OGH 6Ob147/10a

OGH6Ob147/10a16.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** W*****, vertreten durch Mag. Werner Tomanek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichischer Rundfunk (ORF), 1136 Wien, Würzburggasse 30, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. April 2010, GZ 15 R 265/09i-22, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. September 2009, GZ 4 Cg 21/09a-16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.327,68 EUR (davon 221,28 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war im Jahr 1999 aufgrund der DNA-Analyse einer Speichelprobe, die er freiwillig gegeben hatte, und einer Haarspur verdächtigt worden, im Jahr 1973 ein 11-jähriges Mädchen vergewaltigt und mit einem Bleistift ermordet zu haben. Er wurde am 19. 3. 1999 verhaftet und am 5. 7. 1999 aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Strafverfahren gegen ihn wurde gemäß § 109 Abs 1 StPO eingestellt, weil sich herausgestellt hatte, dass die DNA-Proben verunreinigt waren bzw für eine Analyse nicht ausreichten.

Der Kläger wurde während der Zeit, in der er in Untersuchungshaft war, in den Medien vorverurteilt. Die Kronen Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 19. 3. 1999 unter der Schlagzeile „Mord an Schulmädchen nach 26 Jahren geklärt“, der Kurier vom 20. 3. 1999 erschien mit der Schlagzeile „Bleistiftmord von 1973 geklärt“ und die NÖN meldeten in der Ausgabe 12/99 unter der Titelzeile „Bleistiftmord geklärt“. Täglich Alles berichtete am 21. 3. 1999, dass die Nachbarn im Gemeindebau erschüttert seien. Der Beklagte berichtete damals ebenfalls über die Verhaftung.

Nach seiner Enthaftung hatte der Kläger aufgrund der medialen Berichterstattung Schwierigkeiten, wieder in sein voriges Leben zurückzukehren.

Am 28. 2. 2008 berichtete der Beklagte in der Sendung ZIB 2 in einem Beitrag mit dem Titel „Unsichtbare Spuren“ über den Giftanschlag auf den Bürgermeister von Spitz. Darin hieß es:

„Der mutmaßliche Giftattentäter von Spitz soll mittels DNA-Proben überführt sein. Doch wie aussagekräftig sind solche Indizien? Dazu ist der Strafverteidiger Rudolf Mayer Gast im Studio.

DNA-Spuren haben immer wieder zur Aufklärung spektakulärer Verbrechen geführt. So auch im Mordfall N***** S*****. Am 22. 12. 1990 war das 8-jährige Mädchen in Wien-Favoriten vergewaltigt und ermordet worden. Von einem Bekannten ihrer Tante, wie sich 13 Jahre später herausstellen sollte. Kommissar DNA hatte zugeschlagen. Der genetische Fingerabdruck von M***** P. passte zu den Spermaspuren auf dem Mädchen. Obwohl M***** P. kein Geständnis ablegte, wurde er 2003 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auch einen lang zurückliegenden Mädchenmord glaubte die Polizei dank DNA-Spuren Ende der 90er Jahre geklärt zu haben. Im März 1999 verhaftet die Polizei in diesem Gemeindebau in Wien, den Schlosser W***** W.“

Bei dieser Kameraeinstellung wurde die Hoffassade eines grauen Gemeindebaus gezeigt. Die Kamera schwenkt über die Fassade und die Einstellung endet mit dem Schwenk auf eine grüne Haustür. Ein Straßenname und der Name des Gemeindebaus sind nicht zu sehen. Ein Betrachter kann diesen Gemeindebau nicht örtlich zuordnen.

„Er soll 1973 in Wiener Neustadt die 11-jährige Gabi auf bestialische Art mit einem Bleistift ermordet haben.“

Bei dieser Kameraeinstellung sah man ein Schwarz-Weiß-Bild des Opfers, dann einen Bleistift und schließlich eine Tageszeitung mit der Überschrift „Bleistiftmord“ in Großaufnahme und dem Untertitel „Haare von W***** W. wurden im Akt des Mordfalles gefunden.“.

