OGH 11Os87/11w

OGH11Os87/11w25.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bilinska als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Patrick N***** wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1, Abs 2 Z 2, Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Anträge des Verurteilten auf Erneuerung und außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens des Landesgerichts Innsbruck zu AZ 35 Hv 132/10x sowie Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird abgewiesen.

Der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der ‑ nach elektronischem Registerstand ‑ aktuell gemäß § 21 Abs 2 StGB angehaltene Patrick N***** begehrt in einem durch einen Dritten verfassten, auch andere Personen betreffenden handschriftlichen (schwer lesbaren), direkt an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schriftsatz vom 12. Juni 2011 hinsichtlich seines Strafverfahrens dessen Erneuerung und außerordentliche Wiederaufnahme sowie die Gewährung von „umfassender Verfahrenshilfe“.

Rechtliche Beurteilung

Die Eingabe ist entgegen der zwingenden gesetzlichen Anordnung des § 363b Abs 2 Z 1 StPO nicht von einem Verteidiger (im Sinne von § 48 Abs 1 Z 4 StPO) unterschrieben und es war daher der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens ohne meritorische Prüfung zurückzuweisen.

Zum Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme ist auf § 362 Abs 3 StPO zu verweisen, wonach darauf abzielende Anträge von Privaten abzuweisen sind (RIS‑Justiz RS0101133).

Der Erledigung des Antrags auf Beigebung eines Verteidigers zur Verfahrenshilfe ist vorauszuschicken:

Die gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen von Individualbeschwerden der Art 34 und 35 Abs 1, Abs 2 MRK (vgl auch Art 35 Abs 4 erster Satz MRK) gelten sinngemäß für Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO, denen keine Entscheidung des EGMR zu Grunde liegt (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832; 11 Os 132/06f, EvBl 2008/8, 32).

Damit ist unter anderem die Ausschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK) ein Zulässigkeitskriterium für den Erneuerungsantrag. Diesem Erfordernis wird nur dann entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T2 und T13]; Grabenwarter, EMRK4 § 13 Rz 23 und 31).

Im Gegenstand ist aus den den vorliegenden Fall betreffenden Akten 35 Hv 132/10x des Landesgerichts Innsbruck festzuhalten, dass der nach § 21 Abs 2 StGB Angehaltene ausdrücklich auf (ordentliche) Rechtsmittel gegen das zugrunde liegende Urteil verzichtet hat (ON 51 S 8 der Hv‑Akten).

Mit Blick auf den subsidiären Charakter des Erneuerungsantrags gelangen in Bezug auf das Grundrecht auf Freiheit die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0122737, RS0123350), das insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regelt. Nach § 1 Abs 1 GRBG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung dem Betroffenen nach Erschöpfung des Instanzenzugs die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Dies gilt nach der ausdrücklichen Regelung des § 1 Abs 2 GRBG nicht für die Verhängung und den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, weshalb in diesen Fällen eine Grundrechtsbeschwerde nach § 1 Abs 2 GRBG ebenso ausgeschlossen ist wie der ‑ dazu subsidiäre - Erneuerungsantrag (15 Os 159/07m; 14 Os 60/08t; jüngst 11 Os 86/11y). Nach Art 5 Abs 1 lit a MRK reicht zudem die bloß formale Rechtfertigung der Freiheitsentziehung durch eine Verurteilung aus, weshalb auch der EGMR lediglich überprüft, ob eine solche Verurteilung ergangen ist (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 21 Rz 12 mwN).

Soweit der Einschreiter Umstände des Maßnahmenvollzugs releviert, steht ihm somit der Erneuerungsantrag bereits aus formellen Gründen nicht offen.

Neben der Bedürftigkeit aus wirtschaftlicher Sicht (vgl Achammer, WK‑StPO § 61 Rz 39) ist gemäß § 61 Abs 2 StPO ein Verteidiger zur Verfahrenshilfe dann beizugeben, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist. Die Beigebung eines Verteidigers ist in diesem Sinn jedenfalls in den Fällen des § 61 Abs 1 StPO erforderlich (§ 61 Abs 2 Z 1 StPO). Die Z 7 des § 61 Abs 1 StPO statuiert notwendige Verteidigung bei der Ausführung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens und beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über einen solchen (§§ 363a Abs 2 und 363c StPO).

Verfahrenshilfe soll unter anderem bewirken, dass Rechtsschutz nicht an wirtschaftlichem Unvermögen scheitert. Dies gilt allerdings nicht für Fälle, in denen der angestrebte Rechtsschutz schon aus formellen Gründen unmöglich zu erreichen ist. Verfahrenshilfe ist somit nur für zumindest formell beachtliche Erneuerungsanträge zu gewähren, nicht aber für von vornherein, somit offenkundig aussichtslose ‑ und daher ohne meritorische Prüfungsmöglichkeit zurückzuweisende ‑ Rechtsbehelfe dieser Art (13 Os 33/08i, 13 Os 144/09i; 13 Ns 14/08z). Die bei Achammer (WK‑StPO § 61 Rz 40) zitierte Judikatur (RIS‑Justiz RS0074894) betrifft nicht den Fall des § 61 Abs 1 Z 7 StPO und steht der spruchgemäßen Entscheidung daher nicht entgegen.

Im Zusammenhang mit dem Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme ist der Verfahrenshilfewerber neuerlich auf § 362 Abs 3 StPO zu verweisen ‑ auch diesbezüglich ist die angestrebte Prozesshandlung offenkundig aussichtslos.

Die Behandlung des Antrags auf einen Maßnahmenvollzug in „Form der elektronischen Fußfessel“ fällt nicht in die Kompetenz des Obersten Gerichtshofs.

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