin.
Sie erhält seit 4. 1. 2005 vom Magistrat der Stadt Wien (MA 15) im Durchschnitt an Sozialhilfe für die Sicherung des Lebensunterhalts 764,31 EUR monatlich. Am 20. 10. 2005 erhielt sie 776 EUR zur Tilgung eines Heizkostenrückstands per 18. 8. 2005. Seit 19. 10. 2009 bezieht sie täglich 14,94 EUR als Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts vom AMS, und seit 1. 10. 2009 „Sozialhilfe als Alimente“ für die minderjährigen Kinder von 130 EUR monatlich. Seit 1. 12. 2006 bezieht sie „Sozialhilfe für Miete“ von 387,90 EUR, seit 15. 12. 2006 „Sozialhilfe für Heizung“ von 52,50 EUR und seit 1. 1. 2009 „Sozialhilfe in Form von Wohnbeihilfe“ von 137,31 EUR, dies jeweils monatlich. Der Beklagte hätte ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 1.050 EUR sowie ab 2007 ein solches von 1.150 EUR erzielen können.
Strittiger Punkt des Revisionsverfahrens ist ausschließlich, ob die monatlichen Zahlungen aus öffentlicher Hand für Miete, Heizung und Wohnbeihilfe als eigenes Einkommen der Klägerin zu werten und auf ihren Unterhaltsanspruch nach § 68a Abs 1 und 2 EheG anzurechnen sind.
Das Erstgericht bejahte dies und wies das Begehren auf Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 550 EUR sA ab 1. 12. 2006 ab. Das Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) sehe sowohl eine Ersatzpflicht des Sozialhilfeempfängers als auch eine aufgeschobene Legalzession vor, weshalb sich die bezogene Sozialhilfe nicht unterhaltsmindernd auswirke. Die Zahlungen für Miete und Heizung seien Hilfeleistungen in besonderen Lebenslagen nach dem dritten Abschnitt WSHG, nicht rückzahlbar und demnach als Einkommen der Unterhaltsberechtigten zu werten.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht und bestätigte demnach die (den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende) Abweisung des Unterhaltsbegehrens ab 1. 12. 2006. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob bzw inwieweit „Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe für Miete, Heizkosten und in Form der Wohnbeihilfe als rückzahlungspflichtige oder nicht rückzahlungspflichtige Empfänge nach dem WSHG unter Bedachtnahme auf ihre allfällige Anrechnung als Eigeneinkommen zu werten sind“.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Der Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe nur dann als sein Eigeneinkommen auf den Unterhaltsanspruch angerechnet werden kann, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz weder eine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers noch eine „aufgeschobene“ Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht (RIS-Justiz RS0118565 [T2]; RS0063121 [T2]). Dies gilt auch für Unterhaltsansprüche nach § 68a EheG (2 Ob 62/10x mwN).
Gemäß § 1 Abs 2 des hier relevanten Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) umfasst die Sozialhilfe die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs (§§ 8 ff), die Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 20 f) und die sozialen Dienste (§§ 22 ff). In seinem 6. Abschnitt (§§ 25 ff) enthält das Gesetz Regelungen über die Ersatzpflicht des Leistungsempfängers (§ 26) und die „aufgeschobene“ Legalzession (§ 27). § 25 WSHG beschränkt die Ersatzpflicht (unter anderem) des Empfängers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs. Hatte der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfs gegen einen Dritten, so gehen diese Ansprüche nach § 27 WSHG auf die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den nach § 34 zuständigen Sozialhilfeträger über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat.
Die Bestimmungen über die Ersatzpflicht des Empfängers und die „aufgeschobene“ Legalzession beziehen sich somit ausschließlich auf den Lebensbedarf, zu dem nach § 11 Abs 1 Z 1 WSHG der Lebensunterhalt gehört. Dieser erfasst nach § 12 Satz 1 WSHG insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Nach § 13 Abs 1 WSHG hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen (Satz 1). Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen (Satz 2).