Weiters hieß es im Bericht:

„Diese Haare sollen auf der Leiche gelegen haben. Ein Irrtum, wie sein Verteidiger Rudolf Mayer nachweisen kann. Das Verfahren gegen W***** W. wird eingestellt, aber in sein altes Leben kann er trotzdem nicht zurück.“

Bei dieser Einstellung sieht man zuerst den Durchgang eines Gemeindebaus vom Hof aus, der in die Straße mündet. Die Kamera befindet sich im Hof des Gemeindebaus. Schließlich wird am Gang des Gemeindebaus gefilmt, wobei sich die Kamera auf eine braune Wohnungstür zubewegt. Der weiße Rahmen um die braune Wohnungstür und die Tür Nr 10 sind gut erkennbar. Diese Einstellung dauert ca 2 Sekunden lang. Bei der Tür handelt es sich um die Wohnungstür des Klägers, die als einziger auf dieser Stiege braun ist.

Die Bilder vom Gemeindebau und der Wohnungstür hatte der Beklagte auch schon im Jahr 1999 ausgestrahlt.

Im folgenden Studio-Interview mit Dr. Mayer wurde noch einmal die Beweiskraft von DNA-Beweisen diskutiert. Auf Nachfragen der Moderatorin erklärte Dr. Mayer, dass eine DNA-Spur allein noch nicht ausreiche, um jemanden zu überführen. Er sagte, dass es einerseits auf die Wahrscheinlichkeit ankomme, mit der man eine DNA-Spur tatsächlich einem Verdächtigen zuordnen kann. Diese richte sich nach der Anzahl der Merkmale. Andererseits sagte er, komme es auf eine lückenlose Kette an, um eine Spur einem Verdächtigen zuzuordnen. Schließlich wurde noch einmal auf den „Bleistiftmord“ Bezug genommen:

„Moderatorin: Jetzt haben wir vorhin im Bericht auch gesehen den Fall vom Bleistiftmord in Wiener Neustadt, wo Sie auch den Verdächtigen vertreten haben. Wie leicht oder schwer war es denn für Sie damals, die Behörden, das Gericht davon zu überzeugen, dass die DNA-Spur, die da vorliegt, zweifelhaft ist?

Dr. Mayer: Das war nicht einfach: Denn damals kam dieser DNA-Beweis überhaupt erstmalig zu Tage. Man war euphorisch, man hat geglaubt, in dem Moment, wo man eine DNA-Spur hat, ist auch automatisch der Verdächtige der Täter und da kam man darauf, es sei eben nötig jetzt zu verfolgen, ob die Spur tatsächlich demjenigen, nämlich lückenlos zuzuordnen ist. Doch mit Hilfe eines sehr engagierten Untersuchungsrichters, Dr. B*****, ist es dann mir gelungen zu beweisen, dass diese Kette nicht lückenlos ist und daher der Verdächtige bei Leibe nicht der Täter gewesen ist.

Moderatorin: Haben Sie überhaupt den Eindruck, dass diese DNA-Spuren ein bisschen so als das Wundermittel, die Wunderwaffe bei den Ermittlungen angesehen werden, dass die Möglichkeiten überschätzt werden?

Dr. Mayer: Es werden die Möglichkeiten überschätzt. Man will eben einen Sachbeweis unbedingt haben, und was ja an sich löblich ist. Nur darf man nicht glauben, gerade DNA ist ein 100%iger Sachbeweis. Es müssen noch andere Dinge dazu kommen.

Moderatorin: Also andere Dinge, die den DNA-Beweis untermauern?

Dr. Mayer: Den untermauern, seien es Zeugen, seien es Fingerabdrücke, aber alleine zu sagen, da hier eine DNA-Spur jetzt vor mir ist, bin ich 100%ig auch hier gewesen, kann nicht bzw muss nicht sein.

