OGH 11Os86/11y

OGH11Os86/11y14.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Einwagner als Schriftführerin, in der Strafvollzugsache des Juan C***** über den Antrag des Verurteilten Juan C***** auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag des Juan C***** auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers wird abgewiesen.

Der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Die gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und Abs 2 MRK (vgl auch Art 35 Abs 4 erster Satz MRK) gelten sinngemäß auch für Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO, denen kein Erkenntnis des EGMR zugrundeliegt (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832; 11 Os 132/06f, EvBl 2008/8, 32). Zulässigkeitskriterium für eine Individualbeschwerde ist ua das Einhalten einer sechsmonatigen Frist nach der Entscheidung (Art 35 Abs 1 MRK).

Mit dem auf eine behauptete Verletzung der „Art 5, 3, 6 und 13 MRK“ abstellenden und diverse Gutachten von Sachverständigen kritisierenden Antrag begehrt der eine lebenslange Haftstrafe verbüßende Verurteilte Juan C***** eine Erneuerung des Strafverfahrens, wobei sich dieser entgegen der Verfahrensordnung gegen nicht deutlich und bestimmt bezeichnete Entscheidungen der „Oberlandesgerichte des aktuellen Haftortes“ richtet. Damit verbunden ist das Begehren, die Voraussetzungen für seine bedingte Entlassung sowie den ihm mangels Therapie haftbedingt zugefügten Schaden festzustellen und ihm gegebenenfalls Verfahrenshilfe zu gewähren.

Nach dem aktuellen Stand des Registers der Verfahrensautomation Justiz war Juan C***** betreffend zuletzt beim Oberlandesgericht Graz zu AZ 11 Bs 93/10z ein Verfahren wegen bedingter Entlassung nach § 46 StGB anhängig. Mit dem am 25. März 2010 gefassten Beschluss, der dem Verteidiger des Betroffenen am 1. April 2010 elektronisch zugestellt wurde (ON 32 des Aktes AZ 3 BE 203/09i des Landesgerichts für Strafsachen Graz), gab das Oberlandesgericht Graz der gegen die ablehnende Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Graz erhobenen Beschwerde des Verurteilten zu AZ 11 Bs 93/10z nicht Folge.

Da Juan C***** demnach die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nicht innerhalb der für den von ihm angestrebten Individualantrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a Abs 1 StPO offen stehenden Frist von sechs Monaten nach Zustellung des Beschlusses begehrt hat, war der Antrag schon zufolge offenkundiger Aussichtslosigkeit der angestrebten Prozesshandlung abzuweisen.

Der sich ausschließlich auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe beziehende, die zwingende Verteidigerunterschrift nicht aufweisende und entgegen der Verfahrensordnung die bezughabende gerichtliche Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts nicht deutlich und bestimmt bezeichnende Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 1 StPO).

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass sich der Erneuerungsantrag aber auch sonst in mehrfacher Hinsicht als unzulässig erweist.

Mit Blick auf den subsidiären Charakter des Erneuerungsantrags gelangen (RIS-Justiz RS0122737, RS0123350) in Bezug auf das Grundrecht auf Freiheit die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung, das insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regelt. Nach § 1 Abs 1 GRBG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung dem Betroffenen nach Erschöpfung des Instanzenzugs die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Dies gilt nach der ausdrücklichen Regelung des § 1 Abs 2 GRBG nicht für die Verhängung und den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, weshalb in diesen Fällen eine Grundrechtsbeschwerde nach § 1 Abs 2 GRBG ebenso ausgeschlossen ist wie der - subsidiäre - Erneuerungsantrag (15 Os 149/07m; 14 Os 60/08t). Nach Art 5 Abs 1 lit a MRK reicht zudem die bloß formale Rechtfertigung der Freiheitsentziehung durch eine Verurteilung aus, weshalb auch der EGMR lediglich überprüft, ob eine solche Verurteilung ergangen ist (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 21 Rz 12 mwN).

Vom Schutzbereich des Art 6 MRK sind Verfahren über die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“, mithin Entscheidungen über die Schuld oder Nichtschuld (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 26), nicht aber die Entscheidung eines Beschwerdegerichts über die Frage der bedingten Entlassung erfasst.

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