OGH 11Os19/11w

OGH11Os19/11w14.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. April 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache des Miloslav H*****, AZ 820 BE 32/09a des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 20. März 2009, GZ 820 BE 32/09a‑8, und vom 19. Oktober 2009, GZ 820 BE 32/09a‑15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 820 BE 32/09a des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht verletzen das Gesetz

1. der Beschluss vom 20. März 2009 (ON 8) in § 133a Abs 3 letzter Satz idF BGBl I 2007/109 iVm § 106 Abs 2 StVG und

2. der Beschluss vom 19. Oktober 2009 (ON 15) in § 38 Abs 1 StGB.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 22. November 2007, GZ 621 Hv 12/07y‑81, wurde Miloslav H***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Mit Beschluss vom 25. Februar 2009, GZ 820 BE 32/09a‑6, sah das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht gemäß § 133a Abs 1 StVG vom weiteren Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots vorläufig ab und ordnete (nach Entlassung des Strafgefangenen am 19. März 2009) mit Beschluss vom 20. März 2009, GZ 820 BE 32/09a‑8, die Ausschreibung des Miloslav H***** zur Verhaftung im Inland aus dem Grund der „Entlassung gemäß § 133a StVG“ an.

In der Folge wurde Miloslav H***** in Lauffen/Deutschland mit einem in Österreich am 23. Juni 2009 gestohlenen Kraftfahrzeug, an dem mutmaßlich in Tschechien gestohlene Kennzeichentafeln montiert waren, betreten und über ihn am 27. Juni 2009 zum Verfahren AZ 16 Js 16498/09 der Staatsanwaltschaft Heilbronn wegen des Verdachts der Begehung des Vergehens der gemeinschaftlichen Urkundenfälschung (§§ 267 Abs 1, 25 Abs 2 dStGB) die Untersuchungshaft verhängt.

In dem (ua) wegen des Verdachts dieses Kfz‑Diebstahls von der Staatsanwaltschaft Korneuburg zu AZ 9 St 131/09y eingeleiteten (und in der Folge zu AZ 605 Hv 4/10h des Landesgerichts Korneuburg gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochenen) Verfahren erließ die Anklagebehörde am 6. Juli 2009 eine (gerichtlich bewilligte) Festnahmeanordnung (ON 6 im genannten Gerichtsakt) sowie gemäß § 29 Abs 1 EU-JZG einen Europäischen Haftbefehl (ON 7 ebendort) zur Erwirkung der Übergabe des Miloslav H***** zur Strafverfolgung und zur Vollstreckung der zu AZ 621 Hv 12/07y (AZ 820 BE 32/09a) des Landesgerichts Korneuburg verbliebenen Reststrafe.

Aufgrund des genannten Europäischen Haftbefehls wandelte die deutsche Justiz am 6. August 2009 die über Miloslav H***** verhängte Untersuchungshaft in eine Auslieferungshaft (zur Strafverfolgung und -vollstreckung in Österreich) um; am 13. Oktober 2009, 11:50 Uhr, wurde der Genannte an die österreichische Justiz übergeben (vgl ON 31 und 38 im Akt AZ 605 Hv 4/10h des Landesgerichts Korneuburg).

Mit Beschluss vom 19. Oktober 2009, GZ 820 BE 32/09a‑15, rechnete das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht aufgrund des sich aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Korneuburg ergebenden Verstoßes „gegen die Entlassungsauflagen (Betretungsverbot des Österreichischen Staatsgebietes) in sinngemäßer Anwendung des § 38 StGB“ die in der Zeit vom 27. Juni 2009, 02:45 Uhr, bis 13. Oktober 2009, 11:50 Uhr, in Deutschland „als Auslieferungshaft“ verbüßte Haft auf den offenen Strafrest von vier Monaten, 19 Tagen und 18 Stunden an.

Rechtliche Beurteilung

Die im Verfahren AZ 820 BE 32/09a des Landesgerichts Korneuburg gefassten Beschlüsse des Vollzugsgerichts vom 20. März 2009 (ON 8), mit dem die Ausschreibung des Miloslav H***** zur Verhaftung im Inland angeordnet wurde, und vom 19. Oktober 2009 (ON 15), mit dem die in Deutschland erlittene Haft auf den zu AZ 621 Hv 12/07y (bzw AZ 820 BE 32/09a) des Landesgerichts Korneuburg zu vollziehenden Strafrest angerechnet wurde, stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Der zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt geltende § 133a Abs 3 letzter Satz StVG idF BGBl I 2007/109 ordnete (soweit hier von Relevanz) durch den Verweis auf die sinngemäße Geltung des § 106 Abs 2 StVG die Zuständigkeit des Anstaltsleiters für die Erwirkung der Fahndung und die Beantragung der Ausschreibung der Festnahme eines Verurteilten an, der einem ‑ bei vorläufigem Absehen vom Strafvollzug zwingend vorausgesetzten ‑ Aufenthaltsverbot (§ 133a Abs 1 Z 1 StVG) zuwiderhandelte. Durch die Inanspruchnahme einer im Verfahren über das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots (§ 133a StVG) insoweit nicht zustehenden Kompetenz (vgl § 16 Abs 2 Z 10 StVG) verstieß das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht gegen § 133a Abs 3 letzter Satz StVG idF BGBl I 2007/109 iVm § 106 Abs 2 StVG.

