OGH 12Os68/11h

OGH12Os68/11h5.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Varga als Schriftführer in der Strafsache gegen Melissa P***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Melissa P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1. März 2011, GZ 5 Hv 170/10g-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Der Angeklagten Melissa P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Schuldspruch einer anderen Angeklagten enthält, wurde Melissa P***** des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB (I./A./1./), zweier Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./A./2./a./ und b./), zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./B./1./ und 2./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./C./) schuldig erkannt.

Danach hat sie in Graz Daniela S*****

I./A./ durch gefährliche Drohung mit zumindest Verletzungen am Körper, nämlich durch die wiederholten Äußerungen, sie, ihre Kinder und ihren Lebensgefährten umzubringen und ihr Schläge zu versetzen, zu folgenden Handlungen und Unterlassungen genötigt:

1./ am 21. Februar 2010 zum Verzehr von Urin und Kot der Melissa P*****, somit zu einer Handlung, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzten;

2./ am 22. Februar 2010

a./ zur Verfassung eines an ihre Angehörigen adressierten Abschiedsbriefs;

b./ zur Unterlassung der Erstattung von Meldungen über die Tat laut Schuldspruch I./C./ (US 9 f) bei den Justizwachebeamten;

I./B./ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nämlich das Inaussichtstellen einer Verletzung am Körper durch weitere Schläge (US 5 f, 16), zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, und zwar

1./ am 21. Februar 2010, indem sie ihr einen Besenstiel in die Scheide einführte und diesen ca 10 bis 15 Minuten lang ein und aus bewegte;

2./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem 21. Februar 2010, indem sie den mit einem Gummihandschuh bedeckten Zeigefinger ca vier- bis fünfmal in die Scheide der Genannten in einem Zeitraum von 10 bis 15 Minuten ein- und wieder ausführte;

I./C./ am 22. Februar 2010 vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie ihr mit einer Rasierklinge eines Einwegrasierers Schnittverletzungen im Bereich der Unterarme zufügte.

Rechtliche Beurteilung

Auf die von der Angeklagten Melissa P***** selbst verfassten Schriftsätze, in denen sie ihre Verurteilung beanstandet (ON 63, 64 und 65), war angesichts der von ihrem Verteidiger prozessordnungsgemäß eingebrachten, auf Z 5a, 9 lit b und 10 sowie der Sache nach Z 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde keine Rücksicht zu nehmen (RIS-Justiz RS0100175).

Letztere verfehlt ihr Ziel.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Mit den unter Bezugnahme auf die Schuldsprüche I./A./2./a./ und I./C./ vorgebrachten Hinweisen auf Angaben der Zeugin Daniela S***** und der Mitangeklagten Verena M***** weckt die Beschwerde keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken.

Soweit sie einwendet, das Erstgericht habe seine Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit außer Acht gelassen, indem es die Genannten nicht neuerlich befragt und miteinander konfrontiert habe, legt sie nicht dar, wodurch die Angeklagte an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 4) gehindert war (RIS-Justiz RS0115823).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b) von einer Einwilligung der Daniela S***** zu den Taten laut Schuldspruch I./A./2./b./ und I./C./ ausgeht, vernachlässigt sie die gegenteiligen Konstatierungen (US 8 f, 20; RIS-Justiz RS0099810).

Der Einwand der Subsumtionsrüge (Z 10), der Schuldspruch wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./B./1./ und 2./) hätte Feststellungen in der Richtung erfordert, dass die Taten von einem auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichteten Willen der Angeklagten oder zu deren sexueller Erregung begangen wurden, ist nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0118429, RS0118415, RS0116565; vgl Philipp in WK2 § 201 Rz 23, 35; RIS-Justiz RS0094905 [T16, T19]).

Die Beschwerdeauffassung, die Nötigung laut Schuldspruch I./A./2./b./ sei beim Versuch geblieben (nominell Z 10, der Sache nach Z 11 zweiter Fall), geht nicht vom gesamten festgestellten Sachverhalt aus (vgl US 9 f; RIS-Justiz RS0099810, RS0093376, RS0093410).

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht es unterlassen hat, die Prognosetat im Urteil ihrer Art nach näher zu umschreiben (RIS-Justiz RS0118581 [T10], RS0113980 [T8]). Der Hinweis auf eine „hohe Neigung zu kriminellen Verhaltensweisen und eine hohe Rückfallswahrscheinlichkeit“ in Verbindung mit der Befürchtung, die Angeklagte werde „neuerlich Tathandlungen mit schweren Folgen, insbesondere Aggressionsdelikte, Körperverletzungen“ begehen (US 10, 17), vermag derartige Feststellungen nicht zu ersetzen. Diesem - aus Z 11 zweiter Fall (Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21-25 Rz 8 mwN) ungerügt gebliebenen - Rechtsfehler kann vom Berufungsgericht Rechnung getragen werden, sodass es einer amtswegigen Maßnahme (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) nicht bedurfte (RIS-Justiz RS0115054 [T1]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten Melissa P***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte