OGH 1Ob112/11v

OGH1Ob112/11v1.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sonja A*****, vertreten durch Weinberger Gangl Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wider die beklagte Partei Hans-Peter P*****, wegen Räumung (6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. Februar 2011, GZ 22 R 23/11b-15, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 2. November 2010, GZ 4 C 30/10p-9, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft. Der Beklagte ist ihr Bruder. Beider Mutter steht nach dem zwischen ihr und der Klägerin abgeschlossenen Übergabsvertrag das Fruchtgenussrecht an der im ersten Stock des auf dieser Liegenschaft errichteten Hauses gelegenen Wohnung zu. Damit verbunden ist das Recht der Mitbenützung von Dachboden, Keller, Garage und Hausgarten. Eine nähere vertragliche Ausgestaltung dieses Rechts auf Mitbenützung ist nicht erfolgt. Eine Absprache zwischen der Klägerin als Eigentümerin und der Fruchtgenussberechtigten, wer welche Hälfte der auf der Liegenschaft errichteten Doppelgarage nutzen darf, steht nicht fest. In der Regel nützt die Klägerin die linke Seite der Doppelgarage, ihre Mutter stellt Gegenstände vielfach auf der rechten Seite der Garage unter, benützt aber auch die linke Seite. Die Mutter der Klägerin gestattete dem Beklagten die Nutzung der Garage.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Räumung der linken Hälfte der Doppelgarage von dessen Fahrnissen. Die Garagenhälften seien baulich nicht getrennt. Vereinbarungsgemäß sei die rechtsseitig gelegene Garage der Fruchtgenussberechtigten zugewiesen worden. Der Beklagte nutze die Garage titellos.

Der Beklagte wendete ein, seine Mutter habe ihm als Fruchtgenussberechtigte die Nutzung der Garage gestattet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte könne sein Recht auf Benutzung der Garage aus dem seiner Mutter zustehenden Fruchtgenussrecht ableiten. Eine Vereinbarung zwischen der Klägerin als Eigentümerin und der Fruchtgenussberechtigten über die Nutzung der Garage liege nicht vor. Als Fruchtgenussberechtigte sei die Mutter berechtigt gewesen, dem Beklagten das Einstellen von Fahrnissen in die Garage zu gestatten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Die Revision ließ es über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO zu. Für den Fall, dass das der Fruchtgenussberechtigten eingeräumte Recht zur Mitbenützung der Garage aufgrund der „servitutsspezifischen Besonderheiten“ des § 484 ABGB nur eine bestimmte Garagenhälfte umfasse, würde sich die Interpretation des Übergabsvertrags als unvertretbar erweisen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1.) Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit wurde geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.) Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Eigentümer - solange ein sein Eigentumsrecht beschränkendes Rechtsverhältnis aufrecht ist - nicht unmittelbar gegen Personen mit Räumungsklage vorgehen kann, die ihr Benützungsrecht aus dem Recht seines Vertragspartners abzuleiten in der Lage sind und mit dessen (zulässiger) Zustimmung das Objekt benützen (RIS-Justiz RS0010416, zuletzt 2 Ob 225/10t).

3.) Zwischen den Streitteilen ist nicht strittig, dass deren Mutter ein Fruchtgenussrecht an der im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung zukommt und mit dem Fruchtgenussrecht das Recht zur Mitbenützung der Garage verbunden ist. Zum Wesen des als Fruchtgenuss ausgestalteten Wohnrechts im Sinne des § 521 Satz 3 ABGB gehört es, dass der Berechtigte die ihm überlassenen Teile des Hauses ohne Einschränkung auf seine Bedürfnisse benützen und daher auch an Dritte überlassen darf (RIS-Justiz RS0011826 [T1]).

4.) Das Gesetz zählt das Fruchtgenussrecht zu den persönlichen Dienstbarkeiten. Der Umfang des Rechts richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung (Memmer in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 509 Rz 16; Koch in KBB³ § 509 Rz 4). Die Auslegung des Umfangs einer Dienstbarkeit ist damit stets eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0011720 [T7]). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nur dann vor, wenn infolge wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erreicht wird (RIS-Justiz RS0042936).

5.) Die Klägerin räumt in ihrer Revision unter Verweis auf die Feststellungen des Erstgerichts ein, dass die Garage (vorerst) nach Bedarf genutzt werden sollte und geht damit sichtlich selbst davon aus, dass die Fruchtgenussberechtigte weder nach dem Wortlaut des Vertrags noch nach dem Verständnis der Parteien bei Abschluss des Vertrags von der Nutzung der linken Seite der Garage ausgeschlossen sein sollte. Ist die beanspruchte Dienstbarkeit aber nicht nur vom Wortlaut des Vertrags, sondern auch vom Verständnis der Parteien bei Vertragsabschluss gedeckt, dann kommen die Prinzipien des § 484 ABGB gar nicht mehr zur Anwendung (RIS-Justiz RS0107851). Auf den Regelungsinhalt des § 484 ABGB und die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage kommt es damit nicht mehr an.

6.) Der Beklagte kann seine Befugnis zur Nutzung der Garage aus dem Recht der Fruchtgenussberechtigten ableiten. Wie in vergleichbaren Vorentscheidungen muss damit nicht mehr geprüft werden, ob er dem Räumungsbegehren auch dann erfolgreich entgegentreten könnte, wenn die ihm durch die Fruchtgenussberechtigte gestattete Nutzung der Garage eine Vertragsverletzung im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Mutter der Streitteile darstellte (vgl 4 Ob 75/01k = MietSlg 53.035; 1 Ob 212/03p = SZ 2004/41 uva). Das gilt umso mehr, als eine (konkludente) Benützungsvereinbarung der Klägerin mit der Fruchtgenussberechtigten aus dem festgestellten Sachverhalt nicht abgeleitet werden kann. Soweit sich die Klägerin dennoch auf eine solche beruft, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS-Justiz RS0043312).

7.) Die von der Klägerin aus Art 92 Abs 1 B-VG und Art 6 MRK abgeleiteten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 508 ZPO hat der Oberste Gerichtshof bereits verneint (RIS-Justiz RS0044057 [T10]).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

8.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

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