OGH 3Ob46/11b

OGH3Ob46/11b6.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der Antragstellerin und Antragsgegnerin W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin und Antragstellerin Elfriede D*****, vertreten durch Dr. Rudolf Riedl, Rechtsanwalt in Wien, AZ 61 Nc 18/07t und 61 Nc 19/07i des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin W***** GmbH & Co KG gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Jänner 2011, GZ 14 R 102/10p-62, womit (ua) über Rekurs der Antragstellerin der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. April 2010, GZ 61 Nc 18/07t (61 Nc 19/07i)-56, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurswerberin wendet sich in dritter Instanz materiell nur mehr gegen die Qualifizierung des enteigneten Grundstücks als Bauerwartungsland und gegen den Zuspruch einer Enteignungsentschädigung für zu entfernende Bauwerke, denen eine Baubewilligung versagt worden sein soll. Prozessual wirft sie dem Rekursgericht vor allem die mangelnde Auseinandersetzung mit ihren Rekursargumenten vor. Es gelingt ihr aus folgenden Gründen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuwerfen.

1. Die gerügten Begründungsmängel der Rekursentscheidung liegen nicht vor. Das Rekursgericht hat sich - trotz seines Hinweises auf eine nicht gesetzmäßige Ausführung der Beweisrügen - mit allen Argumenten des Rekurses ausreichend auseinander gesetzt und ist nicht mit bloßen Scheinbegründungen vorgegangen.

2.1. Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen - wie hier - keine gesetzlich vorgeschriebene oder vom Gericht vorgegebene Methode, so hat der Sachverständige gemäß § 7 Abs 1 Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG) die geeignete Methode unter Beachtung des jeweiligen Stands der Wissenschaft und der im redlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten selbst auszuwählen (RIS-Justiz RS0109006; RS0066223; RS0056492). Die Auswahl der Bewertungsmethode kann im Enteignungsverfahren als eine nicht dem Tatsachenbereich angehörige Frage nur dann vom Obersten Gerichtshof überprüft werden, wenn gegen zwingende Denkgesetze verstoßen wird oder die vom Gericht gewählte Methode auf abstrakten Überlegungen ohne entsprechende Tatsachenermittlungen basieren würde (RIS-Justiz RS0109006 [T4]; RS0043517 [T3]; RS0043122 [T5]). Sonst gehört die Ermittlung des Verkehrswerts dem Tatsachenbereich an (RIS-Justiz RS0109006 [T5]; RS0043517 [T1]).

2.2. Ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland, als Bauerwartungsland oder als Bauland anzusehen und dementsprechend zu bewerten ist, betrifft eine nicht vom Sachverständigen, sondern aufgrund der gesamten Verfahrensergebnisse vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0007824). Dafür ist Folgendes wesentlich:

Auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, kann die Höhe des zu ersetzenden Verkehrswerts beeinflussen (RIS-Justiz RS0053483 [T1]). Für die Bewertung eines Grundstücks ist daher allgemein nicht die bestehende Widmung, sondern die realistisch beurteilte künftige Verwendungsmöglichkeit samt ihrer Auswirkung auf den Marktwert das Entscheidende (RIS-Justiz RS0058043 [T3]; RS0057977; RS0057981). Bei Grundstücken mit tatsächlicher oder rechtlich durchsetzbarer Möglichkeit, eine Umwidmung in Bauland zu erreichen, muss diese Erwartung auf dem Grundstücksmarkt tatsächlich bereits preisbestimmend sein, also nach der Verkehrsauffassung schon zum Zeitpunkt der Enteignung ein zusätzliches werterhöhendes Moment darstellen und nicht eine bloße Werterhöhungschance; entscheidend ist daher lediglich, ob sich das Entwicklungspotential zum Bewertungszeitpunkt schon auf den Marktpreis auswirkt (RIS-Justiz RS0110846 [T1]; vgl 6 Ob 161/10k mwN).

Dass ein aktueller Stadtentwicklungsplan ungeachtet seiner fehlenden Normqualität auch schon vor dem Vollzug entsprechender Umwidmungen von Grünland in Bauland Auslöser derartiger Erwartungen auf dem Grundstücksmarkt sein kann, versteht sich von selbst.

