Spruch:
Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Gesellschaft hat noch nie Jahresabschlüsse gemäß § 277 UGB zum Firmenbuch eingereicht. Die Geschäftsführerin kämpft seit Jahren erfolglos gegen ihre gesetzliche Verpflichtung zur Einreichung von Jahresabschlüssen gemäß § 277 UGB und gegen die gemäß § 283 UGB verhängten Zwangsstrafen an. Am 15. März 2011 erließ das Firmenbuchgericht im ordentlichen Verfahren 36 Zwangsstrafverfügungen; dagegen erhob die Geschäftsführerin im eigenen Namen und im Namen der Gesellschaft Einspruch.
Daraufhin verhängte das Erstgericht im ordentlichen Verfahren über die Geschäftsführerin und die Gesellschaft jeweils Zwangsstrafen in Höhe von 3.600 EUR für die Geschäftsjahre 1997/98 jeweils bis zum Geschäftsjahr 2009/10.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Verbot der refomatio in peius stehe der Verhängung von Zwangsstrafen in Höhe von je 3.600 EUR nicht entgegen, weil es gemäß § 283 Abs 3 UGB idF BudgetbegleitG 2011 und gemäß § 55 Abs 2 AußStrG, § 70 Abs 1 AußStrG im Zwangsstrafenverfahren nicht gelte. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung des Zwangsstrafenverfahrens bestünden nicht.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur neuen Rechtslage nach § 283 UGB idF BudgetbegleitG 2011 noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse sind aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; sie sind aber nicht berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 71 Abs 3 AußStrG iVm § 15 FBG).
2.1. Gemäß § 277 Abs 1 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften die in den §§ 277 bis 279 UGB angeführten Unterlagen spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuchgericht zur Offenlegung einzureichen.
2.2. Nach § 283 Abs 2 UGB idF BudgetbegleitG 2011 ist, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgte, mit Strafverfügung eine Zwangsstrafe von je 700 EUR zu verhängen, und zwar über die Geschäftsführerin (§ 283 Abs 1 UGB) sowie über die Gesellschaft selbst (§ 283 Abs 7 UGB).
2.3. Gegen die Strafverfügung steht der Einspruch offen; nach rechtzeitiger Erhebung eines Einspruchs hat das Firmenbuchgericht im ordentlichen Verfahren über die Verhängung einer Zwangsstrafe zu entscheiden.
3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zwangsstrafenverfahrens nach § 283 UGB keine Bedenken (6 Ob 41/08k; 6 Ob 64/08t; RIS-Justiz RS0113284, RS0113285, RS0113286, RS0113089).
3.2. Daran hat auch die Einführung einer Mindeststrafe von 700 EUR (§ 283 Abs 3 UGB) unter Verhängung von Strafen gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer (§ 283 Abs 7 UGB) durch das Budgetbegleitgesetz 2011 nichts geändert.
3.3. Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs, in denen dieser Mindestgeldstrafen in einfachen Gesetzen als verfassungswidrig qualifiziert hat, betrafen wesentlich anders gelagerte Fälle, etwa Mindeststrafen von 1.000 EUR bzw 5.000 EUR im FremdenpolizeiG (VfGH G 53/10), den Ausschluss des Absehens von der Strafe im ArtenhandelsG 1998 (VfGH G 238/09), eine Mindeststrafe von 20.000 EUR im GüterbeförderungsG (VfGH G 121/02, G 181/01 ua) und im GelVerkG (VfGH G 143/02 ua) sowie unklare und unbestimmte Verwaltungsstrafbestände im AbfallwirtschaftsG (VfGH vom 16. 3. 2000, G 312/97). Mit diesen Fällen ist die Bestimmung des § 283 UGB aber nicht vergleichbar.
3.4. Die Mindeststrafe orientiert sich an der bisherigen Spruchpraxis der Firmenbuchgerichte, die vielfach auch bei Erstverstößen Strafen von 700 EUR verhängten (vgl die Nachweise bei G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer FBG § 24 Rz 51). Der Gesetzgeber musste hier dem Umstand Rechnung tragen, dass viele Unternehmen die Bestimmungen über die Bilanzpublizität nicht einhalten. Nach einer Studie der Arbeiterkammer Wien haben nur 58 % der Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten ihren Jahresabschluss 2008 rechtzeitig beim Firmenbuch eingereicht. Lediglich 37 % halten sich konsequent in drei aufeinanderfolgenden Jahren an die gesetzliche Offenlegungspflicht. Einige große Unternehmen haben Jahresabschlüsse bis zu viereinhalb Jahre zu spät eingereicht (Gahleitner/Ginner/Naderer/ Oberrauter/Zuckerstätter, Offenlegungspflicht von Jahresabschlüssen, Februar 2010, http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d117/Offenlegungspflicht_von_Jahresabschluessen.pdf ). Diese Zahlen wurden im Wesentlichen von der Bundesministerin für Justiz in Beantwortung zweier parlamentarischer Anfragen bestätigt (24. GP 5233/AB vom 8. 7. 2010 und 24. GP 6226/AB vom 25. 10. 2010).