Moderatorin: Wie der Fall in Spitz ausgeht, das werden wir sehen. Wir werden sehen, was die Ermittler noch finden, oder auch nicht finden. Für den Verdächtigen gilt solange natürlich auch die Unschuldsvermutung. Herr Dr. Mayer, Dankeschön für Ihren Besuch im Studio.“

Nach der Ausstrahlung dieses Berichts riefen Freunde des Klägers und Familienmitglieder bei ihm an, die ihn auf den Bericht ansprachen. Die Nachbarn im Gemeindebau und im Schrebergarten des Klägers mieden ihn und seine Familie. Freunde des Klägers erkannten ihn als den „Bleistiftmörder“ aufgrund des gezeigten Gemeindebaus und der erkennbaren Wohnungstür Nr 10. Seit der Ausstrahlung des Berichts wurde die Familie des Klägers von manchen Nachbarn nicht mehr gegrüßt und in der Waschküche gemieden. Es herrschte seither eine eigenartige Stimmung, die für den Kläger und seine Familie eine Belastung darstellt.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren und das Begehren, der Beklagte habe es zu unterlassen, den Namen des Klägers abgekürzt oder vollständig zusammen mit Außenaufnahmen des Gemeindebaus D*****, und der Wohnungstür des Klägers, Tür Nr 10, in Berichten zu nennen, die über die Aufklärung von Verbrechen mittels DNA-Spuren in Österreich berichten, ab.

Das Recht des Klägers auf Namensanonymität sei nicht verletzt, weil Personen, die weder den Kläger noch den Gemeindebau kennen, somit die Allgemeinheit, anhand des Berichts den Kläger nicht identifizieren könnten. Ziel des Berichts sei gewesen, einem weit verbreiteten Irrglauben entgegenzutreten und die Öffentlichkeit aufzuklären, dass „Kommissar DNA“ nicht unfehlbar sei. Eine Anwendung des § 16 ABGB komme auch deshalb nicht in Betracht, weil Ziel des Berichts gewesen sei, einem weit verbreiteten Irrglauben entgegenzutreten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren und aufzuklären, dass „Kommissar DNA“ eben nicht unfehlbar sei. Lege man dieses Interesse der Öffentlichkeit an der Information, dass die DNA, die von der Öffentlichkeit - auch unterstützt durch verschiedene Fernsehserien - als unfehlbar, absolut sicher und den Täter überführend wahrgenommen werde, mit dem Interesse des Klägers, dass weder der Mord noch seine Involvierung in diesen noch Bilder seines Wohnhauses gezeigt werden, ab, so überwiege der Informationszweck, sodass auch Rechtswidrigkeit nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise dahin ab, dass es dem Unterlassungsbegehren stattgab. Soweit sich die Rechtswidrigkeit der Namensnennung nicht aus der verwerflichen Typizität des Aussageinhalts ergäbe, folge sie aus dem Missverhältnis zum Informationszweck. So überwiege das Persönlichkeitsinteresse das Informationsinteresse jedenfalls so weit, als der Betroffene unverschuldet und ohne sein Zutun in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten sei. Dies liege hier vor, weil nahezu ein Jahrzehnt nach der Verhaftung in einer der bedeutendsten Nachrichtensendungen des Beklagten über den Kläger erneut mit dem aus 1999 stammenden Bildmaterial in einer den Kläger kenntlich machenden Weise berichtet worden sei. Eine Interessenabwägung falle zugunsten des Klägers aus. Er begehre nur, in der (im Klagebegehren näher umschriebenen) Berichterstattung in Hinkunft die Verbindung der gekürzten oder allenfalls vollständigen Wiedergabe seines Namens mit der Darstellung seines Wohnhauses bzw seiner Wohnungstür mit der Tür Nr 10 zu unterlassen. Der vom Beklagten angesprochene Informationszweck könne in gleicher Weise und uneingeschränkt erfüllt werden, wenn die Außenaufnahmen der Wohnstätte des Klägers nicht mehr gezeigt würden. Die Darstellung der Wohnungsumgebung des Klägers habe keinen Informationsgehalt für eine vollständige und sachliche Berichterstattung über die Vor- und Nachteile von Ermittlungsmethoden durch Auswertung von DNA-Spuren und deren Auswirkungen auf das Leben von Verdächtigten. Sie führe allerdings dazu, dass der Kläger gerade in jenem sozialen Umfeld, in dem er sich im Alter bewege, erneut mit der abgetanen Verdachtslage in Zusammenhang gebracht werde. Er sei durch die Berichterstattung zwar nicht generell für die Allgemeinheit kenntlich gemacht worden, jedoch gerade in seinem unmittelbaren Lebensumfeld für Nachbarn, Anrainer und den Bekannten- und Freundeskreis identifizierbar, weil nicht nur das Wohnhaus, sondern auch seine Wohnungstür mit Türnummer leicht erkennbar gezeigt werde. Ein Mord an einem 11-jährigen Kind werde in der Gesellschaft als ein besonders schwerwiegendes und verwerfliches Verbrechen empfunden. Das Interesse des Klägers, im Jahr 2008 seinem sozialen Umfeld nicht erneut in Fernsehnachrichten in einer identifizierbaren Weise im Zusammenhang mit der 1999 vom Gericht verworfenen Verdachtslage präsentiert zu werden, sei daher weitaus gewichtiger als das Interesse des Beklagten an einer mit Bildern der einstigen Berichterstattung aus der Zeit der Verhaftung des Klägers illustrierten Sendungsgestaltung. Der Kläger habe ein legitimes Interesse, in seiner Wohnumgebung nicht mit dem besonderen Gewicht, das Fernsehnachrichten in der ZIB von der durchschnittlichen Bevölkerung beigemessen werde, erneut als ehemals Mordverdächtiger ins Gerede gebracht zu werden. Es habe sich, was ihn anlangte, um keine aktuelle Berichterstattung zum Stand eines anhängigen Strafverfahrens gehandelt, weshalb Erwägungen im Sinn des Art 6 MRK (Öffentlichkeit des Verfahrens und die ihr dienende Kontrollfunktion der Medienberichterstattung) zurückzutreten hätten. Rechte nach Art 10 Abs 1 MRK würden ebenfalls nicht beeinträchtigt, wenn das für den von der Beklagten nach eigenem Vorbringen verfolgten Informationszweck über DNA-Analysen irrelevante Bildmaterial vom Ort der seinerzeitigen Verhaftung des Klägers im Jahr 1999 im von der Klage angesprochenen Zusammenhang nicht mehr verwendet werden dürfe. Da die Gestaltung des sozialen Lebens der nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person in der Regel nicht von der Allgemeinheit entscheidend bestimmt werde, sondern in erster Linie von einem kleineren Personenkreis im näheren Umfeld abhänge (Familienmitglieder, Arbeitgeber, Arbeitskollegen, Nachbarn, Bekannte und Freunde), könne es hinsichtlich des aus § 16 ABGB abgeleiteten Unterlassungsanspruchs nicht zu Lasten des Betroffenen gehen, wenn die (durch die Erwähnung des Berufs, des vollen Vornamens mit abgekürztem Nachnamen im Zusammenhang mit dem Bildmaterial geschaffene) Identifizierbarkeit „nur“ Mitgliedern dieses näheren Umfelds möglich gewesen sei und damit unter Umständen nicht die in § 7 MedienG vorausgesetzte Eignung der Veröffentlichung, dass dadurch einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis die Identität des Klägers bekannt werden könne, eingetreten sein sollte. Gerade die im genannten kleineren Kreis gewährte Wertschätzung bestimme wesentlich die Qualität des sozialen Lebens, weshalb der Schutz der Privatsphäre durch § 16 ABGB gerade auch diesen Bereich erfassen müsse. Von der wesentlichen Bedeutung der Reaktion des sozialen Umfelds auf die 1999 gegebene Verdachtslage für den weiteren Lebensverlauf des Klägers gehe schließlich auch der Beklagte selbst aus, weil im inkriminierten Beitrag ebenso wie im Vorbringen mehrfach darauf hingewiesen werde, dass der Kläger nach Einstellung des Strafverfahrens nicht oder nur schwer in sein „altes Leben“ habe zurückfinden können.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage, ob im unmittelbaren Lebensumfeld identifizierende Fernsehberichterstattung über den Umstand, Mordverdächtiger gewesen zu sein, einen unzulässigen Eingriff in durch § 16 ABGB geschützte Persönlichkeitsrechte darstelle, fehle.

Die vom Beklagten gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Persönlichkeitsrecht auf Namensanonymität leitet sich aus § 16 ABGB ab (RIS-Justiz RS0008998) und ist mit Unterlassungsklage durchsetzbar (RIS-Justiz RS0008994). Das Recht auf Namensanonymität verbietet es, den Namen eines Dritten in einem Zusammenhang zu nennen, zu dem der Namensträger nicht sachlichen Anlass gegeben hat (6 Ob 306/98p; 17 Ob 2/09g ua). Seine Verletzung setzt die Namensnennung bzw eine, eine bestimmte Person identifizierende Berichterstattung voraus (6 Ob 306/98p). Ob nun Angaben veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität des Klägers zu führen, richtet sich nach den im Einzelfall verbreiteten Angaben. Dieser Frage kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (6 Ob 42/05b; 6 Ob 81/04m; 6 Ob 306/98p).

Die gegen die vom Berufungsgericht bejahte Möglichkeit der Identifizierung des Klägers vorgetragenen Argumente der Revision vermögen eine Fehlbeurteilung nicht aufzuzeigen. Der Revisionswerber meint, sowohl die Berufsangabe als auch die Angabe des Vornamens und des abgekürzten Familiennamens sowie die Abbildung eines typischen Wiener Gemeindebaus seien derart allgemeiner Natur, dass tatsächlich nur die unmittelbaren Nachbarn des Klägers, die ebenfalls in dem Gemeindebau wohnten, diesen hätten identifizieren können. Was die persönlichen Freunde des Klägers betreffe, die auf den Bericht reagiert hätten, so sei davon auszugehen, dass diese mehrheitlich unmittelbar informierte Personen darstellten, denen die damaligen Verdächtigungen ohne die mediale Berichterstattung zur Kenntnis gelangt seien. Das überzeugt nicht. Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass „die Nachbarn im Gemeindebau und im Schrebergarten“ den Kläger nach dem Bericht mieden. Von „unmittelbaren Wohnungsnachbarn“ ist in den Feststellungen nicht die Rede. Dass den persönlichen Freunden des Klägers „mehrheitlich“ schon vor dem Bericht durch persönliche Kontakte bekannt gewesen ist, dass der Kläger Verdächtiger im „Bleistiftmord“ war, steht nicht fest (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley 2, Mediengesetz § 7a Rz 13; der Revisionswerber vertritt die Auffassung, die Wortfolge „in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis“ sei im Zusammenhang mit dem Recht auf Namensanonymität nicht anders als in § 7a MedienG zu verstehen). Davon kann auch nicht ausgegangen werden. Das Erstgericht stellte fest, dass Freunde des Klägers ihn als den „Bleistiftmörder“ aufgrund des gezeigten Gemeindebaus und der erkennbaren Wohnungstür Nr 10 erkannten. Daraus lässt sich zwanglos schließen, dass sie nicht „unmittelbar“ (durch persönliche Kontakte) informiert waren, weil im Bericht, bevor die genannten Szenen gezeigt wurden, schon gesagt worden war, dass das Mädchen mit einem Bleistift ermordet worden war und eine Tageszeitung mit der Schlagzeile „Bleistiftmord“ in Großaufnahme gezeigt worden war. Die Rechtsprechung geht von einem „größeren Personenkreis“ - orientiert an § 69 StGB - ab etwa zehn Personen aus (s Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley 2, Mediengesetz § 7a Rz 13 mwN). Die Revision führt gegen diese Rechtsprechung nichts ins Treffen. Dass diese Anzahl durch „die Nachbarn im Gemeindebau und im Schrebergarten“ sowie die Freunde des Klägers jedenfalls erreicht wurde, bezweifelt auch der Revisionswerber nicht.

Dass andere Personen als die Opfer, Verdächtigen oder Täter einer gerichtlichen strafbaren Handlung keinen (Schadenersatz-)Anspruch nach § 7a MedienG haben, bedeutet entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht, dass diesen Personen auch kein zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz gegen identifizierende Kriminalberichterstattung zukommt (6 Ob 266/06w: Zeuge einer gerichtlich strafbaren Handlung).