Nach § 13 Abs 3 WSHG ist der Richtsatz so zu bemessen, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung, Kleinhausrat und sonstigen kleineren Bedürfnissen des täglichen Lebens, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie im angemessenen Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben deckt. Der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhalts, (unter anderem) Unterkunft und Beheizung, ist nach § 13 Abs 6 WSHG durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken.
Nach § 5 Abs 2 erster Satz der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe (Richtsatzverordnung) ist der Mietbedarf durch eine Mietbeihilfe zu decken. Diese dient der Deckung des Unterhaltsbedarfs und gehört nach § 12 WSHG zum Lebensunterhalt (VwGH 30. 5. 2001, 2000/11/0189). Zum Bedarf für die Unterkunft im Sinn des § 12 WSHG gehören neben der Miete auch Betriebskosten im weitesten Sinn, es sei denn diese wären unter anderem als „Beheizung“ bereits im Richtsatz enthalten (Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht 433).
Nach dem WSHG regelmäßig geleistete Mietbeihilfen (einschließlich oder zusätzlich von Beiträgen zu den Heizkosten) sind damit entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht der im dritten Abschnitt leg cit geregelten Hilfe in besonderen Lebenslagen zuzuordnen. Diese besteht nach § 20 Abs 2 WSHG in Hilfen zum Aufbau und zur Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage (Z 1) und wirtschaftlichen Hilfen zur Überbrückung außergewöhnlicher Notstände (Z 2). Sie kann nach §20 Abs 3 Satz 1 leg cit unabhängig von einem Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs gewährt werden. Dazu zählt insbesondere die hier erfolgte einmalige Abdeckung von Heizkostenrückständen, die bereits die Vorinstanzen unstrittig und im Sinne der Rechtsprechung (vgl 7 Ob 151/06s zu Mietzinsrückständen) als anrechenbares Eigeneinkommen der Unterhaltsberechtigten gesehen haben.
Mietbeihilfen und Beiträge zu den Heizkosten nach dem WSHG unterliegen demnach sowohl der Rückzahlungspflicht nach § 26 WSHG als auch der „aufgeschobenen“ Legalzession nach § 27 WSHG.
Das nach seinem § 44 Abs 1 am 1. 9. 2010 in Kraft getretene Gesetz zur bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien (Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG), LGBl 2010/38, bewirkte keine hier für das Ergebnis relevante Änderung. Nach § 1 Abs 2 WMG erfolgt die bedarfsorientierte Mindestsicherung durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung (unter anderem) des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs. Der Lebensunterhalt umfasst nach der Definition des § 3 Abs 2 WMG den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnissse, im Unterschied zum WHSG aber nicht den Wohnbedarf. Dieser wird in § 3 Abs 3 WMG eigens definiert und erfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Betriebskosten. Lebens- und Wohnbedarf sind nach § 8 Abs 1 Satz 1 WMG durch Leistungen in Höhe von Mindeststandards gemäß Abs 2 zu decken, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs enthalten. Ein über diesen hinausgehender Bedarf, der weder durch eigene Mittel noch durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann, ist iSd § 9 Abs 1 Satz 1 WMG durch eine monatliche Mietbeihilfe zu berücksichtigen. § 23 WMG sieht eine „aufgeschobene“ Legalzession gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche der Empfänger der Mindestsicherung gegen Dritte auf Leistungen, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, vor. § 24 Abs 2 WMG verpflichtet die Hilfe empfangende Person unter bestimmten Voraussetzungen zum Rückersatz. Auch nach dem WMG erbrachte Leistungen für Miete und Heizung sind demnach einer Rückzahlungspflicht und einer „aufgeschobenen“ Legalzession unterworfen.
