OGH 5Ob169/11f

OGH5Ob169/11f14.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1.) Friedrich R***** und 2.) Adolfine R*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Josef Olischar, Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Autobahnen‑ und Schnellstraßen‑Finanzierungs AG (ASFINAG), 1030 Wien, Modecenterstraße 16, diese vertreten durch ASFINAG Bau Management GmbH, ebendort, diese vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Neufestetzung einer Enteignungsentschädigung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 14. Juli 2011, GZ 14 R 110/11s‑46, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Dass zufolge § 20 Abs 3 BStG 1971 durch fristgerechte Anrufung des Gerichts der Enteignungsbescheid hinsichtlich der Höhe der Entschädigung außer Kraft tritt, bedeutet entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin nicht, dass das Gericht in der Folge nicht in freier Beweiswürdigung in jenem Verfahren ermittelte Tatsachen als Feststellungsgrundlagen heranziehen dürfte.

Der im außerordentlichen Revisionsrekurs als Mangelhaftigkeit gerügte Verstoß gegen das „Prinzip der sukzessiven Kompetenz“ liegt damit nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

2.) Unter dem Titel der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich die Revisionsrekurswerberin gegen die Art der Ermittlung und die ‑ dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen folgenden ‑ Feststellungen über die Höhe des im Entschädigungsfestsetzungsverfahren ermittelten Verkehrswerts. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung stellt aber die Ermittlung der Höhe des Verkehrswerts eine Tatfrage dar, die vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr bekämpft werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0043122; RS0043704; RS0099292). Die Auswahl der Bewertungsmethode im Enteignungsverfahren wäre nur dann revisibel, wenn sie gegen zwingende Denkgesetze verstieße (RIS‑Justiz RS0109006; RS0043122).

3.) Dass für die Bewertung eines Grundstücks neben der bestehenden Widmung auch realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeiten samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert entscheidend sind, wenn sie im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden können, entspricht ebenfalls ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0058043; RS0110846; zuletzt 6 Ob 161/10k und 3 Ob 46/11b, jeweils mwN). Es sind also realistisch beurteilte Verwendungsmöglichkeiten dann, wenn sie bereits eine Auswirkung auf den Marktwert haben, sich das Entwicklungspotential also schon auf den Marktpreis auswirkt bei der Wertermittlung zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0058043 [T3]; 9 Ob 82/10i; 6 Ob 161/10k). Damit wird nicht eine bloße Werterhöhungschance (vgl 6 Ob 647/84 = SZ 60/17) abgegolten, sondern nur der positive Schaden ersetzt. Auch die vom Sachverständigen vorgenommene Abzinsungsmethode künftig realistischer Verwendungsmöglichkeiten nach Zeitfaktor und Unsicherheit der möglichen Umwidmung, wie sie der Sachverständige hier vorgenommen hat, wurde von der Rechtsprechung bereits gebilligt (vgl zuletzt 6 Ob 161/10k zwischen denselben Parteien und Parteienvertretern).

4.) Soweit der außerordentliche Revisionsrekurs ins Treffen führt, es liege bloß eine 25%ige Wahrscheinlichkeit zur Umwidmung in Bauerwartungsland vor, entfernt er sich von der dazu getroffenen Feststellung des Erstgerichts. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass die gegenständliche Liegenschaft wie bisher als agrarisch genutzte Fläche, als begünstigtes Agrarland bzw Freizeitfläche oder als Betriebsbaugebiet verwendet wird, jeweils gleich hoch (S 3 und 7 in 61 Nc 27/07s‑42).

5.) Der außerordentliche Revisionsrekurs verkennt mit dem Hinweis auf die Entscheidung 1 Ob 756/78 = SZ 51/175, dass im konkreten Fall vom Sachverständigen die Liegenschaft eben nicht als Bauerwartungsland oder (künftiges) Bauland bewertet wurde, sodass es auf die dazu geforderten Voraussetzungen nicht ankommt. Die vom außerordentlichen Revisionsrekurs angestrebte Bewertung der enteigneten Liegenschaft als Agrarland widerspräche daher den oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen, wonach Erwartungen auf dem Grundstücksmarkt dann bereits preisbestimmend sind, wenn sie nach der Verkehrsauffassung schon zum Zeitpunkt der Enteignung ein zusätzliches werterhöhendes Moment darstellen. Dem Enteigneten gebührt nämlich gemäß § 18 Abs 1 Satz 1 BStG 1971 Schadloshaltung nach § 1323 ABGB „für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile“.

6.) Im Weiteren begegnet auch die vom Sachverständigen vorgenommene Errechnung der Restflächenentwertung keinerlei Bedenken hinsichtlich der Ermittlungsmethode und ist daher als Tatfrage (siehe oben 2.) im Revisionsrekursverfahren ebenfalls unanfechtbar.

Insgesamt vermag der außerordentliche Revisionsrekurs daher Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht aufzuzeigen, weshalb er zurückzuweisen war.

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