Dieses eklatante Vollzugsdefizit gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen rechtfertigt, dass der Gesetzgeber hier eine Mindeststrafe von 700 EUR vorsieht, wobei die Höhe der Strafe jedenfalls der typischen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Gesellschaften und ihren Organen angemessen Rechnung trägt. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof etwa im AusländerschäftigungsG aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen auch eine Mindeststrafe von 2.500 EUR (VfGH G 156/08), bei Verstößen gegen das AbfallwirtschaftsG von 3.630 EUR (VfGH G 197/04) und bei vorsätzlichem Zuwiderhandeln eine Mindeststrafe von 20.000 EUR im Gasöl-SteuerbegünstigungsG als verfassungskonform angesehen (VfGH G 102/96).
3.5. Zudem hatte schon nach bisheriger Rechtsprechung die Strafverhängung typischerweise eher schematisch und aufgrund objektiver Kriterien zu erfolgen, ohne dass es einer näheren Feststellung über die Vermögenslage der Geschäftsführer bedurfte (6 Ob 182/07v; 6 Ob 89/08v ua). Im Übrigen ist dem Revisionsrekurs auch nicht ansatzweise zu entnehmen, weshalb die Verhängung einer Strafe von ohnedies bloß 700 EUR den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Revisionsrekurswerberinnen nicht Rechnung trägt. Dazu kommt, dass - worauf das Erstgericht bereits zutreffend hingewiesen hat - die Revisionsrekurswerberinnen bereits in der Vergangenheit mehrfach Jahresabschlüsse nicht rechtzeitig eingereicht haben.
4.1. Dass Strafen sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die Geschäftsführer verhängt werden können, stellt keine unzulässige Doppelbestrafung dar. Entgegen der von den Revisionsrekurswerberinnen vertretenen Auffassung trifft die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Offenlegung der Bilanz grundsätzlich die Gesellschaft selbst (4 Ob 229/08t), auch wenn im Hinblick auf die ursprünglich nur gegenüber den Geschäftsführern vorgesehene Möglichkeit der Verhängung von Zwangsstrafen (§ 277 UGB) die diesbezügliche Handlungspflicht den Geschäftsführern auferlegt wird.
4.2. Die mehrfache Verhängung von Geldstrafen ist in diesem Fall bloß Folge des Umstands, dass mehrere handlungspflichtige Rechtssubjekte den sie nach dem Gesetz treffenden Pflichten nicht nachkamen. Von der im Revisionsrekurs behaupteten unsachlichen Differenzierung zwischen Gesellschaft mit einem und mit mehreren Geschäftsführern kann daher keine Rede sein.
4.3. Soweit die Gesellschaft vermeint, sie hätte auf die Handlungen ihrer Organe keinen Einfluss, ist ihr entgegenzuhalten, dass den Gesellschaftern jederzeit die Umbestellung der Geschäftsführer und die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer offenstünde.
5.1. Dass die Regelungen über die Bilanzpublizität nach §§ 277 ff UGB gemeinschaftsrechtskonform sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0113285). Auf die neuerlich gestellte Anregung der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist daher nicht weiter einzugehen.
5.2. Es entspricht gleichfalls ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Regelung des § 283 UGB auch dann nicht unverhältnismäßig ist, wenn die Zwangsstrafe zufolge fortgesetzter Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen mehrmals gegen alle Geschäftsführer verhängt wird (6 Ob 269/08i). Das gilt auch dann, wenn nur ein einziger Geschäftsführer bestellt ist und die Zwangsstrafe wegen fortgesetzter Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen mehrmals gegen den einzigen Geschäftsführer verhängt wird; die Strafobergrenze von 3.600 EUR beschränkt nur die Höhe der jeweils zu verhängenden Einzelstrafe, nicht die zulässige Gesamtsumme im Fall mehrfachen Zuwiderhandelns (6 Ob 269/08i).
5.3. Ebenso hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass gegen die Verfassungsgemäßheit der Umsetzung der Publizitätsrichtlinie EWG-RL 68/151/EWG , der Bilanzrichtlinie EWG-RL 78/660/EWG und der Änderungsrichtlinie zur Publizitätsrichtlinie EG-LR 2003/58/EG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, und zwar weder im Hinblick auf § 1 DSG noch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (RIS-Justiz RS0113089).
6. Damit erweisen sich die angefochtenen Beschlüsse als frei von Rechtsirrtum, sodass den unbegründeten Revisionsrekursen ein Erfolg zu versagen war.
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