2.3. Der Sachverständige hat im vorliegenden Fall unter Hinweis auf seine Markterfahrung und die vor Ort festzustellende tatsächliche Entwicklung (bereits erfolgte Umwidmung auf der anderen Straßenseite) sowie der Berücksichtigung des Stadtentwicklungsplans der Stadt Wien STEP 2005, der die Entwicklungszone Aspernstraße ausdrücklich ausweist, begründet, warum er von einem gegenüber der bei der Enteignung bestehenden Widmung „Grünland/Ländliches Gebiet“ erhöhten Verkehrswert des Grundstücks ausgeht.

Das Rekursgericht erachtete diese Ausführungen des Sachverständigen mit Hinweis darauf, dass die Umsetzung der von der Stadt Wien geäußerten Entwicklungsabsichten durch den gegenständlichen Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes bereits begonnen habe und nur mit weitreichenden Umwidmungen (weiter) realisierbar sein werde, in Übereinstimmung mit dem Erstgericht als der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend und leicht nachvollziehbar. Damit hat es diese Frage aber auf Tatsachenebene abschließend und endgültig erledigt und deren Überprüfbarkeit durch den Obersten Gerichtshof zu verneinen. Der daraus gezogene rechtliche Schluss, es handle sich bei dem enteigneten Grundstück um Bauerwartungsland, ist aber jedenfalls vertretbar.

Die Revisionsrekurswerberin releviert auch weder die Anwendung einer untauglichen Bewertungsmethode noch einen Verstoß gegen die Denkgesetze. Derartiges ist auch nicht erkennbar, da sich der Sachverständige für die Ermittlung des Verkehrswerts der Vergleichswertmethode bediente und aus den so erzielten Ergebnissen einen Mischwert bildete, womit ein Risikoabschlag gegenüber einem vollen Baulandwert einhergeht, der darin begründet ist, dass eine Umwidmung in Bauland eben noch nicht erfolgt war (vgl RIS-Justiz RS0058007).

3.1. Die bemängelte Unschlüssigkeit des Gutachtens zur Frage, ob die Gebäudewerte zu ersetzen seien, liegt schon deshalb nicht vor, weil dazu eine Rechtsfrage zu beantworten ist. Diese steht in keinem Zusammenhang mit den vom Sachverständigen ermittelten Sachwerten der Gebäude; dagegen hat die Revisionsrekurswerberin aber keine relevanten Einwände erhoben.

3.2. Sie macht allerdings dem Erstgericht zum Vorwurf, gegen die Pflicht zur amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts nach § 16 Abs 1 AußStrG verstoßen zu haben, indem es nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten Bedacht genommen habe, den insgesamt neun Kleingebäuden (darunter eine Blechgarage) sei 1997 bescheidmäßig die Baubewilligung versagt worden. Sorgt das Gericht nicht von Amts wegen für eine vollständige Sachaufklärung, stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (Rechberger in Rechberger, AußStrG § 14 Rz 1; vgl RIS-Justiz RS0037095; RS0048529). Verfahrensfehler des Erstgerichts wurden aber im Rekurs nicht geltend gemacht und können daher im Revisionsrekurs nicht nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043111 [T18 und T22]; RS0074223 [T1]), zumal keine von der Qualität des § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG 2005 in Rede stehen.

3.3. Im Übrigen nahm die Revisionsrekurswerberin in ihrer Berechnung des Entschädigungsbetrags selbst einen Abzug für den Wert eines Gebäudes (Wellblechgarage; S 3 der ON 7) vor, obwohl schon im vorangegangenen Enteignungsbescheid ein Zuspruch eines Ersatzes dafür abgelehnt wurde, weil keine Baugenehmigung vorliege (Bescheid S 8). Die erstmalige Berufung auf fehlende Baubewilligungen im Rekurs war somit eine Neuerung, weil die Revisionsrekurswerberin damit von ihrer erstinstanzlichen Berechnung des Entschädigungsbetrags abwich: Da es ihr nicht gelingt, ihre Untätigkeit in erster Instanz als entschuldbare Fehlleistung darzustellen, ist das Rekursgericht zu Recht davon ausgegangen, dass kein Fall der Neuerungserlaubnis nach § 49 Abs 2 AußStrG vorliegt.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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