Von der nach dem WHSG iVm § 5 Abs 2 Richtsatzverordnung bzw dem WMG geleisteten Mietbeihilfe sind Mietzinsbeihilfen, die nach § 107 Abs 1 und Abs 4 Einkommenssteuergesetz (EStG) 1988 außergewöhnliche Belastungen eines steuerpflichtigen Hauptmieters als Folge einer Erhöhung des Hauptmietzinses durch Zahlung eines monatlichen Betrags abgelten, sowie Wohnbeihilfen nach dem Gesetz über die Förderung des Wohnungsneubaus und der Wohnhaussanierung (Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz-WWFSG 1989, LGBl 18/1989, zu unterscheiden (vgl VwGH 10. 9. 2008, 2006/05/0120).
Die Unterscheidung zwischen Wohn- und Mietzinsbeihilfen im Vergleich zu Sozialhilfeleistungen nach dem WSHG wurde auch in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs bereits erörtert. Die Entscheidung 1 Ob 200/05a = FamZ 2006/19, 30 (Neumayr) behandelte Wohn- und Mietzinsbeihilfen im Sinn der zuvor ergangenen, zu RIS-Justiz RS0080404 dokumentierten Judikatur als in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehende Einkommensbestandteile und kam zum Ergebnis, konsequenterweise müsse sich auch ein Unterhaltsberechtigter die zitierten Beihilfen als den Unterhaltsanspruch minderndes Eigeneinkommen anrechnen lassen. Die nach dem WSHG bezogene Sozialhilfe sei aber infolge Bestehens von Legalzessionsnormen nach der ständigen Judikatur (RIS-Justiz RS0118565) nicht zu berücksichtigen.
Auf die vorrangige Bedeutung des Bestehens von Legalzessionsnormen, die eine Wertung von Sozialhilfeleistungen als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten ausschließen, weisen auch die bereits zitierten Entscheidungen 7 Ob 151/06s und 2 Ob 62/10x hin. Sowohl die Bestimmungen über eine den Sozialhilfeempfänger treffende Rückzahlungsverpflichtung als auch jene über die „aufgeschobene“ Legalzession sollen eine Doppelversorgung des Unterhaltsberechtigten vermeiden und andererseits dem Grundsatz Rechnung tragen, dass der Unterhaltspflichtige nicht durch die Gewährung von Sozialhilfe zu Lasten des Sozialhilfeträgers von seiner Verpflichtung entlastet werden soll (8 Ob 126/03t; 4 Ob 153/06p ua).
Nach diesem für die Berücksichtigung von Sozialhilfeleistungen als Eigeneinkommen vorrangigen Beurteilungskriterium sind nach den WHSG gewährte Mietbeihilfen (einschließlich oder zusätzlich von Beiträgen für die Heizkosten) oder (allenfalls) nach dem WMG erbrachte Leistungen für Miete und Heizung ohne Einfluss auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin.
Der Umfang dieser nicht als Eigeneinkommen der Klägerin zu wertenden Leistungen lässt sich aber nach den getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Dies betrifft vor allem die als „Sozialhilfe in Form von Wohnbeihilfe“ bezeichnete Leistung von 137,31 EUR. Wie bereits gezeigt, ist eine nach dem WHSG (oder WMG) geleistete Mietbeihilfe einer nach dem WWFSG 1989 gewährten Wohnbeihilfe nicht gleichzuhalten. Nur die zuerst genannte Sozialleistung wäre nicht als anrechenbares Eigeneinkommen der Klägerin zu werten. Es bedarf daher einer eindeutigen Klarstellung, aus welchem Rechtsgrund die monatlichen Sozialleistungen als Beitrag zum Wohnaufwand (Miete und Heizung) erbracht wurden. Diese wird das Erstgericht nach Erörterung mit den Parteien (allenfalls anhand der detaillierten Auflistung des Sozialhilfebezugs der MA 40: ON 99) vorzunehmen haben. Danach wird es zu beurteilen haben, ob und in welchem Umfang aufgrund eines anfällig anzurechnenden Eigeneinkommens der Unterhaltsanspruch der Klägerin, dessen grundsätzliche Bemessung nach der vom Erstgericht angewendeten „Prozentmethode“ nicht mehr strittig ist, zu Recht besteht.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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