2. Gemäß § 38 Abs 1 Z 2 StGB sind die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Verwahrungshaft sowie die Untersuchungshaft ‑ soweit die Haft nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden ist ‑ auf Freiheitsstrafen und Geldstrafen anzurechnen, wenn der Täter die Haft sonst nach der Begehung dieser Tat wegen des Verdachts einer mit Strafe bedrohten Handlung erlitten hat. Diese Bestimmung verfolgt den Gedanken, dass der Angeklagte bei „getrennter Führung“ der Verfahren nicht benachteiligt werden soll (Flora in WK2 § 38 Rz 17), was die Rechtsprechung stets mit der Formel zum Ausdruck brachte, dass die zu irgend einem Zeitpunkt bestehende Möglichkeit gemeinsamer Führung der Verfahren (zumindest in Betreff eines Teils der hievon erfassten Straftaten) gemäß § 56 StPO idF vor BGBl I 2004/19 unabdingbare Voraussetzung für die Vorhaftanrechnung sei (RIS-Justiz RS0108399; vgl auch DokStGB 92). Dieser (ansonsten uneingeschränkt auf die Nachfolgebestimmung des § 37 Abs 3 StPO übertragbare) Satz greift ‑ wie anzumerken ist ‑ angesichts der durch das Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19 geänderten Normsituation insoweit zu kurz, als nunmehr eine Verbindung eines Ermittlungs- mit einem Hauptverfahren nicht mehr in Frage kommt (15 Ns 5/08s; vgl Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 7). In solcherart zwingend nebeneinander zu führenden Verfahren wegen Straftaten, die aber (isoliert betrachtet) nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung gemeinsam hätten abgeurteilt werden können, ist gleichwohl der eingangs erwähnte Grundgedanke des § 38 Abs 1 Z 2 StGB in Anschlag zu bringen, weshalb eine Vorhaft aus einem (noch) im Ermittlungsstadium verbliebenen Verfahren ebenfalls anzurechnen wäre. Da aber vorliegend das Verfahren AZ 621 Hv 12/07y des Landesgerichts Korneuburg zum Zeitpunkt der vorgeworfenen nachfolgenden Straffälligkeit, die zum Verfahren AZ 605 Hv 4/10h dieses Gerichts führte, in welchem Miloslav H***** die hier aktuelle Haft (in Deutschland) erlitten hat, längst beendet war, war die Anwendung des § 38 Abs 1 Z 2 StGB durch das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht jedenfalls verfehlt. Die von diesem Gericht vertretene „sinngemäße“ Anwendung dieser Gesetzesbestimmung ist angesichts des Wortlauts wie auch nach deren Sinn und Zweck nicht möglich; insoweit liegt eine vom Gesetzgeber von der Vorhaftanrechnung gemäß § 38 StGB bewusst ausgenommene, daher plangemäße und einer Analogie von vornherein nicht zugängliche Regelung vor (13 Os 56/98; 15 Os 117/97). Die in Deutschland in Untersuchungshaft verbrachte Zeit hätte daher nur im Falle einer Verurteilung im Verfahren AZ 605 Hv 4/10h des Landesgerichts Korneuburg gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die dort allenfalls verhängte Strafe angerechnet werden dürfen (vgl nunmehr aber § 38 Abs 1 letzter Halbsatz StGB).

Zudem ließ das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht unberücksichtigt, dass die vom Verurteilten (auch) zum Zweck des Reststrafenvollzugs gemäß § 133a Abs 5 letzter Satz StVG in Auslieferungshaft verbrachte Haft vom 6. August 2009 bis zur Übergabe am 13. Oktober 2009 ‑ gleich einem zwischen der Festnahme eines geflüchteten Strafgefangenen und dessen Wiedereinlieferung in die zuständige Justizanstalt gelegenen Haftzeitraum ‑ dem (restlichen) Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 22. November 2007, GZ 621 Hv 12/07y-81, verhängten Freiheitsstrafe diente und damit ex lege als Strafhaft anzusehen ist (§ 1 Z 5 zweiter Satz StVG; Lässig, WK-StPO § 400 Rz 4 mwN; Drexler, StVG2 § 1 Rz 2), mag sie auch darüber hinaus Sicherungswirkung für das neuerliche Ermittlungsverfahren entfaltet haben (vgl 12 Os 197/10b, 198/10z: Subsidiarität der Auslieferungshaft gegenüber einer gerichtlichen Strafhaft). Solche Zeiten sind von den Vollzugsbehörden bei der Berechnung der Strafzeit ‑ ohne gerichtliche Entscheidung über die Anrechnung ‑ zu berücksichtigen (SSt 55/2 mwN; Drexler, StVG2 § 1 Rz 4).

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereichen, hat es mit ihrer bloßen Feststellung sein Bewenden.

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