Spruch:
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 8.April 1997, AZ 7 Bs 149/97 (GZ 38 E Vr 2509/93-69 des Landesgerichtes Innsbruck) verletzt § 38 Abs 1 Z 2 StGB.
Text
Gründe:
Mit (in Rechtskraft erwachsenem) Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 3.Oktober 1994, GZ 38 E Vr 2509/93-32, wurde Heinz P***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 150 S, im Nichteinbringungsfall 150 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
Am 17.Dezember 1996 ordnete der Einzelrichter wegen Uneinbringlichkeit der Geldstrafe den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe an (ON 58, 59).
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Heinz P***** im Verfahren AZ 12 Vr 1748/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz in Untersuchungshaft; dort war am 10.August 1995 die Voruntersuchung gegen den am 6.August 1995 festgenommenen Beschuldigten wegen § 75 StGB eingeleitet worden.
Mit Beschluß vom 27.Dezember 1996 (ON 210) "unterbrach" das Landesgericht für Strafsachen Graz gemäß § 180 Abs 4 StPO die Untersuchungshaft in Entsprechung der Strafvollzugsanordnung des Landesgerichtes Innsbruck zum Zwecke der Verbüßung der in Rede stehenden Ersatzfreiheitsstrafe; von der Justizanstalt wurde diesbezüglich ein Zeitraum vom 31.Dezember 1996 bis voraussichtlich 30. Mai 1997 bekanntgegeben (ON 213).
Mit Beschluß vom 26.Februar 1997, GZ 38 E Vr 2509/93-65, wies das Landesgericht Innsbruck den Antrag des Heinz P*****, die im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verbüßte Untersuchungshaft auf die 150tägige Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 38 StGB anzurechnen, wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen ab. Der dagegen eingebrachten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 8.April 1997, AZ 7 Bs 149/97 (= ON 69) Folge und ordnete an, daß die Ersatzfreiheitsstrafe "in Anwendung des § 400 StPO" durch die im genannten Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Graz seit 11.August 1995 bestehende Untersuchungshaft als verbüßt gilt; seitens der Justizanstalt wurde in der Folge berichtet, daß Heinz P***** die Strafe in der Zeit vom 22.November 1996 bis zum 21.April 1997 verbüßt hat (ON 230 des Aktes des Landesgerichtes für Strafsachen Graz).
Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck das Gesetz.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß der die Anrechnung der Vorhaft regelnden Bestimmung des § 38 StGB sind die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Verwahrungshaft und die Untersuchungshaft, soweit sie nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden ist, auf Freiheitsstrafen und Geldstrafen anzurechnen, wenn der Täter die Haft nicht nur im betreffenden Strafverfahren (Abs 1 Z 1), sondern auch, was für die vorliegende Fallgestaltung von Bedeutung ist, sonst nach Begehung dieser Tat wegen des Verdachts einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung erlitten hat (Abs 1 Z 2).
Der zuletzt genannten Gesetzesbestimmung liegt - auch unter Berücksichtigung anderer materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften (§§ 31, 40 StGB, § 56 StPO) wie auch der Gesetzesmaterialien (siehe insbesondere 30 BlgNR XIII.GP, 133) - der Grundgedanke inne, daß die Führung getrennter Verfahren wegen Straftaten, die nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung auch gemeinsam hätten abgeurteilt werden können, dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen darf. Die Bestimmung des § 38 Abs 1 Z 2 StGB betrifft daher nach ihrem Sinn und Zweck demzufolge sowohl jene Vorhaften, die der Täter nach der den Gegenstand des Schuldspruchs bildenden Tat in einem anderen Verfahren erlitten hat, als auch - hier in dieser Konstellation nicht aktuell - jene Vorhaften, die dem Verurteilten in einem anderen, noch nach der schon bestraften Tat anhängigen Verfahren widerfuhren, mögen sie auch vor der jetzt bestraften Tat gelegen sein (SSt 48/90). Daß aber die Verfahren (zumindest in Ansehung eines Teils der hievon erfaßten Straftaten) zu irgendeinem Zeitpunkt gemäß § 56 StPO hätten vereinigt werden können, ist jedenfalls immer unabdingbare Voraussetzung der Vorhaftanrechnung.
Diese Prämisse fehlt vorliegend, weil das Verfahren AZ 38 Vr 2509/93 des Landesgerichtes Innsbruck zum Zeitpunkt der vorgeworfenen nachfolgenden Straffälligkeit, die zum Verfahren AZ 16 Vr 1748/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz führte, in welchem Heinz P***** die hier aktuelle Haft erlitten hat, bereits längst beendet war. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 38 Abs 1 Z 2 StGB auch auf diese Haft ist angesichts des Wortlautes wie auch nach Sinn und Zweck der Gesetzesbestimmung nicht möglich; insoweit liegt eine vom Gesetzgeber von der Vorhaftanrechnung gemäß § 38 StGB bewußt ausgenommene, daher plangemäße und einer Analogie von vorneherein nicht zugängliche Regelung vor. Die vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgenommene Transferierung der im § 400 Abs 2 StPO enthaltenen Verfahrensbestimmungen auf den materiellrechtlichen Bereich der Vorhaftanrechnung war im übrigen auch unter dem Gesichtspunkt der nicht vergleichbaren Regelungsinhalte verfehlt.
Unter Zugrundelegung dieser gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (siehe auch 15 Os 117/97) war der Wahrungsbeschwerde spruchgemäß stattzugeben.
Daraus ergibt sich aber auch vorliegend als zwingende Konsequenz, daß im Rahmen der Entscheidung auf Grund der nach § 33 StPO zutreffend erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes der Oberste Gerichtshof eine datumsmäßige Fixierung der vom Oberlandesgericht irrig angerechneten Haft - entgegen dem Antrag des Verteidigers - nicht erfolgen kann.
Da sich aber die Gesetzesverletzung durch das Oberlandesgericht zum Vorteil des Verurteilten ausgewirkt hat, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden.
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