Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 445,82 EUR (darin enthalten 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Mit Urteil vom 20. 8. 1999 (ON 55) wies das Landesgericht Salzburg das Begehren des Klägers auf Scheidung aus dem Alleinverschulden der Beklagten ab und schied die Ehe nach § 55 Abs 3 EheG mit dem Ausspruch, dass der Kläger die Zerrüttung überwiegend verschuldet habe. Gegen die Abweisung des auf § 49 EheG gestützten Klagebegehrens erhob der Kläger Berufung (ON 68); gleichzeitig ließ er unter Hinweis auf eine „Klagseinschränkung“ sein hilfsweise auf § 55 EheG gestütztes Scheidungsbegehren ohne Anspruchsverzicht fallen. Die Beklagte erklärte, dieser - vom Kläger als „Klagseinschränkung“ bezeichneten - Zurücknahme der Klage um das Eventualbegehren nach § 55 Abs 3 EheG nicht zuzustimmen. Nach Fortsetzung des mittlerweile mehrere Jahre ruhenden Verfahrens zog der Kläger mit Schriftsatz vom 19. 4. 2007 (ON 83) die gesamte Klage unter Anspruchsverzicht zurück. Die Beklagte erklärte wiederum ausdrücklich, dass sie der Zurücknahme der Klage durch den Kläger nicht zustimme.
Mit dem hier angefochtenen (deklarativen) Beschluss stellte das Berufungsgericht fest, dass sowohl die Zurücknahme der Klage als auch die „Einschränkung des Klagebegehrens um das auf § 55 Abs 3 EheG gestützte Eventualbegehren“ wirkungslos sei. Gleichzeitig sprach es aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers, mit dem er den Ausspruch anstrebt, dass das Urteil des Erstgerichts wirkungslos sei. Nachdem dieser Rekurs als verspätet zurückgewiesen worden war, bewilligte das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht dem Kläger - nach einem Ablehnungsverfahren - mit Beschluss vom 6. 5. 2010, GZ 21 R 236/09i-120, letztlich die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rekursfrist. Daraufhin erstattete die Beklagte ihre Rekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
1. Gegen den hier angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem die Unwirksamkeit einer Klagszurücknahme in Ehesachen ausgesprochen wurde, ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Rekurs zulässig (RIS-Justiz RS0042010; vgl auch Lovrek in Fasching/Konecny² § 237 ZPO Rz 16). In der ebenfalls die vorliegende Rechtssache betreffenden Entscheidung 8 Ob 14/09f wurde dazu unter Hinweis auf § 519 ZPO festgehalten, dass ein Beschluss, wie der angefochtene, ebenfalls unmittelbar den Rechtsschutzantrag berühre, der Gegenstand des Berufungsverfahrens sei. Mit Rücksicht auf die bewilligte Wiedereinsetzung ist der Rekurs auch rechtzeitig. Er ist aber nicht berechtigt.
2.1 In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 483a Abs 1 ZPO ist geklärt, dass im Eheverfahren nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Zurücknahme der Klage nur mit Zustimmung der beklagten Partei zulässig ist (RIS-Justiz RS0042005; vgl auch Lovrek aaO § 237 ZPO Rz 16; Pimmer aaO § 483a ZPO Rz 3).
2.2 Dem Kläger ist zuzustimmen, dass § 483a Abs 1 ZPO für das Eheverfahren eine Sonderregel enthält. Richtig ist auch, dass § 483a Abs 1 ZPO die Möglichkeit zur Zurücknahme der Klage im Berufungsverfahren jedenfalls insoweit erweitert, als die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden kann (vgl Pimmer in Fasching/Konecny² § 483a ZPO Rz 2). Anders als § 483 Abs 3 ZPO erwähnt die Sonderregel die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht nicht. Die Rechtsprechung und herrschende Lehre leitet daraus ab, dass im Eheverfahren die Zurücknahme der Klage immer dann möglich sein soll, wenn beide Parteien den Willen bekundet haben, die Ehe fortzusetzen.
Hinzu kommt, dass die Sonderregel auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abstellt. Nach der Rechtsprechung bezieht sie sich auf den Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (9 Ob 2053/06v). Der Ansicht des Klägers, dass § 483a Abs 1 ZPO erst ab dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung gelte und auf eine Klagszurücknahme vor diesem Zeitpunkt auch im Eheverfahren die Grundregel des § 483 Abs 3 ZPO anzuwenden sei, kann daher nicht beigetreten werden. Eine zeitlich abgestufte Anwendung beider Bestimmungen scheidet aus. § 483a Abs 1 ZPO ist im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Klagszurücknahme im Berufungsverfahren demnach als abschließende Sonderregel anzusehen. Aus diesem Grund kann es auch nicht als planwidrige Lücke angesehen werden, dass im Eheverfahren nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht nicht erlaubt ist.
