OGH 13Os94/11i

OGH13Os94/11i4.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kopinits als Schriftführer in der Strafsache gegen Roland R***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 25. März 2011, GZ 12 Hv 191/02f-281, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland R***** (im wieder aufgenommenen Verfahren erneut) jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1) und Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen Anfang September 2001 und Juli 2002 in St. P*****

(1) wiederholt dadurch, dass er die am 20. Jänner 1991 geborene Vanessa A***** veranlasste, auf sein erregtes Glied Gel oder Creme aufzutragen und es bis zum Samenerguss zu reiben, und sie, nachdem sie sich über seine Aufforderung entkleidet hatte, an Brüsten und Scheide betastete, außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen;

(2) durch die zu Punkt 1 beschriebenen Handlungen mit der minderjährigen Vanessa A*****, die als Tochter seiner Lebensgefährtin seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 1, 4, 5 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

Der Besetzungsrüge (Z 1) zuwider resultiert aus der früheren Mitwirkung der Vorsitzenden des Schöffensenats an die Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnenden Entscheidungen (ON 152 und ON 164) eines Dreirichtersenats des Landesgerichts (vgl § 31 Abs 6 Z 2 StPO) keine Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 4 StPO. Die dort enthaltene Wortfolge, „über einen Antrag auf Wiederaufnahme oder einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a) und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren“, ist nämlich als Einheit zu lesen und regelt Ausgeschlossenheit von einer dieser Handlungen nur für den Fall einer im früheren Verfahren entfalteten Tätigkeit, was bei der Mitwirkung an einer Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme (§ 357 Abs 2 StPO) gerade nicht der Fall ist (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 33; vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 62; vgl zur früheren Rechtslage: RIS-Justiz RS0097428). Gegen eine - auch aus grundrechtlicher Sicht keineswegs erforderliche (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 47; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 6 Rz 80 f), unter bestimmten Aspekten sogar problematische (vgl Lässig, WK-StPO Vor §§ 43-47 Rz 3) - extensive Auslegung spricht zudem, dass der Gesetzgeber mit BudgetbegleitG 2009 (BGBl I 2009/52) zwar ausdrücklich Ausgeschlossenheit vom Hauptverfahren für den Fall der Mitwirkung an einer Entscheidung über die Fortführung (§ 43 Abs 2 StPO; vgl dazu auch die Materialien, die den Willen zu ansonsten eher restriktiver Regelung zum Ausdruck bringen: ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 37), nicht aber für den hier aktuellen Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens normiert hat.

Gründe für eine Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO (vgl Lewisch, WK-StPO § 358 Rz 54), insbesondere dahingehend, dass die Vorsitzende aufgrund von Voreingenommenheit nicht bereit gewesen wäre, eine sich über den Fall gebildete Meinung ungeachtet der Verfahrensergebnisse zu ändern (vgl RIS-Justiz RS0096733), bringt die Rüge nicht vor. Bloß ergänzend sei angemerkt, dass keiner der Anträge, über welche die Vorsitzende entschieden hat, Grundlage für die später doch - in Stattgebung eines weiteren, auf Beibringung anderer Beweismittel gestützten Antrags - bewilligte Wiederaufnahme war, die zum nunmehr gegenständlichen Verfahren führte.

Zu Unrecht kritisiert die Verfahrensrüge (Z 4) die unterbliebene Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens im Zusammenhang mit den Angaben des Tatopfers Vanessa A***** (vgl AS 137 ff/IV). Ein solches ist nämlich nur dann notwendig, wenn das Gericht die ihm allein zukommende Aufgabe, die Glaubwürdigkeit einer Beweisperson aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks zu überprüfen, nicht ohne fremde Expertise erfüllen kann. Dies ist etwa bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht, bei in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Entwicklungsstörungen oder bei Hinweisen auf eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von unmündigen oder psychisch kranken Personen der Fall (RIS-Justiz RS0097733). Derartige außergewöhnliche Umstände vermochte der Antrag mit dem Hinweis auf (zusammengefasst) mehrfachen Wechsel des Aussageverhaltens und fehlende „Wesensveränderungen“ des Tatopfers „während der behaupteten Vorfälle“ nicht aufzuzeigen. Sie waren im Übrigen auch durch die eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten (ON 74 und ON 280), welche der Zeugin übereinstimmend Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit attestierten (vgl etwa AS 447/I und AS 115 ff/IV), gerade nicht indiziert.

Auch die weitere Verfahrensrüge (Z 4) verfehlt ihr Ziel: Beweisaufnahmen zur Beweiskraft von schulderheblichen Beweismitteln, wie hier insbesondere zur Glaubwürdigkeit der (einzigen) Tatzeugin, sind zwar grundsätzlich zulässig (vgl RIS-Justiz RS0098429, RS0028345; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340 und 350). Vorliegend konnte die beantragte zeugenschaftliche Vernehmung von Dr. Adrian H*****, Horst R***** und Monika R*****, insbesondere zum Beweis dafür, dass Vanessa A***** ihre Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer dem Erstgenannten gegenüber zurückgenommen habe (vgl AS 136 f/IV), jedoch sanktionslos unterbleiben, weil das Erstgericht die (zwischenzeitige) Zurücknahme sämtlicher Anschuldigungen durch das Tatopfer ohnehin als erwiesen angenommen (vgl RIS-Justiz RS0099135) und vor diesem Hintergrund dessen Glaubwürdigkeit einer besonders sorgfältigen Prüfung unterzogen hat (vgl US 5 f).

Weshalb sich aus dem Akt „4 St 224/03y (Verfahren gegen Armin A*****)“ eine „Lügenhaftigkeit“ des Tatopfers ergeben soll (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0120109), war weder dem - solcherart auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichteten - Antrag (AS 135 f/IV) noch den in diesem Zusammenhang vorgelegten Urkunden (Blg ./5 und ./6 zu ON 281) zu entnehmen.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) reklamiert zu Unrecht, die Tatrichter hätten bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers von der Verteidigung vorgelegte Urkunden (Blg ./5 bis ./12 zu ON 281) nicht erörtert. Bezugspunkt im Sinn der Z 5 relevanter Kritik an unterlassener Auseinandersetzung mit die Glaubwürdigkeit in Frage stellenden Umständen sind nämlich (nur) Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 432). Solche werden von den ins Treffen geführten Urkunden jedoch - wie die Nichtigkeitsbeschwerde selbst einräumt - gar nicht tangiert.

Die Qualifikation des § 207 Abs 3 erster Fall StGB wurde nicht angenommen, weshalb eine Erörterung von angeblich gegen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung des Opfers sprechenden Beweisergebnissen nicht geboten war.

Auch die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) bleibt erfolglos. Das Erstgericht hat das Vorliegen einschlägiger Vorstrafen festgestellt (US 3) und diese im Rahmen der Strafzumessung als erschwerend gewertet (US 11). Verfahrensergebnisse, welche die Urteilsannahme einer - von ihm bloß behaupteten - Tilgung der Vorstrafen indiziert hätten, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 696; vgl 15 Os 190/08t). Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass nach der im Akt befindlichen Strafregisterauskunft (ON 266) Tilgung der dort ausgewiesenen Verurteilungen (unter Berücksichtigung der in § 4 Abs 1 bis 3 TilgG enthaltenen Regelungen) ohnehin nicht vorliegt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO); daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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