OGH 12Os4/11x

OGH12Os4/11x29.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kunst als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl W***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 13. Juli 2010, GZ 22 Hv 52/09a-37b, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Garantini sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Naske zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung aller zu I./A./ genannten Taten auch unter § 206 Abs 3 erster Fall StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Karl W***** hat durch die ihm zu I./A./ zur Last liegenden Taten in einem Fall das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und in drei weiteren Fällen jeweils das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB begangen.

Er wird hiefür sowie für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I./B./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 idF BGBl 1989/242 (I./C./), das Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II./), das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (III./) sowie die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV./) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 206 Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl W***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./A./), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I./B./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 idF BGBl 1989/242 (I./C./), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II./), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (im Urteil irrig: idF BGBl 1974/60; III./) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Linz und anderen Orten

I./ um das Jahr 1996

A./ mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen, indem er in vier Angriffen mit seinem Penis in die Scheide der am 12. Dezember 1984 geborenen Ramona W***** eindrang, wobei die geschilderten sexuellen Tathandlungen bei Ramona W***** eine an sich schwere und länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und Angst, einer schweren psychischen Störung sowie einem Zustand nach kindlicher Viktimisierung zur Folge hatten;

B./ eine unmündige Person, nämlich die am 12. Dezember 1984 geborene Ramona W***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er

1./ während einer Zugfahrt mit seinem Finger in ihre Scheide eindrang;

2./ mit seiner Zunge in ihre Scheide eindrang;

3./ in zwei Angriffen mit seinem Finger in ihren After eindrang;

C./ mit den unter I./A./ beschriebenen Tathandlungen außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB idF BGBl 242/1989 Ramona W***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er bei den zumindest vier Angriffen ihre Arme über dem Kopf festhielt und niederdrückte, ihre Beine mit seinen Knien auseinanderdrückte und anschließend mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang;

II./ um das Jahr 1996 eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er Ramona W***** aufforderte, sich auf seine Oberschenkel zu setzen, als er nackt im Bett lag und anschließend vor ihr bis zum Samenerguss onanierte;

III./ um das Jahr 1994 außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die Schamlippen der am 11. Oktober 1986 geborenen Marina W***** mit seinem Finger streichelte;

IV./ um das Jahr 1994 und 1996 durch die unter Punkt I./A./ bis I./C./ und III./ beschriebenen Tathandlungen mit Ramona W***** und Marina W*****, die seiner Aufsicht unterstanden, und unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen (vgl aber § 212 Abs 1 Z 1 StGB) geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen das Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, weil die Tatorte mit „in Linz und an anderen Orten“ sowie die Tatzeitpunkte mit „um das Jahr 1996“, „um das Jahr 1994“ sowie „um das Jahr 1994 und 1996“ zu unbestimmt angegeben würden, macht jedoch nicht deutlich, weshalb konkretere Angaben zur Individualisierung der Taten erforderlich sein sollten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290). Ist die Anführung des Tatorts und der Tatzeit im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zur wirksamen Vorbeugung einer nochmaligen Verfolgung derselben Taten nicht von Bedeutung, bewirkt eine Unterlassung keine Nichtigkeit nach Z 3 (13 Os 72/06x; 13 Os 159/08v).

Soweit der Beschwerdeführer in seiner weiteren Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung des von ihm gestellten Beweisantrags auf Vernehmung der Zeuginnen Eva Maria G***** und Brigitte A***** geltend macht und dabei auf Argumente zurückgreift, die bei der Antragstellung nicht vorgebracht wurden, konnte darauf nicht Rücksicht genommen werden, weil allein der in der Hauptverhandlung vorgebrachte Antrag den Gegenstand der Entscheidung des Schöffengerichts bildet und daher auch der Oberste Gerichtshof dessen Berechtigung stets nur auf den Antragszeitpunkt bezogen überprüft (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325 mwN).

Im Übrigen erfolgt die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung der genannten Zeuginnen zum Beweis dafür, dass der Angeklagte zu seinen Töchtern ein gutes Verhältnis gehabt habe und diese keinerlei Auffälligkeiten gezeigt hätten, zu Recht.

Das Zeugnis ist ein Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, die der Vergangenheit angehören. Nur Tatsachenbekundungen stellen eine Aussage dar. Subjektive Meinungen und Wertungen können daher grundsätzlich nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen (RIS-Justiz RS0097540). Zum anderen ist dem Beweisantrag nicht zu entnehmen, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS-Justiz RS0118444). Soweit als Beweisthema die „schlechte Behandlung“ des Angeklagten durch die Mutter der Opfer, seine geschiedene Ehefrau, sowie eine Drohung ihm gegenüber durch diese mit den Worten „Ich mache ihn fertig“ angeführt wird, spricht die Beschwerde einerseits neuerlich eine Wertungsfrage an, welche nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein kann (RIS-Justiz RS0097540), andererseits ließ der Antrag nicht erkennen, weshalb dieser Beweis geeignet sein sollte, das behauptete Beweisthema zu klären (RIS-Justiz RS0118444).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus deren Anlass hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugt, dass durch den Schuldspruch I./A./ das Gesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nämlich mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB, obwohl bei mehreren realkonkurrierenden strafbaren Handlungen nach § 206 Abs 1 StGB, die (mit-)kausal (vgl Burgstaller in WK2 § 80 Rz 68) für schwere Verletzungsfolgen iSd § 206 Abs 3 erster Fall StGB geworden sind, die Erfolgsqualifikation nur bei einer dieser Taten anzulasten ist (RIS-Justiz RS0120828).

Der Angeklagte hat daher durch die ihm zum Schuldspruch I./A./ zur Last liegenden Taten nur ein einziges nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB qualifiziertes Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und damit realkonkurrierend drei Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB begangen.

Bei der damit notwendig gewordenen Strafneubemessung war das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen als erschwerend, mildernd hingegen der zuvor ordentliche Lebenswandel und das lange Zurückliegen der Taten zu werten. Im Hinblick auf den massiven Unrechtsgehalt der angeführten Taten und die Schuld des Angeklagten erachtete der Oberste Gerichtshof ausgehend von einem Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe eine siebenjährige Sanktion für angemessen.

Der - die amtswegige Maßnahme nicht umfassende - Kostenausspruch stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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