2.3 Insgesamt ist daher an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, dass im Eheverfahren nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine Zurücknahme der Klage nur mit Zustimmung der beklagten Partei zulässig ist.
Mangels Zustimmung der Beklagten war die Zurücknahme der (gesamten) Klage mit Schriftsatz des Klägers ON 83 nicht rechtswirksam.
3.1 Grundsätzlich ist es richtig, dass eine Einschränkung des Klagebegehrens weder als Zurücknahme der Klage noch als Klagsänderung anzusehen und daher auch ohne Zustimmung der beklagten Partei zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn der Titel, aus dem geschuldet wird, gleichzeitig geändert wird (RIS-Justiz RS0039535).
Eine Klagseinschränkung darf nach § 235 Abs 4 ZPO keine Änderung des Klagegrundes bewirken. Unter einem neuen Klagegrund ist die Geltendmachung geänderter anspruchsbegründender Tatsachen, aus denen der Tatbestand abgeleitet wird, zu verstehen (vgl RIS-Justiz RS0037551; s auch Klicka in Fasching/Konecny² § 235 ZPO Rz 25). Entsprechend diesen Grundsätzen wurde in der Entscheidung 7 Ob 536/95 ausgesprochen, dass im Fallenlassen eines Teiles eines Begehrens, auch eines Eventualbegehrens, nicht eine (teilweise) Zurücknahme der Klage, sondern eine Einschränkung des Klagebegehrens zu erblicken sei, wenn danach nur ein reines Minus gegenüber dem ursprünglichen Begehren aufrecht erhalten werde. Ein Minus kann demnach nicht vorliegen, wenn das fallengelassene Begehren auf einem anderen Klagegrund als das weiterhin bestehende Begehren beruht.
3.2 Der Kläger bestreitet selbst nicht, dass das Scheidungsbegehren, das den Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens bildete, aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Klagegründen bestand. Dementsprechend führt er im Rekurs aus, dass bei gleichzeitiger Geltendmachung der Ehescheidungsgründe nach § 49 und § 55 EheG ohne Reihung des Klägers in erster Linie über den Klagegrund nach § 49 EheG zu entscheiden sei, weil in diesem Fall die rechtliche Stellung des obsiegenden Klägers günstiger sei. Diese Ansicht ist zutreffend. Wie die Beklagte zutreffend darlegt, ist die Scheidung der Ehe nach § 49 EheG an andere Voraussetzungen gebunden und hat andere Rechtsfolgen als eine Scheidung nach § 55 EheG. Der Anspruch auf Ehescheidung wegen schwerer Eheverfehlungen ist daher ein anderer Anspruch als jener auf Scheidung der Ehe nach § 55 EheG (7 Ob 570/87; vgl auch RIS-Justiz RS0056377).
Zum Fallenlassen des auf Scheidung gemäß § 55 Abs 3 EheG gestützten Eventualbegehrens kann sich der Kläger somit nicht auf eine bloße Klagseinschränkung berufen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine partielle Zurücknahme der Klage. Auch die vom Kläger in seiner Berufungsschrift ON 68 als solche bezeichnete „Klagseinschränkung“ war damit nicht rechtswirksam.
4. Ist die im Berufungsverfahren erfolgte Zurücknahme der Klage rechtswirksam, so hat das Berufungsgericht aus Gründen der Rechtssicherheit mit deklarativem Beschluss festzustellen, in welchem Umfang das Urteil des Erstgerichts (ex lege) wirkungslos ist und daher außer Kraft tritt (5 Ob 114/09i; Lovrek aaO § 237 ZPO Rz 16; Pimmer aaO § 483 ZPO Rz 16). Auch bei einem Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem dieses feststellt, dass die Zurücknahme der Klage nach § 483a Abs 1 ZPO wirkungslos ist, handelt es sich um einen deklarativen Beschluss nach § 483 Abs 3 letzter Halbsatz ZPO (8 Ob 14/09f).
Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie hat das Berufungsgericht zutreffend auch die Unwirksamkeit der partiellen Zurücknahme des auf § 55 Abs 3 EheG gestützten Eventualbegehrens festgestellt. Entgegen der Argumentation des Klägers wurde damit nicht vor rechtskräftiger Abweisung des Hauptbegehrens über das Eventualbegehren entschieden.
5. Zusammenfassend ergibt sich: Im Eheverfahren ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine Zurücknahme der Klage nur mit Zustimmung der beklagten Partei zulässig. Eine Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht genügt nicht.
Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Dem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rekurs des Klägers war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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