Das Berufungsgericht hat bei seiner sorgfältig und ausführlich begründeten Interessenabwägung die Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Recht auf Namensanonymität zutreffend auf den Einzelfall angewendet. Die Namensnennung ist jedenfalls dann nicht rechtswidrig, wenn sie ausdrücklich gesetzlich geboten oder erlaubt ist. Hat der Betroffene nicht zugestimmt und besteht weder ein gesetzliches Verbot noch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung - wie im Anlassfall -, so hängt die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer vorzunehmenden Interessenabwägung ab (6 Ob 266/06w mwN). Ob schutzwürdige Interessen des Klägers beeinträchtigt werden und zu wessen Gunsten die vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt, hängt im Allgemeinen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und berührt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 266/06w mwN). Abzuwägen sind die jeweils berührten Persönlichkeitsinteressen und die Gegeninteressen, insbesondere die Informationsinteressen der Öffentlichkeit und die öffentliche Aufgabe der Medien (6 Ob 266/06w mwN).

Im Zusammenhang mit identifizierender Kriminalberichterstattung hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Wertungen der §§ 7a ff MedienG bei der Abwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit (Art 10 MRK) und Persönlichkeitsschutz einzubringen sind (6 Ob 266/06w mwN).

Nach § 7a Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 MedienG hat eine Person, die wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt wurde, ein schutzwürdiges Anonymitätsinteresse jedenfalls dann, wenn ihr Fortkommen durch die Veröffentlichung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Berichterstattung die Resozialisation eines Täters unmittelbar erschwert, etwa wenn der wegen eines Verbrechens Belangte nur zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde oder wenn seine Haftentlassung bevorsteht. Unter „Fortkommen“ fallen alle wirtschaftlichen oder persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley 2, Mediengesetz § 7a Rz 22 mwN).

Es ist kein Grund ersichtlich, den Nichtverurteilten gegenüber dem Verurteilten schlechterzustellen. Wenn kein Schuldspruch erfolgt, ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Fortwirken der gesetzlichen Unschuldsvermutung anzunehmen. Gegenüber dem gebotenen Sozialisationsschutz für einen Nichtverurteilten erscheint es als unverhältnismäßig schwerer Eingriff in das Recht auf Namensanonymität, auch über die unmittelbar aktuelle Berichterstattung zum Abschluss eines Strafverfahrens hinaus lebenslang die Verwicklung in dieses beendete Verfahren mit identifizierendem Hinweis in den Medien vorgehalten zu bekommen (v. Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien: Die Frage der Rechtmäßigkeit identifizierender Kriminalberichte 240 f).

Nach den Wertungen des § 7a MedienG müssen sich die legitimen Veröffentlichungsinteressen ausdrücklich auf die Identität des Betroffenen beziehen (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley 2, Mediengesetz § 7a Rz 27 mwN). Der Revisionswerber meint (zusammengefasst) er habe lediglich seine öffentliche Aufgabe als Medium wahrgenommen, indem er die Öffentlichkeit über die besondere Problematik der Thematik „DNA-Beweissicherung“ habe aufklären wollen. Der Kläger sei im Zuge der Berichterstattung keinerlei neuen Verdächtigungen ausgesetzt, sondern vielmehr als „Opfer“ einer gemeinhin als „wasserdicht“ geltenden Beweissicherungsmethode dargestellt worden. Ein gegenüber dem berechtigten Schutzinteresse des Klägers an seiner Anonymität ins Gewicht fallendes Interesse des Beklagten oder der Öffentlichkeit an der identifizierenden Berichterstattung Jahre nach Abschluss des Strafverfahrens wird damit nicht dargetan.

Der Revisionswerber meint schließlich, § 1328a ABGB gehe als lex specialis jenen Ansprüchen vor, die der Kläger aus § 16 ABGB ableite. Abgesehen davon, dass die vom Revisionswerber angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 234/07s einen auf § 1328a Abs 1 ABGB, der nur einen Schadenersatzanspruch gewährt, gestützten Unterlassungsanspruch nicht für möglich hält, beurteilt sie doch lediglich die Erwägungen der zweiten Instanz als vertretbar, die einen Eingriff in das aus § 16 ABGB abgeleitete Persönlichkeitsrecht auf Schutz der Geheimsphäre verneinen, bestünde kein Widerspruch in den Rechtsfolgen (Unterlassungsanspruch), was Voraussetzung für die Annahme einer normverdrängenden Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) wäre (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht13 I, 36 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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